Rechtsradikale protestieren mit Impfgegner*innen und Esoteriker*innen wieder gegen Corona-Auflagen in Heidelberg.

Zum Protest gegen die Corona-Verordnungen der Bundes- und Landesregierungen hat sich am Samstag erneut ein skurriles Bündnis aus Verschwörungsgläubigen, Neonazis, AfDlern, Impfgegnern und anderen Esoteriker*innen getroffen. Ihre Demonstration sollte – wie schon die entsprechende Demo am vorherigen Samstag – in der Altstadt am Universitätsplatz stattfinden. Doch dort hatte die Grüne Jugend unter dem Motto “Gemeinsam durch die Krise – Freiheit und Solidarität” bereits eine – unter strengen Sicherheitsauflagen stattfindende – Kundgebung angemeldet.

Die geplante Protestaktion der Verschwörungsideologen musste also verlegt werden. Da die Organisator*innen von 500-1000 Teilnehmenden ausgingen, blieben dem Ordnungsamt aus sicherheits- und gesundheitsschutztechnischen Gründen nicht viele Orte, die man der Kundgebung hätte zuweisen können. Die Wahl fiel schließlich auf den Parkplatz am Messplatz in Heidelberg-Kirchheim. Die Aktion fand so quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Einzig einige antifaschistische Beobachter*innen, vereinzelte Pressevertreter*innen und ein kleiner antifaschistischer Gegenprotest nahm die rechtsesoterische Kundgebung wahr.

Die Teilnehmer*innenzahl belief sich schließlich auf maximal 150 Personen, wobei es zu Beginn noch deutlich weniger waren, da sich viele zu der Alternativkundgebung der Grünen Jugend verirrt hatten, wo einige erst merkten, dass sie falsch waren, als die Heidelberger Stadträtin und Sahra Mirow von der Partei DIE LINKE den ersten Redebeitrag hielt und klar machte, dass eine rational agierende Linke nichts mit den Protesten der sogenannten “Hygieniker” verbindet. Einige der Verirrten machten sich dann noch zum Messplatz auf, nachdem ihnen endlich klar wurde, dass sie falsch waren. Andere blieben in der Altstadt, um zu pöbeln.

Während der Kern der Teilnehmenden ziemlich gleich geblieben war, zeigte sich allerdings am Messplatz, dass, nachdem auf der vorherigen Demonstration auch noch einige eher links orientierte Personen zu finden waren, denen offenbar nicht ganz klar war, mit wem sie da demonstrierten, der Anteil der offen rechtsradikal auftretenden Personen klarer erkennbar war. So waren neben dem Heidelberger AfD-Stadtrat Bartesch, dem Ex-Stadtrat Niebel und Andreas Clewe, dem Vorsitzenden der Schwetzinger AfD, sowie anderen AfD-Aktivist*innen auch wieder etliche Personen mit klar neonazistischem Auftreten anwesend. Berührungsängste zwischen AfD, betont “unpolitischen” Esoteriker*innen und Neonazis waren dabei nicht erkennbar.

Inhaltlich war alles dabei, was von einer solchen Kundgebung zu erwarten war: Es wurde gegen eine Impfpflicht gewettert, die überhaupt nicht geplant ist, wobei fehlerhaft behauptet wurde, diese käme dann ja mit dem – durchaus zu Recht umstrittenen – Immunitätsausweis. Als Schuldige wurden schnell Bundeskanzlerin Angela Merkel und Microsoft-Chef Bill Gates ausgemacht, weil letzterer im Zuge der Corona-Krise gesagt hatte, dass er – philanthropisch wie er sich gerne gibt – mit der “Bill and Melinda Gates Foundation” dafür sorgen wolle, dass ein Impfstoff “allen 7 Milliarden Menschen” zur Verfügung steht.

Mit Hilfe dieser Impfungen solle die “Überbevölkerung” in Schach gehalten werden, so einer der Redner, der im selben Satz meint, dass man ja “nur” dafür sorgen müsse, dass die Menschen in Afrika “etwas mehr Wohlstand” hätten, dann müssten sie ihre Nachkommen ja nicht mehr als Altersversorgung sehen und würden sich weniger vermehren. Auch sei zu bemerken, dass Bill Gates, was der Redner aus Gerüchten wisse, Bill Gates weder seine eigenen Kinder impfen ließe, noch G5-Masten in der Nähe seines Anwesens dulde, weil diese “die Landschaft verschandeln”.

Der selbe Redner geriet allerdings noch in einen skurrilen Widerspruch mit seiner Vorrednerin: Während die Vorrednerin, die auch meinte, Menschen in Altenheimen hätten “keine Angst vor dem Virus, sondern Angst in den letzten Tagen ihres Lebens allein zu sein”, behauptete, es gäbe eine strukturelle Zusammenarbeit zwischen Antifa und Polizei, die zu den selben repressiven Strukturen gehörten, die “die Meinungsäußerung blockieren”, rief er zum Dank und Applaus für die Polizisten auf, die seiner Ansicht nach die Protestierenden vor einem kleinen Gegenprotest der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) schützten – und schützen mussten. Beide widersinnigen Aussagen bekamen gleichermaßen Beifall aus dem Publikum. Wobei die Gegendemonstrant*innen weitestgehend bereits abgezogen waren, um nach Mannheim zur dortigen Demonstration der selben Couleur zu fahren.

Einig waren sie sich dann wieder darin, dass „die Antifa“ die „wahren Faschisten“ seien. Insgesamt war die Veranstaltung vor allem ziemlich skurril – und die offensichtliche Unorganisiertheit der Veranstalter*innen, die sich z.B. dadurch zeigte, dass etwa die Hälfte der Teilnehmer*innen zunächst am falschen Ort auftauchten und sich dann echauffierten, als die dortigen Redner*innen ihre Erwartungshaltung nicht erfüllten, sorgte bei einigen Beobachtern der Demo – und auch bei einigen der umstehenden Polizist*innen für Belustigung. Vergessen werden darf aber auch nicht, dass die „Hygienedemos“ Teil eines rechtsradikalen Hegemoniekonzepts sind, das auf den Vordenker der neuen Rechten, Götz Kubitschek, zurück geht und darauf aus ist, die Verankerung extrem rechter Positionen in breiteren Bündnissen voranzutreiben.

Bemerkenswert ist, dass die AfD in Heidelberg, Schwetzingen und Umgebung so kurz nach dem Beschluss des Bundesvorstandes, den ehemaligen Republikaner Andreas Kalbitz aus der Partei auszuschließen, weil dieser (angeblich) die Mitgliedschaft in verschiedenen rechtsradikalen Organisationen (u.a. der „Heimattreuen Deutschen Jugend“) nicht angegeben habe, bereits wieder den Schulterschluss mit Neonazis und anderen offen rechtsradikal auftretenden Kräften sucht.

Heidelberg kann als eine der Keimzellen der “Hygienedemos”. Beginnend mit den öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen der „Corona-Anwältin“ Beate Bahner, die nicht nur zu einer unangemeldeten Demonstration gegen die Corona-Verordnungen am Ostersonntag aufgerufen hatte, sondern die auch erfolglos vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen zu klagen versuchte, nahmen die Proteste der “Corona-Skeptiker” erst Fahrt auf. Als Beate Bahner kurz darauf wegen “Eigen- oder fremdgefährdendem Verhalten (vgl. Polizei Heidelberg)” kurzfristig in eine psychiatrische Einrichtung verbracht wurde, aus der sie jedoch schon spätestens am folgenden Tag entlassen wurde, ging die Geschichte deutschlandweit viral: Der Fall Bahner entwickelte sich in den Augen derjenigen, die die Maßnahmen der Regierungen pauschal ablehnten zum Beleg dafür, dass “die Regierung” mit aller Härte gegen ihre Kritiker*innen in dieser Sache vorginge. Linke und rechte Esoteriker*innen bekundeten eiligst – und teilweise ohne vorherige Prüfung – im Netz und auf den Straßen ihre Solidarität mit der Heidelberger Juristin.

Zur ersten “Demonstration” der neuen Querfront kam es dann, als Bahner, nach einer polizeilichen Anhörung wegen des Verdachts, sie habe öffentlich zur Begehung einer Straftat aufgerufen, vor dem Polizeirevier Heidelberg-Mitte eine spontane Kundgebung abhielt, bei der sich erstmals in Heidelberg Neonazis, AfDler, Esoteriker*innen und (auch linke) Verschwörungsideolog*innen trafen, um ihrer Unzufriedenheit mit den geltenden Verordnungen öffentlich gemeinsam Ausdruck zu verleihen. Das Vorgehen der Heidelberger Polizei, die Kundgebung relativ ungestört geschehen zu lassen – von einigen Aufrufen, Abstand zu halten, einmal abgesehen – wurde von vielen Seiten scharf kritisiert. Insbesondere, da wenige Tage zuvor eine Demonstration der Initiative “Seebrücke”, die sich für sichere Fluchtrouten und für die Rechte von Geflüchteten einsetzt, in Frankfurt aufgelöst worden war, obwohl die dortigen Aktivist*innen sich an strengste Abstands- und Sicherheitsvorkehrungen hielten.

Anzahl der Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte leicht rückläufig – auf hohem Niveau.

Berlin. Insgesamt rechte 970 Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte registrierte das Bundeskriminalamt nach vorläufigen Zahlen im vergangenen Jahr. Die Bundesländer meldeten außerdem 2.396 Straftaten mit rechtem Hintergrund gegen Flüchtlinge außerhalb der Unterkünfte. Damit seien die Zahlen auf hohem Niveau leicht rückläufig, erfuhr der Evangelische Pressedienst (epd) aus dem Bundesinnenministerium.

Im Jahr 2015, als mit Abstand die meisten Flüchtlinge nach Deutschland kamen, waren noch 1.031 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte erfasst, wobei es sich bei rund einem Zehntel der Delikte um Brandstiftungen handelte. Da Straftaten gegen Flüchtlinge erst seit Beginn 2016 gesondert erfasst werden, gibt es allerdings keine Vergleichszahlen zu den 2.396 erfassten Delikten gegen Geflüchtete.

Auch innerhalb des Jahres 2016 ging die Zahl der Delikte gegen Asylunterkünfte zurück: Wurden im ersten Quartal wurden noch knapp 460 Straftaten gezählt, so waren es im Zeitraum Oktober bis Dezember nur noch 116.

Anlass für Entwarnung sieht das Ministerium aber nicht: Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden sei weiterhin damit zu rechnen, dass die rechte Szene die Agitation in der Asyldebatte fortsetzen werde, hieß es aus dem Ministerium. Auch mit schweren Gewaltstraftaten sei demnach zu rechnen. Selbst die Bildung weiterer rechtsterroristischer Vereinigungen wie der „Gruppe Freital“ und die „Oldschool Society“ sei weiterhin vorstellbar.


