Wer in den Propagandaministerien dieser Welt arbeitet, oder auch nur die politische Debattenkultur kritisch begleitet, muss sich zwangsläufig früher oder später mit sogenannten Scheinargumenten beziehungsweise Sophismen befassen: Mit Argumentationen also, die im Gegensatz zu deduktiven (vom Besonderen zum Speziellen) und induktiv-stochastischen (vom Speziellen zum Besonderen) Argumenten nicht zwingend logisch aufgebaut sind, wodurch sie geeignet sind, bewusst Fehlschlüsse zu erzielen.
In der politischen Debatte dienen solche Scheinargumente einzig der Täuschung des Publikums, indem dieses mittels falscher beziehungsweise unlogischer Prämissen zu einem Fehlschluss angeleitet wird. Das heißt übrigens nicht, dass nicht ein Scheinargument unter bestimmten Voraussetzungen auch eine argumentative Berechtigung haben kann. Das Argumentum ad Hominem, die „Beweisrede zum Menschen“, beispielsweise eignet sich, wird es korrekt gehandhabt durchaus zur charakterlichen Bewertung einer Person. So spielt dieses Scheinargument auch in der Rechtsprechung eine gewisse Rolle – wird ein Zeuge überzeugend als unglaubhaft dargestellt, muss dessen Zeugnis unter Umständen außen vor gelassen werden.
Im populistischen Zeitalter spielt allerdings die bewusst täuschende Verwendung dieser Beweisreden eine nicht zu unterschätzende Rolle, weshalb es wichtig ist, Scheinargumente erkennen und entlarven zu können. Im Folgenden sei deshalb die wunderbare Welt der Scheinargumente kurz umrissen:
Argumentum ad misericordiam – Mitleidsargument.
Viele Scheinargumente basieren darauf, Emotionen zu verwenden, um eine rationale Evaluation von Behauptungen oder Handlungen zu verhindern, so auch im Falle des Argumentum ad misericordiam.
Beispiel: „Die russische Regierung fühlt sich durch die NATO eingekreist, da kann man die Annexion der Krim schon verstehen.“
Argumentum ad verecundiam – Argument an die Ehrfurcht, Autoritätsverweis.
Begrenzte persönliche Kompetenz auf einem Fachgebiet, sowie begrenzte Ressourcen machen es – gerade in der Politik – regelmäßig notwendig, die Expertise von Fachleuten einzuholen. Das Argumentum ad verecundiam versucht dementsprechend nicht durch ein eigenes Argument, sondern durch die Berufung auf eine Autorität, die die eigene Position teilt und der man zugesteht, mit großer Wahrscheinlichkeit richtig zu urteilen. Die Berufung auf Fachleute ist zwar oft notwendig, führt allerdings nicht zwangsläufig zu einer zutreffende Ansicht.
Beispiel: „Innenminister De Maiziere teilt meine Meinung, dass mehr Videoüberwachung sicherheitspolitisch notwendig ist.“
Im Trend liegt momentan gerade in den sozialen Netzwerken die Umkehrung des Argumentum ad verecundiam, also der grundsätzliche Zweifel an Autoritäten nach dem Motto „niemand irrt sich häufiger als Experten“. Diese Form des Scheinarguments ist – trotz seiner Popularität – rational allerdings noch schwerer vertretbar.
Eine weitere Sonderform des Argumentum ad verecundiam stellt das Ipse dixit dar, bei dem sich der Argumentierende auf die Worte einer Lehrautorität stützt, um damit die Prämisse für seine Argumentation festzulegen. Ipse dixit ist vor allem im religiösen Kontext von großer Bedeutung, da hier immer in der Annahme der Richtigkeit prophetischer Worte gestritten werden muss.
Argumentum ad populum – Gesellschaftliche Argumentation, Argument ans Volk.
Die gesellschaftliche Argumentation versucht durch den Verweis auf eine – wirkliche oder behauptete – allgemeine Meinung zu überzeugen, sie geht damit von dem Fehlschluss aus, dass die Wahrheit demokratisch sei. Im verschwörungstheoretischen Umfeld ist dagegen auch der Umkehrschluss des Argumentum ad populum anzutreffen, es wird dann davon ausgegangen, dass eine These falsch sein muss, weil die Mehrheit sie (aufgrund von medialer Manipulation o.ä.) glaubt.
