Der schleichende Tod von PEGIDA.

Dresden. Noch immer ziehen Islamkritiker, selbsternannte Patrioten und Rassisten allmontäglich in die Dresdner Innenstadt, um gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ zu demonstrieren, doch es werden weniger. So verzeichnete das rechte Bündnis am Montag die niedrigste Teilnehmerzahl seit ihren Gründungsaufmärsche 2014.

Das Interesse an den wöchentlichen Aufmärschen der rechtsextremen PEGIDA-Bewegung in der sächsischen Landeshauptstadt ließ in den vergangenen Wochen deutlich nach. Am Montag erlebten die Veranstalter einen weiteren Tiefpunkt: Nach Angaben der unabhängigen Initiative „Durchgezählt“ kamen nur zwischen 950 und 1200 Menschen, um den Tiraden von PEGIDA-Vize Siegfried Däbritz zuzuhören. Das niedrige Interesse begründet PEGIDA mit dem kalten Wetter: „Eisregen, Glatteis, Minusgrade, fieser Wind, aber #PEGIDA hält Stand!“, ist auf der Facebookseite zu lesen.

Kämpferische Worte angesichts der Tatsache, dass sich sinkende Teilnehmerzahlen schon seit Monaten abzeichnen. Am schlechten Wetter allein dürfte es also nicht gelegen haben, zumal noch im Dezember vergangenen Jahres um die 3.000 Personen an der rechten Montagsdemo teilnahmen – bei anhaltendem Regen. Und auch am 9. Januar diesen Jahres sah es noch besser aus: Bei geschlossener Schneedecke trafen sich zwischen 1900 und 2200 Menschen zum fremdenfeindlichen Protest vor der Semperoper. Gegenüber den Spitzenwerten vor rund zwei Jahren – als bis zu 17.000 Teilnehmer zu einem Aufmarsch der Rechten kamen – sind das aber kleine Hausnummern.

Anfang Januar hatte bereits der – radikalere – Leipziger Ableger des Rechtsbündnisses, „LEGIDA“, aufgegeben und sich von der Straße zurück gezogen. Die LEGIDA-Organisatoren hatten damals auf einer deutlich zusammengeschrumpften Kundgebung mitgeteilt, dass man in Zukunft keine Aufmärsche dieser Größe mehr mobilisieren werde – stattdessen wolle man Kabarettabende und Gesprächsrunden abhalten. In der Realität heißt das wohl: LEGIDA ist, wenn schon nicht offiziell Geschichte, so doch zumindest marginalisiert. Die rechte Bewegung in Leipzig stehe „im Abseits“ und die „deutliche Ausrichtung auf neonazistische Strukturen“ habe sich als „fatal für ‚LEGIDA‘ erwiesen“, erklärte das Leipziger Aktionsnetzwerk gegen Rechts „Leipzig nimmt Platz“ am 10. Januar.

Ganz so weit ist es bei der Dresdner Mutterorganisation allerdings noch nicht, zwar zeichnete sich schon im Juli vergangenen Jahres ab, dass die Teilnehmerzahlen nur ausnahmsweise über die 2000 hinaus klettern und dass die Bewegung auf der Stelle tritt, aber obwohl mittlerweile nicht mehr jeden Montag demonstriert wird, gibt man sich weiter kämpferisch: Das rassistische Bündnis mobilisiert bereits für seinen nächsten Aufmarsch Anfang Februar und spricht von einem „Jahr der Entscheidung“.

Gericht verhindert Kontakt zwischen jüdisch-orthodoxen Kindern und Transgender-Elternteil – aus religiösen Gründen.

Manchester (Großbritannien). Ein Gericht im englischen Manchester hat beschlossen, einer Transgender-Frau den direkten Umgang mit ihren fünf Kindern zu verbieten, weil dies unvereinbar mit dem ultra-orthodox jüdischen Hintergrund ihrer Exfrau sei.

Das von Richter Peter Jackson gesprochene Urteil folgte einem zwölfmonatigen Rechtsstreit der Eltern um das Umgangsrecht mit den Kindern. Im Kern ging es darum, dass dem Transgender-Elternteil, der nun als Frau lebt und zuvor die orthodox-jüdische Gemeinschaft verlassen hatte, durch die Mutter der gemeinsamen Kinder der direkten Umgang diesen verwehrt wurde.