Anmerkung der Redaktion:
Das Beitragsbild zeigt die Turnhalle eines Oberstufenzentrums in Nauen, die als Asyl-Notunterkunft genutzt werden sollte. Sie ging am 25. August 2015 in Flammen auf und brannte komplett aus. Schnell wurde klar, dass es sich um einen Terroranschlag aus der Neonazi-Szene handelte.

Neonazi-Bewaffner „Migrantenschreck“ geht vom Netz – Betreiber auf der Flucht.

Berlin. Prominent prangte die Werbung des rechtsextremen Waffen-Kaufportals „Migrantenschreck“ bis vor kurzem auf den Internet-Seiten des „Contra-Magazinz“, bei Jürgen Elsässers „Compact – Magazin für Souveränität“ und auf anderen rechten Webseiten. Nun ist sie offline – endlich – und ihr Betreiber, der auch mit der rechtsextremen Aktivistengruppe „Anonymous-Kolektiv“ (die nicht mit dem anarchistischen Hacker-Netzwerk zu verwechseln ist) verbandelt gewesen sein soll, ist auf der Flucht.

Seit Mai 2016 konnten „besorgte Bürger“ aus mehreren europäischen Ländern in dem rechten Online-Shop illegal Schusswaffen erwerben – „einfach, schnell und diskret“, wie es auf der Seite hieß. Ganz so diskret liefen aber wohl die Geschäftsabwicklungen nicht ab: So gelangte ein Rechercheteam des Technologie-Magazins Motherboard und der Süddeutschen Zeitung an die Kundenliste von „Migrantenschreck“ und besuchte in den vergangenen Monaten einige Nutzer des Waffenshops, der auch dazu aufrief, Gaspistolen – deren Besitz ohne entsprechende Waffenerlaubnis strafbar ist – gegen „Asylforderer“ und „Ficki-Fick-Fachkräfte“ einzusetzen.

In den Werbetexten für die Schreckschuss- und Gummigeschosswaffen wurde völlig unverhohlen gegen Migranten und Antifaschisten gehetzt: Die Stadt werde „zum gesetzlosen Tummelplatz von Asylforderern“, konnte man etwa im Text zum doppelläufigen Gewehr „Migrantenschreck DP120 Professional Bautzen Edition“ erfahren, und dass man „Frauen schützen und Fußgängerzonen zugänglich halten“ müsse. Auch ein „Antifa-Schreck Komplettpaket“ gegen „rotzfreche Antifanten“ hatte der Neonazi-Bewaffner im Angebot.

Nun ist die Seite offline und der Betreiber, Mario Rönsch, der sich laut Informationen des Netztransparenzdienstes „Mimikama“ auch für die rechtsextreme Aktivistengruppe „Anonymous-Kollektiv“ verantwortlich zeigt, tauchte im Ausland unter. Insgesamt soll Rönsch zwischen Mai 2016 und Januar 2017 rund 150.000 Euro mit seinem illegalen Waffenhandel umgesetzt haben.

Was der 34-jährige Thüringer dabei nicht wusste: Ein Netzaktivist hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Waffendealer und Neonazi zu Fall zu bringen. In mühseliger Kleinstarbeit hatte er Rönschs Karriere der letzten Jahre dokumentiert, soweit sich diese im Internet nachvollziehen ließ. Wann immer Rönsch mit einem seiner zahlreichen Fake-Accounts bei Facebook etwas teilte, machte sein anonymer Beobachter einen Screenshot davon. Als Rönsch seine Webseite auf einen russischen Provider verlegte, registrierte der Verfolger die Änderung und archivierte sie. Zehntausende Dokumente liegen mittlerweile auf dessen Festplatte, sortiert in hunderten Ordnern. Eine Datensammlung von mehr als 37 Gigabyte Material.

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Solche Gummigeschoss-Waffen vertrieb „Migrantenschreck“ zuletzt aus Ungarn mit hetzerischen Werbetexten – ihr Besitz ist in Deutschland ohne Sondererlaubnis strafbar.

Ohne diesen Aktivisten gäbe es bisher keine handfesten Beweise gegen Rönsch, ohne diesen Aktivisten hätte die Öffentlichkeit nie etwas über die Kundschaft des Waffenhändlers erfahren, die aus alleinerziehenden Müttern, unsicheren Medizinern, rechtsextremen KFZ-Mechatronikern und vielen anderen Individuen besteht. Er müsste gefeiert werden – doch Rönschs Gegenspieler bleibt lieber unbekannt.

Vergangene Woche durchsuchten Ermittler schließlich – offenbar aufgrund der Kundenliste, die dem anonymen Aktivisten in die Hände fiel – Wohnungen und Geschäftsräume von 29 Menschen mit rechtem Hintergrund. Dabei fanden sie insgesamt 42 Waffen, deren Besitzern nun Klage wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz – und damit bis zu fünf Jahre Haft drohen. Rönsch, der sein Geschäft zeitweise von Ungarn aus betrieb, wo der Verkauf und Erwerb von Schreckschuss-Pistolen deutlich geringen Auflagen unterliegt, bleibt jedoch verschwunden.

Das letzte Lebenszeichen des Neonazis ist ein Tweet, in dem er schreibt: „Merkel: Fuck u!“ mit einem Foto, dass ihn in sommerlicher Kleidung bei grellem Sonnenschein – angeblich in Jalta auf der Krim zeigt.

Allerdings ist davon auszugehen, dass der Thüringer Waffenhändler früher oder später wieder auftaucht, wobei zu hoffen ist, dass ihm sein Gegenspieler dann – wenn schon die Behörden offenbar dazu allein nicht in der Lage sind – erneut das Handwerk legt.

Übrigens: Mimikama berichtete bereits im vergangenen Jahr, dass die auf Migrantenschreck vertriebenen Waffen nicht nur teilweise illegal, sondern auch deutlich überteuert waren – Neonazi-Bewaffner Rönsch zockte also seine „Kameraden“ auch noch ab.


Weiterführende Quellen:
Verbindung von Anonymous.Kollektiv und Migrantenschreck: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/anonymous-kollektiv-wirbt-fuer-migrantenschreck-14817588.html
Die ganze Geschichte der Recherchen auf Motherboard: http://www.sueddeutsche.de/digital/illegaler-waffenhandel-zu-besuch-bei-den-kunden-von-migrantenschreck-1.3360777
Die Interviews mit einigen Kunden von Migrantenschreck auf SZ.de: https://motherboard.vice.com/de/article/aufstieg-und-fall-von-migrantenschreck-unterwegs-im-rechten-waffensumpf
Mimikama über Migrantenschreck: http://www.mimikama.at/allgemein/migrantenschreck-verwirrspiel-um-eine-waffenverkaufsplattform/

Auf dem rechten Auge blind: Später Fahndungserfolg zeigt, dass „Gefährder“ auch Neonazi-Terroristen sein können.

Düsseldorf. Am Abend vor der umstrittenen Entscheidung der Bundesregierung, sogenannten Gefährdern künftig auch ohne Gerichtsbeschluss Fußfesseln aufzuerlegen, zeigt die Polizei in Ratingen bei Düsseldorf, dass zu diesen Gefährdern nicht nur Islamisten gehören – ein Faktor, der in der öffentlichen Debatte gern vergessen wird -, als sie einen in die Jahre gekommenen Neonazi festnimmt. Der Mann soll für einen Rohrbombenanschlag am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn vor fast 17 Jahren verantwortlich sein.

Der Sprengstoff-Anschlag, den der Beschuldigte Ralf S. begangen haben soll, traf am 27. Juli 2000 um 15.04 Uhr zehn Wartende, sieben Frauen und drei Männer, die als „Kontingentflüchtlinge“ in die Bundesrepublik gekommen waren und regelmäßig an einem Deutschkurs nahe des Bahnhofs teilgenommen hatten. Am schwersten traf es eine Frau: Sie erlitt durch den Anschlag eine Fehlgeburt und verlor ein Bein, dass jedoch wieder angenäht werden konnte. Insgesamt sechs der zehn Opfer waren Mitglieder lokaler jüdischer Gemeinden.

Schon unmittelbar nach dem Bombenattentat, das damals bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte, verwiesen antifaschistische Gruppen in Düsseldorf auf den vorbestraften Neonazi Ralf S., der zu der Zeit in unmittelbarer Nähe des Tatorts ein „Survival Security & Outdoor“-Geschäft betrieb, welches den Hinweisgebern zufolge der Neonazi-Szene auch als Beschaffungsquelle für Waffen und Sprengstoff diente. Dem Hinweis aus dem antifaschistischen Milieu ging jedoch die Polizei nicht direkt nach. „Erst fünf Tage nach dieser Veröffentlichung reagierte die Polizei mit einer Hausdurchsuchung,“ so der Düsseldorfer Ratsherr Frank Laubenburg (Die Linke) am Mittwoch nach der Verhaftung des mutmaßlichen Bombenlegers.

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Der Tatort des rechten Terroranschlags am S-Bahnhof Wehrhahn in Düsseldorf im Jahr 2000.

Besonders brisant ist dabei, dass die Ermittlungsbehörden bei der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten am 2. August 2000 kein belastendes Material gefunden haben wollen, während fünf Monate später die Mitarbeiter eines Umzugsunternehmens im Keller des Angeklagten unter anderem eine militärische Übungshandgranate sowie allerlei neofaschistisches Propagandamaterial der „Deutschen Volksunion“ (DVU) entdeckten. So behauptete die Staatsanwaltschaft im Sommer 2000 noch, Ralf S. sei „nicht der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen“ – obwohl er bereits einschlägig vorbestraft gewesen war.

Auch wegen dieser anfänglichen Fehleinschätzung tappten die Ermittlungsbehörden lange im Dunklen, befragten insgesamt 1.400 Zeugen, gingen mehr als 300 Spuren nach und legten 69.000 Aktenseiten an, ohne dass sich ein dringender Tatverdacht ergab. Vieles deutet demnach daraufhin, dass auch die Blindheit der Behörden „auf dem rechten Auge“ – ähnlich wie bei den NSU-Morden – dazu führte, dass Ralf S. lange unbehelligt blieb und erst jetzt, mehr als 16 Jahre später, festgenommen wurde.

Erst im Juli 2014 kam wieder etwas Licht in die Sache: Laut dem zuständigen Ermittler Udo Moll meldete sich ein Mann aus der JVA Castrop-Rauxel, demgegenüber Ralf S. die Tat nicht nur gestanden, sondern sogar mit ihr geprahlt haben soll. S. saß damals in Haft, weil er eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte. „Jede Akte, jede Spur wurde darauf neu durchleuchtet“, so Kriminaldirektor Röhrl.

Nun tauchten auch Zeugen auf, die aussagten, S. hätte bereits im Vorfeld den Anschlag angekündigt. Zudem zog eine Zeugin, die S. 2000 ein Alibi verschafft hatte, ihre Aussage zurück und es wurde bekannt, dass vor der tat zwei Neonazis die Sprachschüler beschimpft hatten. Diese seien dann in das Geschäft von Ralf S. geflohen. Dieser Vorfall, so Moll, steht aller Wahrscheinlichkeit nach in Verbindung mit dem Attentat. Mittlerweile sitzt Ralf S. in Untersuchungshaft, wie die Polizei am Mittwoch mitteilte. „Das Gesamtbild belastet den Verdächtigen schwer“, so der Düsseldorfer Kriminaldirektor Markus Röhrl am Mittwochnachmittag.