Beispiel: „Die Mehrheit der Deutschen glaubt, dass eine unmittelbare Gefahr vom russischen Militär ausgeht.“
Sonderformen des Argumentum ad populum sind das sogenannte Totschlagargument oder der „Killer Phrase“, die genutzt werden, um Widerspruch abzuwürgen, wobei das Totschlagargument als „Killer Phrase“ mit argumentativen Schein betrachtet werden kann.
Beispiele: „Das würde den Rahmen sprengen.“ (Totschlagargument) „Das ist alternativlos.“ „Das ist Unsinn!“ (Killer Phrase)
Argumentum ad hominem – Persönlicher Angriff, Argument an den Menschen.
Das schon in der Einleitung angesprochene Argumentum ad hominem hat in einer Debatte das Ziel, die These oder Position des Streitgegners mithilfe eines Angriffes auf persönliche Eigenschaften seiner Person anzufechten, meist ohne dabei direkt auf diese einzugehen. Das Scheinargument kann dabei auf die Inkompetenz, charakterliche Schwächen oder auch Befangenheit des Gegenübers anspielen.
Beispiel: „Du bist ja ein Antikommunist, deshalb muss ich mich mit deiner Argumentation nicht befassen!“
Von Arthur Schopenhauer vorgeschlagen wurde die Verwendung des Begriffes „Argumentum ad personam“ als Sonderform des Argumentum ad hominem, wenn der Angriff inhaltlich keinen Bezug mehr zum Diskussionsthema hat. Auch eine Beleidigung anstelle eines Argumentes ist demenstprechend ein Argumentum ad personam
Beispiel: „Hillary Clinton ist nicht geeignet US-Präsidentin zu werden, weil ihr Mann Affären hatte!“
Tu-quoque-Argument – Du-auch-Argument, Gegenangriff.
Eine Variante des politischen Argumentum ad hominem und die Basis des Whataboutism stellt das Tu-quoque-Argument dar, bei dem eine gegnerische These durch einen Vergleich mit dem Verhalten des Gegners zurückgewiesen werden soll. Ziel ist es, die moralische Berechtigung des Gegenübers, eine Behauptung aufzustellen, in Frage zu stellen. In einem zweiten Schritt wird dann suggeriert, die entsprechende Behauptung müsse zurückgezogen werden, da sie unrechtmäßig geäußert wurde. In Online-Foren wird das Phänomen begleitet vom doppelten Problem politischer Dichotomie, demgemäß Extremisten dazu tendieren gegenüber Andersdenkenden so zu argumentieren, als handle es sich bei ihnen um Vertreter des gegnerischen Extrems – das Tu-quoque-Argument widerspricht dann nicht nur dem logischen Prinzip, sondern auch der eigenen inneren Logik.
Beispiel: „Das Gesetz gegen homosexuelle Propaganda in Russland ist ziemlich homophob!“ „Warum müsst Ihr eigentlich immer gegen Russland hetzen? Schaut Euch lieber mal Eure Verbündeten, Saudi-Arabien und so weiter an!“
Argumentum ad ignorantiam – Argument aus Nichtwissen.
Das Argument aus Nichtwissen verschiebt die Beweislast vom Argumentierenden auf den Gegenredner, das heißt es findet eine unzulässige Beweislastumkehr statt. Statt die eigene These mit Evidenz zu untermauern, wird der Gegenredner aufgefordert, Evidenz zu ihrer Falsifizierung aufzuführen. Grundsätzlich dienen diesen Scheinargumentationen voreingenommene Grundannahmen als Basis, sie zielen auf das Fehlen – oder die Unkenntnis – der entsprechenden Falsifikationsbeweise.
Beispiel: „Zeigen Sie mir den Beweis, dass die Pyramiden in Ägypten nicht von Außerirdischen als Landeplätze benutzt wurden!“
Argumentum ad temperantiam – Argument des Mittelweges.
„Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen“, hört man oft, wenn man sich in einer „Aussage gegen Aussage“ Situation befindet. Auf diese Annahme stützt sich das Argumentum ad temperantiam unabhängig von der argumentativen Untermauerung der einzelnen Positionen, wird der Mittelweg bevorzugt, was zwar politisch teilweise pragmatisch, allerdings nicht zwingend logisch ist, zumal der Mittelweg zwischen einer erwiesenen Tatsache und einer Fehlannahme immer auch eine Fehlannahme sein wird.
Beispiel: „Ein Forscher meint, wir sollten den CO2 Ausstoß um rund 95 Prozent verringern, ein anderer meint, das hätte keine Relevanz, also schlagen wir einen Mittelweg ein und beschließen, die Emissionen um 50 Prozent zu senken.“
Argumentum ex silentio – Schweigen als Argument.
Das Verschweigen von Sachverhalten oder Details wird bei diesem Scheinargument als Beweis für Nicht-Wissen oder Unwahrheit gedeutet. Umgekehrt kann so auch ein fehlendes Dementi als Beweis einer Behauptung herangezogen werden. Schweigen kann aber – insbesondere im politischen Kontext – zahlreiche Gründe haben.
Beispiel: „Wie kommt es denn, dass noch nie jemand von der Bilderberger-Konferenz dementiert hat, dass es eine jüdische Weltregierung gibt?“
Argumentum ad nauseam – Wiederholungs- oder Ermüdungsargument.
Eine These wird nicht belegt, sondern nur so oft wiederholt, bis der Gegenredner keinen Widerstand mehr leistet. Im politischen Kontext findet sich dieses Scheinargument regelmäßig, die ständige Wiederholung einer Aussage macht diese aber nicht richtiger. Häufig tritt das Argumentum ad nauseam in Verbindung mit dem Argumentum ad verecundiam und dem Argumentum ad populum auf: Wird etwas nämlich medial häufig genug – am besten von unterschiedlichen Personen – wiederholt, wird es früher oder später von einem Teil der Öffentlichkeit geglaubt.
Beispiel: „Hillary Clinton hat in Bezug auf Benghazi gelogen.“ (Unwahre Aussage, die trotz mehrerer Untersuchungen von Republikanern immer wieder wiederholt wird.)
Argumentum in circulo – Zirkelschluss.
Wird eine These direkt oder indirekt mit sich selbst begründet, verletzt dies das logische Prinzip, welches davon ausgeht, dass eine Behauptung nur mittels bereits belegter Prämissen bewiesen werden kann.
Beispiel: „Die Bibel enthält die Wahrheit. Weil die Bibel das Wort Gottes und somit wahr ist.“
Argumentum ad antiquitatem – Traditionsverweis.
Bei Konservativen und religiösen Fundamentalisten ist der Traditionsverweis besonders beliebt, weil er die Logik einfach durch den Glauben ersetzt, dass eine Aussage durch ihr Alter oder ihre Bewährtheit wahr sein müsse.
Beispiel: „Eine Homoehe wird es nicht geben, weil die Ehe schon immer zwischen Mann und Frau besteht!“
Argumentum ad novitatem – Innovationsargument.
Das Innovationsargument kann als Gegenpart zum Traditionsverweis verstanden werden, auch ihm liegt keine zwingende Logik zugrunde, statt dessen wir angenommen, dass eine jüngere Theorie grundsätzlich richtiger ist als eine ältere, unabhängig von der Beurteilung der Evidenz.
Beispiel: „Handy XYZ ist besser als Handy XY, weil es die neue Version ist.“
Argumentum ad oculos – Argument nach Augenschein.
Eine These soll durch Ansprechen der Wahrnehmung belegt werden, ohne dabei auf den – unter Umständen fehlenden – kausalen Zusammenhang einzugehen, somit sind Schlussfolgerungen aus einer Augenscheinargumentation nicht zwingend logisch korrekt.
Beispiel: „Die Truppenbewegungen der russischen Armee in Westrussland zeigen eindeutig, dass Putin einen Überfall auf Europa plant!“
Argumentum ad superbiam – Argument aus Eitelkeit.
