Karlsruhe. Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe wies den Verbotsantrag der Bundesländer gegen die NPD ab. Damit bleibt die rechtsextreme Partei erlaubt. Das mag vielen antifaschistischen Kräften übel aufstoßen, die höchstrichterliche Entscheidung ist jedoch richtig. Gleich aus mehreren Gründen.
Sie nennen sich „Nationaldemokraten“ oder „Nationale Sozialisten“, wobei ihre Ideologie, der in den vergangenen Jahren ein hübscher bürgerlicher Anstrich verpasst wurde, sich nur marginal von der nationalistisch-rassistischen Philosophie der NSDAP unterscheidet, die Rede ist natürlich von den Anhängern der rechtsextremen NPD.

Ideologisch hat sich an der NPD seit ihrer Gründung im Jahre 1964 wenig geändert. Wohl aber an ihrer Bedeutung: Zog die nationalistische Partei, die sich zunächst aus verschiedenen rechtsextremen Gruppen sowie aus dem national-liberalen Flügel der FDP zusammensetzte, in den Sechzigern noch in viele westdeutsche Landtage ein, so bekam sie schon nach der Abwahl des ehemaligen Nazis und Bundeskanzlers Georg Kiesinger im Jahr 1969 in den westdeutschen Parlamenten kaum noch einen Fuß auf den Boden. Hatten Mitte der Sechziger westdeutsche Politiker noch die legitime Befürchtung, die „N-Partei“, die zu jener Zeit rund 28.000 Mitglieder zählte, könne in den Bundestag einziehen (schon damals wurde im Hintergrund über ein Verbotsverfahren) spekuliert, so spielte diese zwischen 1970 und 1990 kaum noch eine Rolle, weder auf Bundesebene, noch auf Landesebene.
In den Neunzigern stand der Kleinstpartei dann ein Mann vor, der mit der Wiedervereinigung und den desillusionierten Wendeverlierern in Ostdeutschland seine Chance gekommen sah: Günter Deckert. Er strukturierte die Partei um, nahm offen nationalsozialistische Ideen mit ins Programm auf und konzentrierte sich auf die Enttäuschten in den neuen Bundesländern. Ging die Strategie zunächst nur teilweise auf, so wurde die Partei ab 1996 unter Deckerts Nachfolger, dem heutigen Europaabgeordneten Udo Voigt, der die Wahl zum Vorsitzenden gegen Deckert gewann, als dieser wegen Volksverhetzung in Haft saß, tatsächlich zunächst wieder erfolgreich, indem dieser die Partei noch stärker auf das Neonazi-Milieu ausrichtete.
So zog die Partei in den Folgejahren nicht nur in zahlreiche Kommunalparlamente ein (in allen Bundesländern außer in Hamburg und Bayern), sondern auch 2004 in den sächsischen und 2006 in den mecklenburgischen Landtag. In diese Zeit fällt auch das erste angestrebte Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei, welches unter Spott aus der rechten Ecke und Empörung von Antifaschisten und Opferverbänden am 18. März 2003 aus Verfahrensgründen eingestellt wurde, nachdem bekannt geworden war, wie tief einige V-Leute des Amtes für Verfassungsschutz in die Strukturen der NPD verstrickt waren. Die Verfassungsmäßigkeit der Partei wurde damals nicht geprüft.
Anders im jüngsten Verbotsverfahren, welches auf Basis eines Verbotsantrages der Bundesländer vom Dezember 2013 geführt wurde: In ihrem knapp 300 Seiten langen Urteil attestierten die Richter in Karlsruhe der Partei nun – trotz Ablehnung des Verbotsantrages – klare verfassungsfeindliche Umtriebe.
In der Urteilszusammenfassung heißt es dazu: „Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vertritt ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept. Sie will die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachtet die Menschenwürde und ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar.“
Dabei gehe die NPD auch „planvoll und mit hinreichender Intensität“ vor, heißt es weiter. Das genüge jedoch für ein Parteienverbot nicht, so entschied das Gericht einstimmig, denn in Deutschland gibt es hohe Hürden, die für ein Parteienverbot genommen werden müssen, damit die Regierung sich nicht einfach nach Belieben von unliebsamen Gegenspielern befreien kann. Zusätzlich zur verfassungsfeindlichen Intention bedarf es deshalb nach der Meinung des Gerichts auch einer gewissen Erfolgsaussicht. Es geht also darum, ob eine Partei dem Staat ernsthaft gefährlich werden kann. Diese sei nicht gegeben, so das Urteil: Es fehle demnach „an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt.“
Das zeigt sich auch in der parlamentarischen Realität: Mittlerweile ist die NPD nicht nur in nationalen Umfragen nicht mehr messbar, sie sitzt auch in keinem Landtag mehr und hat auf kommunaler Ebene insgesamt nur noch 340 Mandate – von bundesweit 230.000 (das entspricht einem Anteil von 0,15 Prozent). Die NPD ist längst nur noch eine marginale politische Kraft, die weitestgehend geächtet wird.
Der zweite Senat des Verfassungsgerichts unter dem Vorsitzenden Andreas Voßkuhle erklärt die rechte Partei dementsprechend für verfassungsfeindlich, hält den Verbotsantrag aber für unbegründet.