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Rettungskräfte transportieren nach dem Anschlag am 27. Juli 2000 Verletzte ab.

Auch eine Sprengmittelausbildung, die S. als Zeitsoldat bei der Bundeswehr erhalten haben soll, stellt ein belastendes Indiz gegen den mittlerweile 50-Jährigen dar. zudem gebe es Hinweise darauf, dass der mutmaßliche Bombenleger bei Spaziergängen mit seinen Hunden die „Routineabläufe“ der auserkorenen Opfer auskundschaftete. Fast alle seiner damaligen Probleme habe Moll Ausländern zugeschrieben, ergänzt Moll.

Mittlerweile ist daher für den zuständigen Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück klar: „Der Tat lag eine fremdenfeindliche Absicht zugrunde.“ Die Anklage lautet auf versuchten Mord in zwölf Fällen. Zu Todesopfern sei es nur durch Glück nicht gekommen, betont Herrenbrück. Der Beschuldigte, der bis zuletzt – offenbar erfolglos – seine Dienste als „Sicherheitsberater“ anbot, schweigt zu den Vorwürfen.

Indes wird am kommenden Dienstag auch der NSU-Untersuchungsausschuss in NRW in einer Sondersitzung über S. und den Anschlag in Düsseldorf-Wehrhahn beraten.

Fußfessel oder nicht Fußfessel – eine politische Blendgranate mit potentiell fatalen rechtsstaatlichen Konsequenzen.

Berlin. Extremistische Gefährder sollen nach dem Willen der Bundesregierung mit elektronischen Fußfesseln überwacht werden können. Dies beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin im Zuge der Änderung des BKA-Gesetzes. Es obläge demnach künftig dem Bundeskriminalamt, zu entscheiden, ob eine Person, die es als terroristische Gefahr einstuft, dazu verpflichtet wird, ein solches Überwachungsgerät bei sich zu führen. Das BKA kann solchen Personen dann zur Gefahrenabwehr auch untersagen, die eigene Wohnung, oder einen bestimmten Bereich zu verlassen.

Auf die neue Überwachungsregelung hatten sich Innenminister Thomas de Maiziere und Justizminister Heiko Maas vor drei Wochen als Reaktion auf den Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin im Dezember geeinigt. Der Täter Anis Amri war vor der Tat von den Sicherheitsbehörden als Gefährder eingestuft worden, man hatte ihn aber aus den Augen verloren.

Das BKA soll nun eine Fußfessel verfügen können, wenn für die Überwachung des jeweiligen Gefährders keine Landespolizeibehörde zuständig ist.

Daraus ergeben sich zwei Probleme:

Erstens ist die Gesetzesänderung dadurch zunächst nahezu unwirksam – eine politische Blendgranate, um der Bevölkerung das Gefühl zu geben, man nähme sich dem Thema „Innere Sicherheit“ ernsthaft an -, weil die allermeisten der bundesweit rund 550 als Gefährder eingestuften Personen bereits nach Landesrecht überwacht werden – weshalb De Maiziere die Landesregierungen drängte, in ihren Polizeigesetzen ebenfalls erweiterte Möglichkeiten für Fußfesseln vorzusehen.

Zweitens bestehen ernsthafte Zweifel, ob der Rechtsstaatlichkeit der Maßnahme. So schreibt der Innenpolitiker Jan Korte von der Linkspartei in einem Statement: „Entweder eine Person bietet so klare Anhaltspunkte für die baldige Begehung einer Straftat, dass sie ohnehin rund um die Uhr überwacht werden oder in Gewahrsam genommen werden muss, oder dies ist nicht der Fall, und dann ist auch das Anlegen einer elektronischen Fußfessel verfassungsrechtlich nicht erlaubt. Alles andere wäre ein Verstoß gegen die gesetzliche Unschuldsvermutung.“ Die Regelung sei zudem derart unpräzise, dass sie einen solch massiven Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht und Freiheitsrecht der Betroffenen nicht rechtfertigen könne, so Korte weiter.

Fraglich ist auch, ob nicht Fußfesseln, die auf Verdacht eingesetzt werden – ähnlich wie Untersuchungshaft oder Polizeigewahrsam -, von einem Richter angeordnet werden müssten.

Die Novelle des BKA-Gesetzes, welches das Verfassungsgericht im vergangenen Jahr schon einmal wegen Privatsphäre-Bedenken gekippt hatte, müsste dementsprechend erneut auf seine Verfassungskonformität überprüft werden. „Wenn die Bundesregierung an ihren Fußfesselplänen festhält, riskiert sie …, dass das neue BKA-Gesetz wieder vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen wird. So ein Risiko einzugehen ist ebenfalls unverhältnismäßig, berücksichtigt man den geringen Effekt, den man davon hat,“ erklärt Korte.

Neben der Legalität des Gesetzes, ist auch die Wirksamkeit von Fußfesseln umstritten: So gibt es bisher keine Evidenz dafür, dass Fußfesseln tatsächlich Verbrechen verhindern können. Insbesondere dann nicht, wenn die Fußfesselträger nicht zusätzlich unter Hausarrest gestellt werden, sondern sich z.B. frei in einer Stadt bewegen dürfen. Korte schreibt dazu: „Die Fußfessel kann einzig zur Überwachung kooperationswilliger Menschen eingesetzt werden. Aber sie hält niemanden vom Morden ab. Sie verhindert au ch nicht das Untertauchen Verdächtiger. Die Fußfessel bringt also keinen zusätzlichen Nutzen. Sie mag das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erhöhen, aber sie erhöht nicht ihre Sicherheit.“ Er bezeichnet die Maßnahme dementsprechend als „Placebo“ – was als Äquivalent zur „politischen Blendgranate“ aufgefasst werden darf – mit „gefährlichen Nebenwirkungen für unseren Rechtsstaat“. Recht hat er!

Ähnlich äußert sich Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag: „Wenn der Verdacht nicht ausreicht, um jemanden einzusperren, mit welcher Begründung darf man ihm dann Fußfesseln anlegen? Und wie soll eine solche Fußfessel einen Anschlag überhaupt verhindern? Anis Amri hätte auch mit Fußfessel einen Lkw steuern können.“

(… ) Und wenn man schon über die Bekämpfung von Gefährdern redet, dann muss man wegkommen von der einseitigen Fokussierung auf islamistische Hetzer. Im Bereich des Neonazismus gibt es in Deutschland 12.000 gewaltbereite Neonazis, denen im Prinzip jedes Verbrechen zuzutrauen ist.

Ursprünglich war geplant gewesen, dass die Fußfessel nur angeordnet werden darf, wenn der Gefährder bereits wegen einer staatsgefährdenden Straftat verurteilt worden ist. Nach dem Berliner Anschlag wurde die Vorlage dann aber verschärft – ohne die Ermittlungen abzuwarten.

Bisher gibt es in Deutschland 88 Träger von Fußfesseln, alle wurden von Gerichten zum Tragen der Fußfessel verpflichtet, weil sie auch nach ihrer Haftentlassung noch als gefährlich eingestuft wurden. Diese werden im hessischen Bad Vilbel bei der „Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder“ (GÜL) von 16 Justizbediensteten rund um die Uhr überwacht. Nach ersten BKA-Schätzungen könnte die Zahl der Überwachten allerdings demnächst um rund 130 „hochaktive Gefährder“ steigen.

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88 vorbestrafte Gefährder werden bei der GÜL derzeit überwacht – sie alle wurden von Gerichten nach ihrer Haftentlassung als weiterhin gefährlich eingestuft – künftig soll dazu die gerichtliche Anordnung nicht mehr nötig sein.

Technisch könnten, so der GÜL-Chef Hans-Dieter Amthor, insgesamt bis zu 500 Personen per Fußfessel überwacht werden. Wenn die neue Regelung in Kraft tritt, müsste allerdings wahrscheinlich das Personal bei der Überwachungsstelle aufgestockt werden, so Amthor. Seit dem Beginn der bundesweiten Fußfessel-Überwachung im Jahre 2012 gingen bei der GÜL rund 15.000 Alarmmeldungen ein, wobei in 80 Prozent der Fälle der Akku leer war, in diesen Fällen wurde der Träger angerufen, wodurch sich der Vorfall klären ließ. Nur in 739 Fällen musste die Polizei ausrücken.

Am Ende steht einmal mehr die Frage, wie viel Freiheit – und Rechtsstaatlichkeit – wir bereit sind, für ein – trügerisches – Gefühl der Sicherheit zu opfern. Auf dieser Seite wird die Auffassung vertreten, dass Fußfesseln sich als Instrument nicht eignen, um schwere Straftaten zu verhindern, dass solche Maßnahmen – ähnlich wie längerer polizeilicher Gewahrsam oder Untersuchungshaft – gerichtlich beschlossen werden muss, und dass dementsprechend die von der Bundesregierung angestrebte Regelung, die Gerichte zu übergehen und die Verantwortlichkeit für einen so essentiellen Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte potentieller – also formal unschuldiger – Gefährder, einer Ermittlungsbehörde zu übereignen, verfassungswidrig ist.


Weiterführende Quellen:
Presserklärung der Bundesregierung: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2017/02/2017-02-01-bka-gesetz.html
Zur Gesetzesänderung: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Novellierung-des-BKA-Gesetzes-Elektronische-Fussfessel-fuer-Gefaehrder-3614572.html
Presseerklärung der Linkspartei: https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/fussfessel-fuer-gefaehrder-ist-placebo-mit-gefaehrlichen-nebenwirkungen/

Gericht verhindert Kontakt zwischen jüdisch-orthodoxen Kindern und Transgender-Elternteil – aus religiösen Gründen.

Manchester (Großbritannien). Ein Gericht im englischen Manchester hat beschlossen, einer Transgender-Frau den direkten Umgang mit ihren fünf Kindern zu verbieten, weil dies unvereinbar mit dem ultra-orthodox jüdischen Hintergrund ihrer Exfrau sei.

Das von Richter Peter Jackson gesprochene Urteil folgte einem zwölfmonatigen Rechtsstreit der Eltern um das Umgangsrecht mit den Kindern. Im Kern ging es darum, dass dem Transgender-Elternteil, der nun als Frau lebt und zuvor die orthodox-jüdische Gemeinschaft verlassen hatte, durch die Mutter der gemeinsamen Kinder der direkten Umgang diesen verwehrt wurde.