Zur Ablehnung einer gegnerischen Position wird ein begründetes oder auch irrationales Gefühl der Überlegenheit eingesetzt, ohne dabei rational zu argumentieren. Nicht selten stehen hinter dem Argumentum ad superbiam klassistische oder rassistische Motive.
Beispiel: „Ein Arzt in Saudi-Arabien soll ein Heilmittel für Aids gefunden haben? Wohl kaum, was hätten die Araber je hinbekommen?“
Argumentum ad metum – Angstargumentation.
Das Argumentum ad metum stützt sich einmal mehr nicht auf Rationalität und das logische Prinzip, sondern auf das erwecken (irrationaler) Ängste, ein kausaler Zusammenhang zwischen These, Intention und der erweckten Angst besteht dabei oft – wenn überhaupt – nur marginal:
Beispiel: „Wir müssen die Islamisierung in Deutschland stoppen, oder wollt ihr, dass eure Töchter von Muslimen vergewaltigt werden?“
Cum hoc ergo propter hoc – Scheinkausalität (Aus Korrelation folgt nicht Kausalität).
Aus der Gleichzeitigkeit von Ereignissen wird ein kausaler Zusammenhang konstruiert, der nicht zwingend gegeben ist.
Beispiel: „Als wir für Regen gebetet haben, hat es tatsächlich angefangen zu regnen, also gibt es Gott und er hat unsere Gebete erhört.“
Strohmann-Argument – Verfälschung der gegnerischen Aussagen.
Anstatt auf die tatsächlichen Argumente des Gegners einzugehen, wird mittels Verfälschung von Aussagen ein fiktiver Gegner, der „Strohmann“, geschaffen. Dies mündet in der Behauptung, die Widerlegung des Strohmann-Arguments widerlege die These des realen Streitgegners.
Beispiel: „Jill Stein glaubt, dass Impfungen Autismus auslösen, darüber sollte man mal reden!“
Reductio ad ridiculum – Reduktion ins Lächerliche als Schlussargument.
Die Position des Gegners wird so verkürzt, dass sie lächerlich wirkt. Es handelt sich um eine Form des Strohmann-Arguments.
Beispiel: „Wäre Evolution real, dann würden sich heute noch Affen in Menschen verwandeln!“
Reductio ad Hitlerum – Rückführung auf Hitler als Schlussargument.
Dem Reductio ad Hitlerum – das im Englischen auch als „guilt by association“ liegt ein Assoziationsfehlschluss zugrunde, das heißt im Prinzip, jede Position die Hitler teilte, wird grundsätzlich als falsch bewertet. Nach dem Reductio ad Hitlerum müsste also eine These schon deshalb abgelehnt werden, wenn sie von den „falschen“ Personen geteilt wird. Dies lässt sich über die Person Hitlers beliebig ausdehnen, so sieht sich die Linkspartei derzeit regelmäßig mit einem Reductio ad Hitlerum konfrontiert, dass sie in die Nähe der AfD rücken soll, nur weil man einige Positionen – begrenzt – teilt.
Beispiel: „Tierschutz ist wichtig!“ „Das hat Hitler auch gesagt, du Nazi!“
Behauptung eines Sonderfalls.
Die Phrase „Ausnahmen bestätigen die Regel“ kennt wohl jeder, dabei könnte keine Aussage stärker im Widerspruch zum logischen Prinzip stehen als diese. Als Argument funktioniert dennoch die Behauptung des Sonderfalles genau so: Evidenz, die der These des Argumentierenden widerspricht wird so – ohne logische Erklärung – als Ausnahme wegerklärt.
Beispiel: „Im Islam gibt es keine schwulen Männer!“ „Kürzlich ist aus dem Iran ein schwuler Imam geflüchtet.“ „Der war kein richtiger Moslem!“
Damit soll der Exkurs in die Welt der Scheinargumente zunächst beendet sein, zwar ist die vorliegende Auflistung bei weitem nicht vollständig, die häufigsten Sophismen dürften jedoch darunter sein. Grundsätzlich sollten – gerade in politischen Debatten – Scheinargumente, die der kritischen Logik widersprechen, offen als solche entlarvt werden, dennoch sind Sophismen in der politischen Rhetorik Gang und Gebe.
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