Für alle Antifaschisten ist das eine gute Nachricht! Das Bundesverfassungsgericht setzt hier ein überdeutliches Zeichen gegen die NPD! Erstmals befand ein Gericht auf verfassungsjuristischer Grundlage über die rechtsextreme Partei und erklärte, dass diese bestrebt sei, die demokratische Ordnung in der Bundesrepublik zu zerstören und durch ein rassistisch-völkisches Staatssystem zu ersetzen. Neues Pulver für antifaschistische Initiativen! Aber mehr noch: Das Gericht befindet gleichzeitig, dass die Partei viel zu irrelevant sei, um sie zu verbieten. Eine schallende Ohrfeige ins Gesicht der Neonazis! Eine unvorstellbare juristische Demütigung!
Und in der Urteilsbegründung geht der vorsitzende Richter Voßkuhle sogar noch weiter, indem er ausdrücklich auf andere Möglichkeiten zum Kampf gegen die NPD – wie den Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung – hinweist. Dies sei jedoch Aufgabe der Legislative, nicht des Verfassungsgerichts.
Ultimativ ist die einstimmige Entscheidung der Richter gegen das Verbot der Partei also nicht nur verfassungsrechtlich richtig, sondern auch politisch wichtig. Auch auf einer anderen Ebene: Indem die Verfassungsrichter die Regierungen der Bundesländer – und auch die Bevölkerung – erinnern, dass ein Parteienverbot zu den schärfsten Waffen des Rechtsstaates gehört, welche nur als ultima Ratio zu ziehen ist, rufen sie die demokratischen Kräfte der Bundesrepublik auch dazu auf, sich wieder mehr auf die grundlegendste Errungenschaft der Demokratie, auf den Ideenwettbewerb und die Argumentation zu konzentrieren!
Und genau das sollten die demokratischen Kräfte der Gesellschaft tun: Statt unverhältnismäßige Zensur- und Verbotsmaßnahmen gegen extremistische Minderheiten anzustrengen, sollten sie fähig und bereit sein, mit diesen in den politischen Wettstreit zu treten. Glaubt denn wirklich jemand, die Volksverhetzer und Holocaust-Leugner der NPD könnte im öffentlichen Diskurs mit ihren rassistischen, antisemitischen und martialisch-völkischen Ideen je wieder einen relevanten Teil der Bevölkerung für sich gewinnen? Sicher nicht! Mit dem Verbotsverfahren wurde – so glaubte man in den Landesregierungen – einfach der „bequemere“ Weg – der, wenn er leichtfertig gegangen wird, eine echte Gefahr für die Demokratie und die pluralistische Gesellschaft darstellt – gegangen. Ein schwerer Fehler.
Schlimmer noch: Der Antrag war ein Ablenkungsversuch, als das unfassbare Versagen der Landes- und Bundesbehörden beim NSU-Terror bekannt wurde. Blanker, fehlgeleiteter Aktionismus, eine klassische politische Blendgranate. Von einem Erfolg des Verfahrens ging schließlich in Expertenkreisen von Anfang an kaum jemand aus.
Wäre das Verbotsverfahren – als mächtigste Waffe des Rechtsstaates – erfolgreich gewesen, hätte dies am Ende sogar das Gegenteil des erwünschten Effekts bewirken können: Rechtsextreme, nicht nur NPD-Anhänger, hätten sich in ihren antidemokratischen Bestrebungen bestätigt gesehen. Zumal die überzeugten rechten Hetzer auch ganz ohne die NPD und ihren anachronistischen Nazi-Pathos gegen Asylbewerber, Demokraten und Linke Stimmung gemacht hätten – dies lässt sich auch heute schon beobachten: Massenweise treten NPD-Angehörige zu anderen rechten Parteien über, ihre Gesinnung bleibt die selbe. Die NPD ist nur ein – beispielhafter – Bruchteil des rechtsextremen Problems, das längst in weite Teile der Gesellschaft vorgedrungen ist.

Durch das erfolgreiche Verbot hätte man anderen Rechtsideologen zudem die Möglichkeit geschenkt, mittels Selbstviktimisierung und Märtyrer-Verklärung, die NPD zum Beispiel dafür zu erklären, wie „das System“ ihresgleichen „unterdrückt“. Schon deshalb, weil die Rechte in den vergangenen Jahren hinreichend bewiesen hat, wie effektiv sie politisches Kapital aus der vermeintlichen Opferrolle schlagen kann, darf man der NPD keinen Märtyrertod gestatten.
Am Ende bleibt der Kampf gegen eine unmenschliche Ideologie, die sich mittlerweile wieder – subtiler und mit weniger Kriegstrommeln als bei der NPD – weit ins bürgerliche Lager ausgebreitet hat. Die NPD ist nicht mehr als ein stellvertretender Pappkamerad dieser Ideologie, der „Kampf“ der Regierenden gegen sie ist nicht mehr als Alibipolitik.
2 Gedanken zu „Kein Märtyrertod für Neonazis – Warum es richtig war, die NPD trotz Verfassungsfeindlichkeit nicht zu verbieten.“