Die Anwälte der Mutter hatten argumentiert, dass die Kinder von der charedischen Gemeinschaft geächtet würden und damit kein normales Leben aufgrund ihres Kontakts mit einem Transgender-Elternteil leben könnten – inwieweit allerdings ein Leben in einer regressiv-religiösen Gemeinschaft, die nach Regeln aus dem 19ten Jahrhundert lebt, im 21ten Jahrhundert „normal“ ist, hinterfragten sie nicht. Obgleich orthodoxe Rabbis, die im Namen der Transgender-Frau handelten, vor Gericht erklärten, dass im Judentum Transgender-Personen nicht in dieser Weise bestraft werden dürften, beschloss Richter Jackson, das „Risiko“, dass „diese Kinder und ihre Mutter von ihrer Gemeinschaft ausgestoßen würden, wenn die Kinder persönlichen Kontakt mit ihrem Vater hätten“ sei zu groß, um persönlichen Umgang zu erlauben.

„Die profunden Konsequenzen einer möglichen Kontaktanordnung für das Kindeswohl abwägend habe ich die unliebsame Entscheidung getroffen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder oder die Mutter durch die ulta-orthodoxe Gemeinde marginalisiert oder ausgeschlossen werden, so real ist – und die Konsequenzen so bedeutend, dass dieser eine Faktor – trotz der vielen Nachteile – die vielen Vorteile des Kontakts überwiegt,“ so Richter Jackson weiter. „Deshalb beschließe ich mit echtem Bedauern, wissend, wie viel Schmerz es bereiten muss, dass der Antrag des Vaters auf direkten Umgang abgelehnt werden muss.“ Die Worte gingen dem Richter, so berichten Beobachter, sichtlich schwer über die Lippen – zu Recht, musste er doch, zum Wohl der Kinder, beschließen, dass sie ihren Vater, der sich ihnen gegenüber nie etwas zu Schulden kommen ließ, nicht mehr sehen dürfen, weil ihre Religion es verbietet.

Der Transgender-Frau wurde stattdessen erlaubt, ihre Kinder vier mal im Jahr per Brief zu kontaktieren – ein sehr schwacher Trost, wie man annehmen darf.

Richy Thompson, Kampagnenmanager der „British Humanist Association“ sagte der britischen Zeitung „The Independent“, die Entscheidung sei „extrem traurig“ vor dem Hintergrund des Fortschritts, der bei den Rechten von Transgender-Personen gemacht wurde. „In einer Zeit, in der sich die Gesellschaft in Richtung viel inklusiverer Ansichten gegenüber Trans-Personen und deren grundlegender Rechte bewegt, ist es sehr bedauerlich, dass eine religiöse Gemeinschaft solch diskriminierende Ansichten beibehalten kann, und damit droht, Kinder aufgrund der Gender-Identität eines Elternteils zu ächten, und dass wir sogar mit Familienrichtern konfrontiert werden, die solche Urteile sprechen wie dieses,“ erklärte er.

Der Fall zeigt eindrücklich, in welch fundamentalem Widerspruch zur modernen Realität sich regressive religiöse Gruppen wie das charedische Judentum befinden. Werden sie mit äußeren Einflüssen konfrontiert, die nicht in ihr Weltbild passen, ergeben sich für die Anhänger solcher Gruppen schwerwiegende Folgen. So ist kaum nachvollziehbar, wie die betroffene Trans-Frau mit sich gekämpft haben muss, ehe sie ihre ultra-orthodoxe Gemeinschaft verließ, um als Frau leben zu können.

Am Ende steht ein Gerichtsurteil, dass ambivalent zu betrachten ist: Einerseits hätte die Ächtung der Kinder durch die regressive Gemeinschaft – die von einigen Menschenrechtlern als Sekte bezeichnet wird -, in der sie sich bewegen, schwere psychologische Folgen, andererseits haben die Kinder – solange sich nicht auch die Mutter von der charedischen Gemeinschaft löst, kaum eine Chance auf ein modernes Leben, auf eine weltoffene Erziehung und wissenschaftlich-säkulare Bildung. Außerdem bleibt der fade Beigeschmack, dass hier einem Elternteil aus religiösen Gründen der Umgang mit den leiblichen Kindern untersagt wird.

Charedische Gemeinschaften entstanden im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die Säkularisierung des Judentum und die Emanzipationsbestrebungen der Juden in Mittel- und Osteuropa. Insgesamt gibt es weltweit etwa 1,3 bis 1,5 Millionen charedische Juden, die sich an die ultra-orthodoxe Auslegung ihrer Religion halten und den Kontakt mit der säkularen Welt stark beschränken. Die meisten von ihnen – 700.000 – leben in Israel, die meisten charedischen Juden in Europa – etwa 47.000 – leben in England.


Weiterführende Quelle:
British and Irish Legal Information Institute – Urteil und Prozessprotokoll.

Ajit Pai – Im Auftrag Donald Trumps gegen Netzneutralität und digitale Demokratie.

Washington D.C. (USA). Fast unbemerkt im Trubel um die Amtseinführung Donald Trumps, dessen rhetorischen Eskapaden, das Einreiseverbot für Muslime, die Mauer und andere unfassbar regressive Exekutivregelungen, die in den ersten zehn Tagen der neuen US-Administration auf den Weg gebracht wurden, wurde der Republikaner Ajit Pai zum Chef der U.S. Federal Communications Commission (FCC), der amerikanischen Kommunikationsbehörde, befördert. Für das Thema Netzneutralität kann das gravierende Folgen haben.

Man mag als Progressiver in Deutschland die anti-emanzipatorische und in vielerlei Hinsicht durch den Chefberater im weißen Haus und heimlichen Präsidenten Steve Bannon gesteuerte Politik des 45ten US-Präsidenten abscheulich finden. Die Trump-Mauer, die Abtreibungsverbote in konservativen Bundesstaaten, der Einreisestopp für Muslime – oder für Muslime mit Staatsangehörigkeiten von Ländern, in denen Trump und seine Partner keine finanziellen Interessen haben, um präzise zu sein – betreffen jedoch die meisten Deutschen nicht. Netzneutralität und deren Aushöhlung allerdings schon!

Anhand früherer Aussagen wird angenommen, dass Ajit Pai, der bereits als Kommissar in der FCC tätig war und zuvor auch im Justizministerium arbeitete, darauf hinarbeiten wird, dass – von Netzaktivisten hart erkämpfte – Telekommunikations- und Internet-Regulierungen der Obama-Regierung, welche die Netzneutralität von amerikanischer Seite garantieren sollen, wieder abgeschafft werden. Schon im Dezember zeigte sich Paj, der als Sohn indischer Einwanderer in Kansas aufwuchs, enorm kritisch gegenüber diesen Regelungen, demnach solle die FCC einen „Rasenmäher“ bei „unnötigen“ Regulierungen ansetzen.

Speziell die 2015 eingeführten eingeführten grundlegenden Regeln zur Netzneutralität, würden nicht überdauern, so Pai weiter. „In der Trump-Administration werden wir bei der FCC vom Spiel in der Defensive in die Offensive übergehen. Wir müssen den Rasenmäher anwerfen und diese Regeln abschaffen, die Investitionen, Innovationen und die Schaffung von Arbeitsplätzen behindern!“ Wobei Pai keinerlei Evidenz dafür anführt, inwieweit Netzneutralität Investitionen, Innovation und Arbeitsplatzschaffung negativ beeinflusst – weil dazu keine Evidenz existiert. Im Gegenteil: Da Webseiten kleiner Firmen und Organisationen – beispielsweise hoch-innovativer Start-Up-Unternehmen – vom Netzprovider genauso behandelt werden müssen, wie die Internetpräsenzen großer Konzerne, liegt sogar die Vermutung nahe, dass Netzneutralität sich gesamtwirtschaftlich innovationsfördernd auswirkt. Von der Deregulierung würden tendenziell allerdings Großkonzerne profitieren, die bereit – und finanziell fähig – sind, Internetprovidern mehr zu bezahlen, damit ihre Webseiten bevorzugt behandelt werden.

Pai wird außerdem eine zentrale Rolle in Entscheidungen treffen, die mit der Fusion von Konzernen im ohnehin stark konzentrierten US-Telekommunikationsmarkt zusammenhängen. Hier zeigte er sich zuletzt im Mai vergangenen Jahres recht konzernfreunlich, als er gegen die von der FCC beschlossenen Bedingungen zum Aufkauf von „Time Warner Cable“ durch „Charter Communication’s“ vorging. Im Prinzip ist er – wie so viele Neubesetzungen der Trump-Regierungen – der Traumkandidat des Großkapitals.

Großkonzerne wie Amazon dürfen Internetprovidern keine Sonderrechte abkaufen dürfen!
Großkonzerne wie Amazon können dank Netzneutralitätsregeln den Internetprovidern keine Sonderrechte abkaufen. Unter der Trump-Administration könnten diese Regeln gekippt werden.

Noch kurz vor dem Regierungswechsel hatte der vorige FCC-Chef Tom Wheeler der neuen republikanischen Administration dringend davon abgeraten, die Schutzregelungen zur Netzneutralität zurückzudrehen, die es Internetanbietern verbieten, den Zugang zu bestimmten Netzinhalten zu beschränken, zu verlangsamen oder zu beschleunigen.

Dass der neue FCC-Chef Pai und damit die wichtige Debatte über die Zukunft der Netzneutralität – nicht nur in den USA, denn das Internet ist ja in seiner Natur international – nicht öffentlich stattfindet, liegt – neben der offensichtlichen Befangenheit der großen Medienorganisationen beim Thema Netzneutralität – auch daran, dass Pai nicht vom Senat als FCC-Chef bestätigt werden muss und dass dementsprechend keine Anhörungen zu seiner Berufung stattfinden. Seine Amtszeit als Kommissar der FCC läuft allerdings Ende des Jahres aus, dann hätte der Senat – zumindest theoretisch – die Möglichkeit, seine Wiederernennung zu verhindern, um auf einen Kandidaten zu drängen, der für Netzneutralität eintritt. Dass dies ohne Druck aus der Gesellschaft geschieht, ist jedoch unwahrscheinlich.

Was in den Netzneutralitätsbestimmungen der USA geregelt ist.