Die Anwälte der Mutter hatten argumentiert, dass die Kinder von der charedischen Gemeinschaft geächtet würden und damit kein normales Leben aufgrund ihres Kontakts mit einem Transgender-Elternteil leben könnten – inwieweit allerdings ein Leben in einer regressiv-religiösen Gemeinschaft, die nach Regeln aus dem 19ten Jahrhundert lebt, im 21ten Jahrhundert „normal“ ist, hinterfragten sie nicht. Obgleich orthodoxe Rabbis, die im Namen der Transgender-Frau handelten, vor Gericht erklärten, dass im Judentum Transgender-Personen nicht in dieser Weise bestraft werden dürften, beschloss Richter Jackson, das „Risiko“, dass „diese Kinder und ihre Mutter von ihrer Gemeinschaft ausgestoßen würden, wenn die Kinder persönlichen Kontakt mit ihrem Vater hätten“ sei zu groß, um persönlichen Umgang zu erlauben.

„Die profunden Konsequenzen einer möglichen Kontaktanordnung für das Kindeswohl abwägend habe ich die unliebsame Entscheidung getroffen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder oder die Mutter durch die ulta-orthodoxe Gemeinde marginalisiert oder ausgeschlossen werden, so real ist – und die Konsequenzen so bedeutend, dass dieser eine Faktor – trotz der vielen Nachteile – die vielen Vorteile des Kontakts überwiegt,“ so Richter Jackson weiter. „Deshalb beschließe ich mit echtem Bedauern, wissend, wie viel Schmerz es bereiten muss, dass der Antrag des Vaters auf direkten Umgang abgelehnt werden muss.“ Die Worte gingen dem Richter, so berichten Beobachter, sichtlich schwer über die Lippen – zu Recht, musste er doch, zum Wohl der Kinder, beschließen, dass sie ihren Vater, der sich ihnen gegenüber nie etwas zu Schulden kommen ließ, nicht mehr sehen dürfen, weil ihre Religion es verbietet.

Der Transgender-Frau wurde stattdessen erlaubt, ihre Kinder vier mal im Jahr per Brief zu kontaktieren – ein sehr schwacher Trost, wie man annehmen darf.

Richy Thompson, Kampagnenmanager der „British Humanist Association“ sagte der britischen Zeitung „The Independent“, die Entscheidung sei „extrem traurig“ vor dem Hintergrund des Fortschritts, der bei den Rechten von Transgender-Personen gemacht wurde. „In einer Zeit, in der sich die Gesellschaft in Richtung viel inklusiverer Ansichten gegenüber Trans-Personen und deren grundlegender Rechte bewegt, ist es sehr bedauerlich, dass eine religiöse Gemeinschaft solch diskriminierende Ansichten beibehalten kann, und damit droht, Kinder aufgrund der Gender-Identität eines Elternteils zu ächten, und dass wir sogar mit Familienrichtern konfrontiert werden, die solche Urteile sprechen wie dieses,“ erklärte er.

Der Fall zeigt eindrücklich, in welch fundamentalem Widerspruch zur modernen Realität sich regressive religiöse Gruppen wie das charedische Judentum befinden. Werden sie mit äußeren Einflüssen konfrontiert, die nicht in ihr Weltbild passen, ergeben sich für die Anhänger solcher Gruppen schwerwiegende Folgen. So ist kaum nachvollziehbar, wie die betroffene Trans-Frau mit sich gekämpft haben muss, ehe sie ihre ultra-orthodoxe Gemeinschaft verließ, um als Frau leben zu können.

Am Ende steht ein Gerichtsurteil, dass ambivalent zu betrachten ist: Einerseits hätte die Ächtung der Kinder durch die regressive Gemeinschaft – die von einigen Menschenrechtlern als Sekte bezeichnet wird -, in der sie sich bewegen, schwere psychologische Folgen, andererseits haben die Kinder – solange sich nicht auch die Mutter von der charedischen Gemeinschaft löst, kaum eine Chance auf ein modernes Leben, auf eine weltoffene Erziehung und wissenschaftlich-säkulare Bildung. Außerdem bleibt der fade Beigeschmack, dass hier einem Elternteil aus religiösen Gründen der Umgang mit den leiblichen Kindern untersagt wird.