Netzneutralität bedeutet, dass Internetprovider keine Sonderrechte an Großkonzerne verkaufen können. So werden unabhängige Blogger, kleine Unternehmen, NGOs und kleinere Webmagazine ebenso behandelt wie Großkonzerne. Dabei werden insbesondere drei Gruppen solcher Vorteile in den Netzneutralitätsregeln geregelt:

  • Spezialdienste: Mittels sogenannter Spezialdienste (Dienste, die nur Verbindungen zu bestimmten Zwecken zulassen) könnten Provider für Großkonzerne digitale „Überholspuren“ schaffen z.B. für Shopping-Apps und im Gegenzug das reguläre Internet drosseln.
  • Klassenbasiertes Verkehrsmanagement: Bisher behandeln Provider alle Daten gleich, weshalb relative Informations- und Wettbewerbsfreiheit sowie Chancengleichheit im Netz garantiert sind. Mittels klassenbasiertem Verkehrsmanagement könnten dagegen Internet-Provider nach eigenem Ermessen den Datenverkehr drosseln oder beschleunigen. Abhängig auch davon, welche Seiten besucht werden.
  • Zero-Rating: Bei diesem Geschäftsmodell, das insbesondere für Nutzer mobiler Geräte relevant ist, werden vom Internetprovider Daten bestimmter Anwendungen oder Dienste nicht für das monatliche Datenlimit der Nutzer mitgezählt. Auf diese Weise könnten Konzerne sich durch den Erwerb von Zero-Rating-Lizenzen unfaire Vorteile gegenüber kleineren Diensten erkaufen. Außerdem wäre der Netzprovider motiviert, das maximale Datenvolumen seiner Kunden möglichst gering zu halten um mehr solcher Zero-Rating-Lizenzen an Konzerne zu verkaufen, während der Kunde aus Kostengründen angehalten wäre eher Zero-Rating-Dienste zu nutzen als solche, die sein maximales Datenvolumen belasten.

Weiterführende Quelle:
MIT Technology Review – „What happens if Net Neutrality goes away?“
Sehr objektiv und wertungsfrei geschrieben, es wird allerdings klar: Fehlende Netzneutralität nutzt denen, die für Priorisierung zahlen können.

Russland beschließt Gesetz zur Dekriminalisierung häuslicher Gewalt – warum das immer noch Thema sein muss.

Moskau (Russische Föderation). Für viele – insbesondere Männer – im konservativen Spektrum ist es bis heute nichts ungewöhnliches, Ehefrau und Kinder zu schlagen. In Russland könnte dies künftig wieder erlaubt werden: Ein Gesetzentwurf, der vergangene Woche in der russischen Duma (dem Unterhaus des russischen Parlaments) beschlossen wurde, kann als erster Schritt in Richtung Re-Legalisierung von häuslicher Gewalt gewertet werden.

Zunächst soll das Gesetz, bei dem davon ausgegangen wird, dass es auch vom Oberhaus und vom russischen Präsidenten Wladimir Putin ratifiziert werden wird, den Strafrahmen für häusliche Gewalt deutlich absenken. Der Entwurf, der auch als „Ohrfeigen-Gesetz“ bezeichnet wird, regelt, dass Personen, die zum ersten Mal wegen häuslicher Gewalt verurteilt werden, nur noch zu höchstens 15 Tagen in Polizeigewahrsam und einer Geldstrafe verurteilt werden können, sofern ihre Tat nicht in „ernsthaften. Bisher liegt der Strafrahmen bei bis zu zwei Jahren.

Wenn in Russland künftig also jemand zum ersten mal angezeigt wird, weil er seine Kinder schlägt, wird nicht – wie hierzulande – einem regulären Prozess wegen Körperverletzung unterzogen werden, sofern keine „ernsten Verletzungen“ nachgewiesen werden können. Wobei der Wortlaut durchaus offen für Interpretationen ist: So wird das Gesetz aktuell so verstanden, dass Staatsanwälte keine Verfahren wegen häuslicher Gewalt mehr eröffnen werden können, sofern die Opfer der Tat nicht Brüche oder schwere körperliche Traumata durch die Tat erleiden. 

Im ersten Schritt wurde das „Ohrfeigen-Gesetz“ am vergangenen Donnerstag in der Duma mit 380 zu 3 Stimmen beschlossen. Befürworter des Gesetzentwurfs verweisen in ihrer Begründung auf eine Änderung des Strafgesetzes im vergangenen Juli, die einfache Tätlichkeiten gegenüber Fremden bereits dekriminalisierte, Tätlichkeiten innerhalb der Familie jedoch nicht. Zunächst galt der Entwurf der erzkonservativen Abgeordneten Yelena Mizulina, die auch federführend an Russlands berüchtigtem Gesetz gegen „Homosexuelle Propaganda“ beteiligt war, noch als chancenlos. Dies änderte sich jedoch, als ein konservativer Journalist den russischen Präsidenten in dessen jährlicher Medienkonferenz auf die rechtlichen Folgen von Tätlichkeiten ansprach.

„Wenn ein Vater seinem Sohn aus gutem Grund den Hintern versohlt, um ihm eine Lektion zu erteilen, eine traditionelle russische Lektion, wird er zu zwei Jahren Haft verurteilt – und wenn ein Nachbar das selbe tut, wird er mit einer Geldstrafe davon kommen,“ so der Journalist. Dieser Satz, der die ganze Abscheulichkeit der regressiven Ideologie recht bildlich darstellt, glauben doch Rechte ernsthaft, ein Kind – oder eine Frau – lerne durch Schläge, könne Schläge gar „verdient haben“, beförderte Mizulinas Entwurf in den Aufwind. Mizulina geht in ihrer Begründung noch weiter und meint: „In der traditionellen russischen Familienkultur, sind Beziehungen zwischen ‚Vätern und Söhnen‘ auf der Autorität der Kraft der Eltern aufgebaut.“ Mit anderen Worten: Es muss erlaubt bleiben, Kinder und Frauen zu schlagen, weil es der russischen Tradition entspricht. Wenn je ein Beispiel gebraucht wird, wie gefährlich Traditionalismus sein kann, ist es in diesem Satz einer Politikerin zu finden, die sich offensichtlich niemals mit der Psychologie von Kindern – oder Gewaltopfern – befasst hat.

Dementsprechend nannten Gegner des „Ohrfeigen-Gesetzes“ dieses auch eine „Lizenz zur Gewaltanwendung durch Autoritätspersonen“. Die Russische Gender-Forscherin Svetlana Aivazova erklärt dazu in der „New York Times“: „Es wird deutlich, dass die Abgeordneten Gewalt als Normalität im Familienleben akzeptieren. Das zeigt, dass die Duma-Abgeordneten nicht nur konservativ oder traditionell denken, sondern archaisch!“

Die Aktivistin fügt hinzu, dass laut Statistiken des russischen Innenministeriums im Jahr 2013 mehr als 9.000 Frauen bei kriminellen Übergriffen starben und dass „mehr als ein Viertel aller Morde in der Familie begangen werden.“ In den USA – wo die Mordrate verglichen mit Deutschland noch immer exorbitant hoch ist – zeigen Statistiken, dass jährlich rund 1.000 Frauen durch Ehemänner und Lebensgefährten getötet werden. Weniger als halb so viele wie in Russland also, obwohl die Vereinigten Staaten etwa doppelt so viele Einwohner haben wie Russland. Die von Aivazova zitierte Statistik zeigt weiterhin, dass 40 Prozent der angezeigten Gewaltdelikte in Russland in der Familie stattfinden – in Deutschland sind es etwa 20 Prozent. Wobei von Polizei und Frauenverbänden aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen in der Familie hohe Dunkelziffern angenommen werden – die umso höher sind, je weniger häusliche Gewalt in der Gesellschaft geächtet wird.

Die Legislatur zur Dekriminalisierung von Tätlichkeiten in der Familie erfährt in Russland erschreckend viel Zustimmung, so glauben mindestens 20 Prozent der Russen, es sei in Ordnung, Kinder oder Ehefrauen zu schlagen. Der Gesetzentwurf hat außerdem die aktive Unterstützung der Russisch-Orthodoxen Kirche, die im vergangenen Jahr körperliche Bestrafungen als russische Tradition verteidigte, das Recht, sein eigenes Kind zu schlagen sei demnach „ein essentielles Recht, das den Eltern von Gott selbst gegeben“ sei. Die russischen Konservativen erinnern damit einmal mehr daran, dass nicht nur Saudi-Arabien oder Qatar immer noch patriarchalisch organisiert sind.

Gewalt in der Beziehung oder in der Familie ist jedoch auch in Deutschland noch immer ein Problem, so wurden 2015 insgesamt 127.457 Personen Opfer von Partnerschaftsgewalt, davon knapp 82 Prozent Frauen. Bei sexueller Gewalt in der Partnerschaft waren dabei die Opfer fast ausschließlich weiblich. Bei vorsätzlicher Körperverletzung sowie bei Tötungsdelikten waren die Opfer zu 80 Prozent Frauen. Wobei die Anzahl der angezeigten Fälle von häuslicher Gewalt zugenommen hat – ob dies mit einer tatsächlichen Zunahme der Delikte, oder vielmehr mit einer größeren Bereitschaft, häusliche Gewalt anzuzeigen, zusammenhängt ist allerdings unklar.

Belastbare Zahlen zur familiären Gewalt gegen Kinder sind allerdings kaum zu finden, denn auch in Deutschland werden Gewaltdelikte gegen die eigenen Kinder nur in den seltensten Fällen überhaupt angezeigt. Schließlich schlagen Eltern und Großeltern hinter verschlossenen Türen zu und weder sie noch die Betroffenen wollen darüber sprechen – aus Scham, falsch verstandener Loyalität, einem Gefühl der Mitschuld oder weil sie unter Druck gesetzt werden. Außerdem können sich Kinder an Schläge vor ihrem dritten Lebensjahr später kaum noch erinnern, gerade in diesem Alter seien Kinder jedoch häufig Opfer von Gewalt, so Cordula Lasner-Tietze vom Deutschen Kinderschutzbund.

Gerade das Erleben von Gewalt in der frühen Kindheit und häufige Übergriffe im Laufe des Lebens können allerdings den psychischen und physischen Gesundheitszustand stark beeinträchtigen. So leiden frühere Gewaltopfer, signifikant häufiger unter körperlichen und psychosomatischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magen-Darm-Problemen, Schwindel, Blutdruckschwankungen sowie gynäkologischen Beschwerden. Zu den psychischen Folgen von Gewalt gehören außerdem Depressionen, Stresssymptome, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Essstörungen und Suizidalität.

Bei Kindern mit Gewalterfahrungen wurden außerdem Beeinträchtigungen in der geistigen und emotionalen Entwicklung festgestellt. Auch Lernschwächen können demnach Folgen frühkindlicher Gewalt sein.

Gerade die überproportionale Schädlichkeit frühkindlicher Gewalterlebnisse und die psychologischen Folgen des Vertrauensverlusts gegenüber den Eltern, den ein familiäres Gewalterlebnis für ein Kind bedeutet, macht also jede Lockerung der Gesetze gegen häusliche Gewalt besonders gefährlich.

Untersuchungen haben dabei ergeben, dass zum einen Mütter beinahe so oft zuschlagen wie Väter und dass sich häusliche Gewalt nicht auf sozial schwache Familien beschränkt: So ergab die Bielefelder Gewaltstudie von 2013, dass fast jedes dritte Kind im prekären Milieu schon einmal geschlagen wurde. Bei den Kindern aus vermögenderen Elternhäusern waren es jedoch immer noch 22,7 Prozent.


Weiterführende Quellen:
Bundesfamilienministerium – Häusliche Gewalt.
Psychologie Heute – Die Folgen von Gewalt.
Welt.de – „Oft erinnern sie sich nicht an die Schläge“.
Polizeiberatung – Häusliche Gewalt.
Polizeiberatung – Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt.

Lügen, Depressionen, Wirkungslosigkeit – Die grausame Wahrheit über die Schwulenheilung.

Im vergangenen Dezember hat Malta sogenannte Konversionstherapien, also Behandlungsverfahren, die das Ziel verfolgen, die sexuelle Orientierung oder Identität von der Homosexualität zur Heterosexualität zu verändern, verboten. Aus dem Milieu der „Gender-Kritiker“ und der sogenannten „Ex-Gay-Bewegung“ gibt es an dieser Entscheidung massive Kritik bis hin zum Vorwurf des Totalitarismus gegenüber der maltesischen Regierung. Homosexuelle, so argumentieren die Anhänger der „Ex-Gay-Bewegung“, müssen frei darüber entscheiden dürfen, ob sie ihre Homosexualität annehmen, oder ob sie diese therapieren lassen. Indem man Verbote der umstrittenen Konversions- oder Reparativtherapie unterstütze, zwinge man anderen die eigene Meinung und den eigenen Lebensstil auf. (Auf die letzten beiden Sätze wird diese Arbeit noch zurück kommen.)

Nachdem Malta die kontroversen Behandlungen schon Ende vergangenen Jahres verboten hat, berät seit Jahresbeginn auch das taiwanesische Parlament über einen Gesetzesentwurf des Gesundheitsministers, der Versuche von „Schwulenheilung“ unter Strafe stellen soll. In Deutschland allerdings bleibt Konversionstherapie zunächst legal und in den USA wurde mit Mike Pence gerade ein Politiker zum Vizepräsidenten erhoben, der doch tatsächlich mehr staatliche Mittel in die Konversionstherapie investieren will. Verbote der umstrittenen Praxis bleiben global die Ausnahme.


Vorbemerkung: Die vorliegende Arbeit soll unter kurzer Bezugnahme auf aktuelle Ereignisse die wissenschaftlichen Grundlagen zur Konversionstherapie in aller Kürze zusammenfassen. Weiterführende Quellen sind am Ende des Artikels zu finden.


Verbot in Malta und Situation in Deutschland.

Die Entscheidung, Konversionstherapien zu verbieten, fiel im Parlament der Mittelmeerinsel einstimmig. Schon vor der eigentlichen Abstimmung hatten sämtliche Parlamentsmitglieder ihre Unterstützung für das Gesetz zugesichert. Seit dem Jahreswechsel drohen dort nun jedem eine Geldstrafe von 1000 bis 5000 Euro sowie fünf Monate Gefängnis, der versucht, die sexuelle Identität einer Person auf therapeutische Weise zu verändern. Für ausgebildete Ärzte und Therapeuten sind die Strafen noch deutlich härter: Ihnen drohen 2000 bis 10000 Euro Geldstrafe sowie bis zu ein Jahr Haft. Ausdrücklich ausgenommen sind in dem Gesetz allerdings PsychotherapeutInnen, die „unvoreingenommen“ Menschen beim Umgang mit ihrer sexuellen Identität unterstützen.

Malta gilt gemeinhin als das LGBTI-freundlichste Land Europas, nirgendwo sonst genießen Lesben, Schwule, Trans- und Intersexuelle so viele Rechte wie in dem kleinen Inselstaat.

In Deutschland sähe das wohl anders aus, eine Einstimmigkeit für ein Verbot käme zumindest nicht zustande – wenn eine entsprechende Vorlage es denn je in die Parlamente schaffen sollte -, denn obwohl Menschenrechtsverbände und progressive Kräfte seit langem politisches Handeln in der Thematik fordern, hat die „Ex-Gay-Bewegung“ sowohl bei der Union als auch bei der AfD einflussreiche Unterstützer. Zu den wichtigsten Advokaten der Umpolungsbehandlungen gehören in Deutschland das fundamentalistische „Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft“ (DIJG), das Teil der evangelischen Amtskirche ist, sowie der evangelikal-konservative Verein „Wüstenstrom“ mit Sitz im baden-württembergischen Tamm, der bereits wegen emotional schädigender Therapieansätze bis hin zum psychischen Zwang in die öffentliche Kritik geraten ist. Wobei „Wüstenstrom“ mittlerweile wohl in der „Bewegung“ kaum noch Relevanz hat, der Organisator,  Markus Hoffmann, tritt stattdessen jüngst häufiger mit der „Bruderschaft des Weges“ auf, einer kleinen Gruppe von Personen – offenbar aus dem „Wüstenstrom“-Umfeld, die angeben, ihre Homosexualität nicht auszuleben. Auch „Wüstenstrom“ hat Verbindungen zur evangelischen Amtskirche in Deutschland (EKD).

Zusätzlich erschwert wird in Deutschland eine Anti-Konversionsgesetzgebung, weil es im Grundgesetz – im Gegensatz zur maltesischen Verfassung – keinen expliziten Schutz der sexuellen Orientierung und Identität gibt. LGBTI-Organisationen streiten hierfür zwar seit Jahren, bisher scheiterte jedoch jeder Versuch, die nötige Änderung des dritten Verfassungsartikels in die Wege zu leiten – insbesondere an den Unionsparteien. Das DIJG spricht sich auf seiner Homepage klar gegen einen verfassungsmäßigen Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Identität aus. Solche Position – hinterlegt mit religiös-pseudowissenschaftlicher – Scheinevidenz verbreitet das Institut über ein Netzwerk christlich-fundamentalistischer Vereine und Organisationen, die auch politische Lobbyarbeit leisten und beispielsweise Mitorganisatoren der „genderkritischen“ „Demo für alle“ sind, auf der sich auch AfD-Politiker immer wieder gerne sehen lassen. Dabei setzt übrigens das DIJG auch entgegen aller wissenschaftlichen Forschung auch Pädophilie und Homosexualität gleich. Eines der Hauptargumente gegen den Schutz der sexuellen Identität wird damit der Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen. Tatsächlich ist die Argumentation des Instituts hierzu ziemlich bemerkenswert – um nicht zu sagen unverschämt.

Wissenschaftliche Betrachtung der Wirksamkeit von Konversionstherapie.

Trotz aller religiös-fundamentalistischen Motivation der „Ex-Gay-Initiativen“ – und hinter solchen Initiativen stecken ausnahmslos religiöse Motive – behaupten das DIJG, „Wüstenstrom“ und andere immer wieder, sich auf wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit der sogenannten Konversions- oder Reparativtherapien berufen zu können. Es gilt daher zunächst, diese Studien einmal auszuwerten, um die Evidenz zu beurteilen, auf die sich die selbsternannten Schwulenheiler stützen.

Hierzu stellte Dr. Reinhold Weicker von der „ökumenischen Initiative Homosexualität und Kirche“ (HuK) in einer Arbeit für den Evangelischen Kirchentag Dresden am 03.06.2011 zunächst fest, dass die angebliche Evidenz einerseits in aller Regel sehr allgemein und ungenau zitiert wird, die Initiativen blieben demnach bewusst undeutlich. Andererseits gebe es aber auch Fälle, in denen die Studienergebnisse, auf die sich die „Ex-Gay-Bewegung“ stützt, schlicht falsch oder irreführend wiedergegeben wurden.

So erklärte die Kinderärztin und Leiterin des DIJG, Dr. Christl Ruth Vonholt bei einem Vortrag in Wien im Februar 2008 fälschlicherweise: „Eine größere Zahl wissenschaftlicher Studien belegt, dass eine Abnahme homosexueller Empfindungen und die Entwicklung einer reifen Heterosexualität möglich sind. So führte Robert Spitzer, Columbia Universität New York (2003) eine detaillierte Untersuchung durch. Über 60 Prozent der Männer und über 40 Prozent der Frauen hatten nach entsprechender Therapie dauerhaft zu einem ‚guten heterosexuellen Leben‘ gefunden.” Aus Spitzers Studie lassen sich die angegebenen Zahlen jedoch nicht entnehmen, sie sind schlicht erfunden, zumal ohnehin fraglich ist, ob sich Spitzers Untersuchung überhaupt für Aussagen über die „Heilbarkeit“ von Homosexualität eignet.

Ähnlich wie Dr. Vonholt äußerte sich auch der Geschäftsführer des „Werks für Sexualethik – weißes Kreuz”, einer dritten bedeutenden Institution in der deutschen „Ex-Gay-Bewegung“, der Pfarrer Rolf Trauernicht in einem Text auf der Website seiner Organisation: „Wenn man die Ergebnisse verschiedener Studien zusammenfasst, kann man davon ausgehen, dass ca. 40% der Homosexuellen die Kraft haben, an sich zu arbeiten und Veränderung in Richtung Heterosexualität zu erfahren. Ca. 30% leiden weiter an ihrer Neigung, ohne den sexuellen Kontakt zu leben und ca. 30% bleiben ihrer homosexuellen Neigung und Praxis treu.” Auch bei Trauernicht bleibt völlig unklar, woher seine Prozentangaben stammen – von einer veröffentlichten Studie sind sie nicht gedeckt.

Hinzu komme, so Weicker, dass in den Aussagen über die „Heilungschancen“ regelmäßig wertende Begriffe aus dem religiösen statt aus dem wissenschaftlichen Kontext verwendet werden. So beantwortete „Exodus International“, der amerikanische Dachverband der „Änderungsbefürworter“, die Frage „Was ist die Erfolgsquote, wenn es um die Änderung von homosexuell nach heterosexuell geht?“ auf seiner Website folgendermaßen: „Lass uns die Frage umformulieren. Gibt es begründete Hoffnung dafür, dass Männer und Frauen, die Anziehung zum gleichen Geschlecht erleben, diese Versuchungen überwinden und ein Leben in sexueller Integrität führen können?” Die benutzten Worte seien hier bewusst nicht neutral gewählt, so Weicker.

Neben den inkonsistenten Aussagen über die tatsächliche „Heilbarkeit“ beobachtet Dr. Weicker, dass bei allen mehr oder weniger ernstzunehmenden „Ex-Gay-Initiativen“ aus der Position, Homosexualität sei nicht – wie von der angeblichen Propaganda der „Schwulen-Lobby“ behauptet – genetisch oder biologisch bedingt, der unberechtigte Umkehrschluss gezogen werde, dass sie dann nur psychisch bedingt sein könne, also prinzipiell änderbar sei. Öffentlich werde dabei zumeist von“Änderung“ gesprochen, von „Heilung“ und dem „homosexuellen Problem” nur gegenüber Gleichgesinnten.

Zur tatsächlichen wissenschaftlichen Überprüfung von Behauptungen über Erfolge und Misserfolge von deutschen Schwulenheilern schreibt Dr. Weicker: „Aus dem deutschsprachigen Raum gibt es Einzelberichte (‚Ich kenne da jemanden‘, ‚viele‘), mir sind aber keine systematischen Studien von neutraler Seite bekannt.“ Ihm selbst sei jedoch niemand namentlich bekannt, der sich als „erfolgreich geheilter Homosexueller“ identifiziert, der nicht „in der Beratung mit dem Ziel einer Umorientierung tätig“ sei.

Das selbe gelte allerdings auch in Bezug auf die Schädlichkeit der Therapieversuche: Da sich Personen, die sich an die Presse wenden in der Regel ihre Anonymität bewahren wollen, sei es schwierig, deren Einlassungen nachzuprüfen – wenngleich durchaus verständlich sei, dass diese Personen unerkannt bleiben wollen.

Belastbare Empirie gebe es demnach aus Deutschland weder zur Wirksamkeit, noch zur Schädlichkeit von Konversionstherapie. Aus den USA dagegen stammen inklusive der bereits genannten Spitzer-Studie insgesamt drei empirische Untersuchungen, die (mehr oder weniger) quantifizierbare Ergebnisse erzielten:

  • Robert Spitzer: „200 Interviewteilnehmer, die sagen, dass sie ihre homosexuelle Orientierung zugunsten einer heterosexuellen Orientierung verändert haben.” (Vortrag, APA 2001, später Zeitschriften-Veröffentlichung).
  • Ariel Shidlo / Michael Schroeder: Änderung der sexuellen Orientierung: Ein „Verbraucher-Bericht” (Vortrag, APA 2001, später Zeitschriften-Veröffentlichung). Englisch.
  • Stanton Jones / Mark Yarhouse: „Ex-gays? A Longitudinal Study of Religiously Mediated Change in Sexual Orientation”. Buch (414 S., 2007), nur englisch verfügbar.

Auf alle drei Untersuchungen geht Weicker in seinem Referat im Detail ein, im Folgenden seien seine Ergebnisse kurz zusammen gefasst:

Die Spitzer-Studie, die bei Verfechtern der „Änderbarkeit” besonders beliebt ist, weil er bei der Entscheidung der American Psychological Association (APA), Homosexualität 1973 aus der Liste der psychischen Krankheiten zu streichen, eine wesentliche Rolle gespielt hatte, ist nicht geeignet, überhaupt eine Aussage über die Erfolgsquoten von Konversionstherapien zu treffen, weil nur solche Personen telefonisch befragt wurden, die sich selbst als „Erfolgsfall“ identifizierten. Einen Versuch, Menschen zu finden, die mit einer Therapie begonnen haben, diese aber abbrachen, gab es nicht. Zu bedenken gibt Weicker beider Untersuchung außerdem, dass 78 Prozent der Probanden sich vorher schon „in der Öffentlichkeit für das Recht auf Veränderung eingesetzt” hatten. Verbunden mit der späteren Einlassung Spitzers, wie schwer es gewesen sei, 200 passende Teilnehmer zu finden, deutet sich eine Beeinflussung der Untersuchung durch „Ex-Gay-Aktivisten“ an.

Seltener zitiert wird die Studie der beiden homosexuellen Psychiater Ariel Shidlo und Michael Schroeder, die ihre Ergebnisse auf dem selben Kongress 2001 vorstellten wie Spitzer. Sie hatten auch beinahe die selbe Anzahl an Studienteilnehmern (202, von ursprünglich 216) wie Spitzer. In der Untersuchung wurden die Probanden zu ihren Erfahrungen mit Konversionstherapien befragt, wobei die Autoren zwischen „klinischen” (durch therapeutische Fachleute durchgeführten), und „nicht-klinischen” (meist durch religiös motivierte Gruppen durchgeführten) Therapieansätzen unterschieden.

87 % der Befragten bezeichnen sich in der Shildo/Schroeder-Studie als „Fehlschlag”, nur 13 % als „Erfolg”, wobei nur ein Teil der „Erfolge“ angaben, zur Heterosexualität gefunden zu haben, die Übrigen gaben an, sich mit einem selbst auferlegten Zölibat zufrieden gegeben zu haben. Zu bedenken geben die Autoren allerdings, dass unter den acht Personen (oder vier Prozent) in der Gruppe, die von einer „Verschiebung zum Heterosexuellen hin” berichteten, sieben in der „Ex-Gay-Beratung“ tätig waren, vier davon hauptamtlich. Auch hier scheint eine Beeinflussung der Studie alles andere als ausgeschlossen.

Die dritte Studie, die gerne als wissenschaftliche Evidenz für die Möglichkeit, die sexuelle Identität zu verändern, herangezogen wird, ist die vom amerikanischen Dachverband der Schwulenheiler, „Exodus“, finanzierte Langzeit-Untersuchung von Stanton Jones und Mark Yarhouse, die im Buch „Ex-Gays?“ erschien. Jones und Yarhouse begleiteten im Gegensatz zu den bisher erwähnten Wissenschaftlern die Probanden ihrer Untersuchung direkt von Anfang an, während deren Behandlung – auf diese Weise mussten die Probanden sich nicht längere Zeit zurück erinnern. Das Buch ist durchaus an wissenschaftlichen Standards orientiert, so verschwiegen die Autoren auch nicht, dass sich zur Zeit der Untersuchung außerhalb der Studiengruppe zwei Personen infolge von Konversionstherapie das Leben nahmen. Das Forschungsprojekt hatte allerdings einen Haken: Alle 98 Probanden wurden von „Exodus“ selbst ausgewählt und den Forschern vermittelt – was der Organisation ungeheuerlichen Spielraum für Beeinflussung ermöglichte. 

Die Autoren nennen am Ende eine Erfolgsquote von unglaublichen 38 Prozent beziehungsweise von 26 Prozent, sofern Therapieabbrüche, die häufig waren (33 Prozent), als Misserfolge gewertet werden – und nicht aus der Statistik herausgerechnet werden. Diese 26 Prozent teilen sich allerdings wiederum auf in 15 Prozent, die sich letztlich vorgenommen haben, gar keine Sexualität auszuleben, während nur 10 Prozent der Probanden am Ende angaben, eine Wandlung zur Heterosexualität erfahren zu haben. Wobei mindestens einer davon seine Angabe mittlerweile – noch vor Erscheinen des Buches – revidierte und klarstellte, er akzeptiere nun seine homosexuelle Identität. So bleiben von 98 Personen am Ende neun Personen, die – nach eigenen Angaben – durch die Behandlung heterosexuell wurden, ob sie sich heute noch so einstufen würden ist unbekannt. Und selbst bei diesen neun „Erfolgsgeschichten“ gibt es noch offene Fragen.

Nach Analyse der drei zentralen Studien und deren Abgleich mit den Behauptungen der Schwulenheiler-Organisationen kommt Weicker zu dem Schluss, dass am Anfang immer die Überzeugung „Homosexualität ist etwas Schlechtes, ist abzulehnen” steht. Um diese Überzeugung herum werde dann eine Pseudowissenschaft mit der Prämisse „sexuelle Identität ist veränderbar“ gesponnen, deren Ergebnisse entsprechend des eigenen Weltbildes interpretiert werden können. Weicker zitiert in diesem Zusammenhang auch die Ärztin Dr. Valeria Hick, die dazu 2007 schrieb: „Die Prämisse, Homosexualität müsse von der Bibel her falsch sein, ist so stark, dass mit aller Macht der wissenschaftliche Nachweis gesucht wird. Allzu oft wird dabei bestenfalls selektiv wahrgenommen und schlimmstenfalls auch kurzerhand ein wissenschaftliches Ergebnis völlig verbogen.”

Abschließend stellt Weicker fest: „Ich will nicht behaupten, dass es nirgendwo eine ‚erfolgreiche‘ Veränderung geben kann. Es kann ja irgendwo auf der Welt einen weißen Elefanten geben; nur mir ist noch keiner begegnet.“

Dass Homosexualität also veränderbar zur Heterosexualität ist, dürfte zumindest als sehr unwahrscheinlich, wenn nicht sogar als ausgeschlossen gelten, wenn man zusätzlich die offensichtliche Einflussnahme der „Ex-Gay-Bewegung“ auf die einzigen drei empirischen Studien mit wissenschaftlichem Anspruch bedenkt. Andererseits lassen sich vielleicht einige „Erfolge“ der Konversionstherapie auch damit erklären, dass Sexualität nicht absolut bipolar ist: Zwischen Homosexualität und Heterosexualität liegt ein breites Spektrum sexueller Identitäten (aber das wollen die „Gender-Kritiker“ ja erst recht nicht wahrhaben).

Nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich?

Dass es „sehr unwahrscheinlich“ sei, dass „Individuen [durch Konversionstherapie] fähig sind, gleichgeschlechtliche Anziehung zu verringern oder heterosexuelle Anziehung zu verstärken, geht auch aus einem Papier einer Forschungsgruppe der American Psychological Association von 2007 hervor, zusätzlich stellte die Forschungsgruppe damals fest, man könne keine definitive Aussage darüber treffen, inwieweit Konversionsbehandlungen sogar schädlich sein könnten.

Allerdings gibt es sehr klare Evidenz, die zeigt, dass gesellschaftliche Vorurteile signifikante medizinische und psychologische Probleme bei LGBTI-Personen auslösen. So belegte beispielsweise ein Forschungsprojekt zur familiären Akzeptanz von LGBTI-Jugendlichen, das an der San Francisco State University durchgeführt wurde, dass Jugendliche, die wegen ihrer sexuellen Identität oder Orientierung von ihren Eltern stark zurückgewiesen wurden, verglichen mit LGBTI-Jugendlichen, die deshalb keine oder nur geringe Zurückweisung erfuhren, mit achtfacher Wahrscheinlichkeit suizidgefährdet waren, mit sechsfacher Wahrscheinlichkeit starke Depressionen entwickelten, mit dreifacher Wahrscheinlichkeit unter sexuell übertragbaren Krankheiten litten und mit dreifacher Wahrscheinlichkeit illegale Drogen konsumierten.

Diese Zahlen zeigen: Sozialer Druck auf LGBTI-Menschen kann gravierende Auswirkungen haben und so ist es nur logisch, anzunehmen, dass Konversionstherapie ähnliche Auswirkungen hat, wenn sie unter der Prämisse „Homosexualität ist Sünde/unnatürlich/falsch“ durchgeführt wird – und das wird sie in aller Regel. Insbesondere wenn „Patienten“ feststellen, dass keine Ergebnisse durch die Behandlungen erzielt werden, kann dies zu weiterem Stress, Depressionen und der Isolation von Betroffenen führen.

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Menschenrechtsverbände versuchen auch in Deutschland ein Verbot der Konversionstherapie zu erwirken. Gerade bei jungen Menschen findet diese häufig vor dem Hintergrund starken sozialen Drucks statt.

In Deutschland spricht sich die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), die größte Fachgesellschaft für Psychiater und Psychotherapeuten klar gegen Versuche aus, Homosexualität zu behandeln: „[LGBTI-Personen] entwickeln häufiger affektive Störungen, Angststörungen und Substanzmissbrauch und zudem besteht eine dreifach erhöhte Suizidrate bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit homo- oder bisexueller Orientierung. Die höhere Prävalenz psychischer Störungen bei Menschen mit homo- oder bisexueller Orientierung ist durch direkt oder indirekt erfahrene Diskriminierung bzw. durch eine andere psychische Entwicklung (wie z.B. internalisierte Homophobie, Selbstentwertung oder starke Schuld- und Schamgefühle) bedingt.“

Bedenkt man zusätzlich, dass Konversionstherapien wohl meistens aufgrund von familiärem, religiösem oder gesellschaftlichen Druck – bei Jugendlichen bis hin zum elterlichen Zwang – begonnen werden, dann fällt es nicht schwer, zu erahnen, welches psychisches Leid Menschen erdulden müssen, die an solchen Behandlungen teilnehmen. (Womit sich der Kreis zur Behauptung, ein Verbot von Konversionstherapie richte sich gegen den freien Willen, schließt: Ein Verbot solcher Behandlungen ist nicht totalitär, sondern dient dem Schutz der LGBTI-Community vor religiösem und weltanschaulichem Totalitarismus!)

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Jugendliche, die in ihrem Umfeld wegen ihrer sexuellen Identität starke Zurückweisung erfahren, sind deutlich öfter depressiv als LGBTI-Jugendliche, die Akzeptanz erfahren.

Für die Erforschung der Schädlichkeit von Konversionsbehandlungen stellt es allerdings ein Problem dar, dass Betroffene sich seltenst zu erkennen geben. Weiterhin gibt es Vermutungen, dass das Problem der Konversionsversuche weit über das fundamentalistisch-christliche Niveau hinausgehe, so erklärte die Psychologin Gisela Wolf im „Stern“ im April 2015, man wisse aus britischen Erhebungen, dass selbst Hausärzte – vor allem männliche, ältere Hausärzte – regelmäßig aufgrund ihrer eigenen Vorurteile versuchten, ihren Patienten deren Homosexualität „auszureden“.

Wie soll Konversionstherapie eigentlich funktionieren?

Wie schon erwähnt, ist allen Therapieansätzen gemein, dass sie aufgrund eines klassisch fehlerhaften Umkehrschlusses von einer rein psychologischen Ursache der Homosexualität ausgehen, ansonsten gibt es allerdings erhebliche Unterschiede.

Nicht religiöse, psychotherapeutisch-orientierte Ansätze, sind oft orientiert an psychoanalytischen Ansätzen, so wird die Homosexualität beim Mann beispielsweise durch einen zumindest emotional abwesenden Vater und eine über-aktive Mutter erklärt.

Findet die „Therapie“ auf „christlich-seelsorgerlicher” (ergo fundamentalistischer) Basis statt, gehen die Ansätze von der „Gesundung“ durch Gebet und Lobpreisung Gottes über den Exorzismus mit psychoanalytischem Einschlag bis hin zur „Aversionstherapie“ bei der das Zeigen von homosexuell erotischen Bildern mit negativen Impulsen verbunden wurde – letzteres ist glücklicherweise zumindest in der westlichen Welt quasi ausgestorben. Es gibt allerdings auch „kreativere“ Überlegungen, wie die im evangelikalen Milieu der USA populären Wochenendkurse „Journey into Manhood” von „People Can Change”, bei denen Personen in typische Geschlechterrollen konditioniert werden sollen, um ihre Homosexualität zu überwinden.


Anmerkung der Redaktion: Im Folgenden sind weiterführende Artikel, interessantes und Informationsquellen zur Konversionstherapie angegeben. Es ist uns ein besonderes Anliegen, dass Personen, die sich in ihrer sexuellen Identität unsicher sind, die unter Druck geraten an einer solchen Therapie teilzunehmen, oder die sexuell unsichere Personen in ihrem Umfeld haben, sich intensiv mit den Gefahren und Problemen der Konversionstherapie – die wir für zutiefst unwissenschaftlich halten -, auseinandersetzen.

Wir erklären uns solidarisch mit allen politischen Kräften, die solch pseudowissenschaftliche Therapieansätze verbieten wollen. 

Die Arbeit von Dr. Reinhold Weicker sei an dieser Stelle übrigens durchaus empfohlen, aus Sicht eines homosexuellen Christen und Wissenschaftlers ergründet der Mathematiker nüchtern und objektiv die vorhandene Evidenz zur „Konversionstherapie“.

Zu Mike Pence: Tagesspiegel – Der radikale Vizepräsident.
Zum Verbot in Malta: Männer.de – Malta verbietet Konversionstherapien.
Zum Verbot in Taiwan: Queer.de – Taiwan will „Homo-Heilung“ verbieten.
Zur Haltung der AfD: Übermedien – Der Kampf der AfD gegen das Kindeswohl.

Zur Haltung des DIJG: DIJG – Keine „sexuelle Identität“ im Grundgesetz.
Zum Verein „Wüstenstrom“: Mission-Aufklärung – „Wüstenstrom“.
Zu Wüstenstrom: Stuttgarter Nachrichten – Aussteiger warnt vor Wüstenstrom.
Zur Wirksamkeit von Konversionstherapie: HuK –Homosexualität lässt sich doch verändern” – Wirklich?
Zur Schädlichkeit von Konversionstherapie und zur Lage in den USA: HRC – Gay-conversion-therapy.

Beispiel für Konversionstherapie: FAZ – Hetero in drei Tagen.
Stellungnahme der DGPPN (PDF): DGPPN – Konversionstherapie.
Stern-Interview mit Gisela Wolf: Stern – Umerziehung mit grausamen Folgen.
Video zu „Journey into Manhood“: VICE – Homosexuelle heilen.

AfD verhöhnt NS-Opfer und fischt nach Holocaust-Leugnern – genug ist genug!

Dresden. Genug ist genug! Wir mussten ertragen, wie Beatrix von Storch mit Schwulenheilern diskutierte, wir mussten erdulden, wie ein Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt die Inhaftierung (oder „Tabuisierung“, je nach dem wessen billiger Ausrede man glaubt) von Homosexuellen forderte, wir mussten aushalten, wie Alexander Gauland öffentlich über farbige Fußballer herzog, wir mussten mit ansehen, wie die gesamte AfD den deutschen Parlamentarismus im baden-württembergischen Landtag der Lächerlichkeit preisgab, und tatsächlich ist die Reihe der Unverschämtheiten, die sich diese Partei leistete, seit sie eine gewisse Relevanz in der deutschen Parteienlandschaft gewann, schier unerschöpflich.

Nun hat sich aber die rechtspopulistische – ausgerechnet am Dienstagabend, unmittelbar nachdem das Bundesverfassungsgericht die rechtsradikale NPD für verfassungsfeindlich erklärte – die Unverschämtheit geleistet, die das sprichwörtliche Fass zum überlaufen bringen muss: Wir waren Homophobie, Sexismus, Islamophobie und Verschwörungsideologie bereits gewohnt von der AfD, und auch Antisemitismus ist den Rechtspopulisten nicht völlig fremd, wie die Causa Gedeon im Stuttgarter Landtag gezeigt hat. Was sich der Sprecher der Thüringer Parteigliederung, Björn Höcke, am Dienstagabend aber leistete grenzt so eng an Holocaustleugnung, dass es nur als Provokation der jüdischen Gemeinde – oder als Zielgruppenwerbung gegenüber der gedemütigten NPD-Anhängerschaft – verstanden werden kann!

Nach etlichen Hasstiraden – gegen so ziemlich jede vorstellbare Minderheit – sorgte der Thüringer AfD-Chef, dem schon früher von Soziologen und Politikwissenschaftlern eine geistige „Nähe zum Nationalsozialismus“ attestiert wurde, für einen weiteren Eklat, indem er zunächst das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande im Herzen der Hauptstadt“ bezeichnete und hinzufügte, die deutsche Geschichte werde dadurch „mies und lächerlich“ gemacht.

Anlass der kontroversen Äußerungen war eine Zusammenkunft der „Jungen Alternative“, des Parteinachwuchses am Dienstagabend in Dresden, zu der Höcke im „Ballhaus Watzke“ eine seiner allzu bekannten Hetzreden halten durfte.

Doch damit war der Nationalist noch nicht fertig, stattdessen redete sich Höcke nach einem klassisch provokativen Start im Laufe seines Auftritts  immer mehr in Rage – begleitet vom heftigen Applaus der Parteijungend.

Der gemeinsame Auftritt Höckes und mehrerer sächsischer AfD-Funktionäre lockte nicht nur hunderte Gäste, sondern sie wurde auch vom rechten „Compact“-Magazin in einem Livestream übertragen. Womit sie jeder Protofaschist der Republik mit ansehen konnte.

Wobei die Parteikollegen ihrem „Starredner“ in nichts nachstanden. Weder in der Rhetorik noch in den Aussagen, die dahinter standen. So forderte Jens Maier, der im September vermutlich ein Bundestagsmandat bekommen wird, den „Schuldkult“ – womit er die Holocaust- und Weltkriegs-Erinnerungskultur der Bundesrepublik meint – endlich zu beenden. So fischt man nach Wählern im Holocaust-Leugner-Milieu!

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Die AfD fischt ganz klar im Holocaust-Leugner-Milieu der NPD, die rechten Parteien kooperierten schon bei den Landtagswahlen 2016.

Höcke und seine Kameraden beschworen am Tag des Verfassungsgerichtsurteils gegen die NPD bewusst die Rhetorik der Rechtsradikalen, um zu provozieren und um die Wählerschaft der erniedrigten Partei abzufischen. Eine Verhöhnung der deutschen Demokratie und der – vor allem jüdischen – Opfer des Holocaust!

Außer dem „Compact“-Magazin war übrigens – man kann es fast verstehen – keine Presse zulässig. Man bleibt bei solchen Reden eben lieber unter sich.

Genug ist genug! Wir dürfen die Unverschämtheiten dieser Partei, die ganz offensichtlich das Erbe der in der Marginalität versinkenden NPD antreten will, nicht länger dulden! Medien, Politik, Kirchen und Initiativen sind aufgerufen, endlich klare Positionen gegen die AfD zu beziehen! Diese Partei hat klare faschistische Tendenzen, das muss auch klar ausgesprochen werden.

Es ist außerdem der zweite Fall innerhalb weniger Tage, bei dem AfD-Funktionäre die Presse ausluden, so wurde vergangene Woche bekannt, dass der AfD-Europaabgeordnete Marcus Pretzell auf einer Veranstaltung seiner Fraktion Journalisten unter anderem der Öffentlich-Rechtlichen die Akkreditierungen verweigerte.

In Berlin drohte die AfD zudem dem Hauptstadtsenat jüngst, es könnte zur „Bildung rechter Bürgerwehren“ in der Metropole kommen, wenn der Vorschlag der AfD, den – 2002 wegen Verstrickungen im illegalen Waffenhandel und rechtsradikaler Umtriebe aufgelösten – „freiwilligen Polizeidienst“ wieder einzuführen, nicht angenommen würde.

Genug ist genug! Die Skandale häufen sich!