Charedische Gemeinschaften entstanden im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die Säkularisierung des Judentum und die Emanzipationsbestrebungen der Juden in Mittel- und Osteuropa. Insgesamt gibt es weltweit etwa 1,3 bis 1,5 Millionen charedische Juden, die sich an die ultra-orthodoxe Auslegung ihrer Religion halten und den Kontakt mit der säkularen Welt stark beschränken. Die meisten von ihnen – 700.000 – leben in Israel, die meisten charedischen Juden in Europa – etwa 47.000 – leben in England.


Weiterführende Quelle:
British and Irish Legal Information Institute – Urteil und Prozessprotokoll.

Hochrangiger Trump-Berater kündigt radikalen Umschwung in der Klimapolitik an.

Washington D.C. (USA). Unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump stehen die USA offenbar vor einem radikalen Kurswechsel in der Klimapolitik.

Die neue Regierung werde sich demnach – wie zuvor angekündigt – aus dem Pariser Klimaabkommen zurückziehen, sagte der Direktor des konservativen Politik-Beratungsunternehmens Competive Enterprise, Myron Ebell, am Montag in London. „Er (Trump) könnte das morgen per Dekret verfügen oder als Teil eines größeren Pakets.“ Den Zeitplan kenne er nicht, sagte Ebell, der in Trumps Auftrag die Übernahme der US-Umweltbehörde EPA durch die neue Regierung vorbereitet hatte. Sowohl Ebell als auch der designierte Chef der Umweltbehörde, Scott Pruitt, leugnen den Klimawandel.

Präsident Trump hatte den Klimawandel im Wahlkampf unter anderem als chinesischen „Fake“ bezeichnet und angekündigt, keine US-Steuergelder für UN-Klimaprogramme mehr bereitzustellen. Mit dieser Ankündigung im Kopf hatte der scheidende Präsident Barack Obama noch kurz vor dem Ende seiner Amtszeit Mitte Januar 500 Millionen US-Dollar in den Fond überwiesen, der im Zuge des Pariser Klimaabkommens 2015 gegründet worden war.

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Scott Pruitt, bisher Attorney General von Oklahoma, ist der designierte Chef der US-Umweltbehörde EPA – er ist Klimawandel-Leugner und würde die Behörde am liebsten abschaffen.

Insgesamt hatten sich die USA dazu verpflichtet, schrittweise 3 Milliarden US-Dollar einzuzahlen. Nach der Zahlung der Obama-Regierung Mitte Januar bleiben nun noch 2 Milliarden US-Dollar offen, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie – zumindest unter Donald Trump – nicht gezahlt werden.

Dieser macht sich stattdessen für die Öl- und Gasindustrie stark. So will er zwei umstrittene sowohl die „Dakota Access Pipeline“, die Obama jüngst gestoppt hatte, als auch die „Keystone XL Pipeline“ wiederbeleben, wobei er mindestens an einem der beiden umstrittenen Projekte finanzielles Interesse hat.

Im Pariser Klimaprotokoll hatten sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, die Erderwärmung auf unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, möglichst auf 1,5 Grad.

Gerade, wenn mit den USA die größte Volkswirtschaft der Welt aus dem Abkommen austritt, kann – und wird – das negative Folgen haben. Nicht nur direkt, indem Deregulierungen in den USA die amerikanischen Treibhausgasemissionen wieder in die Höhe schnellen lassen werden, sondern auch indirekt, weil sich die Regierungen kleinerer Staaten ein – negatives – Beispiel an der Klimapolitik der USA nehmen werden. Gerade klimapolitisch war deshalb die Wahl von Donald Trump ein Desaster von bisher unschätzbarem Ausmaß.

Trump unterschreibt „Lobby-Verbot“, das den Namen nicht verdient hat, und schwächt Lobbyismus-Regeln.

Washington D.C. (USA). „Drain the swamp.“ – Den Sumpf trocken legen, das war eines der Kernversprechen des Republikaners Donald Trump. Er bezog sich damit auf die Korruption und den Lobby-Sumpf in der amerikanischen Politik. Nun macht er dieses Versprechen wahr – so scheint es zumindest auf den ersten Blick. Am Samstag unterzeichnete der frischgebackene 45te US-Präsident eine Exekutivanordnung, die es Mitgliedern seiner Regierung für fünf Jahre nach ihrem Ausscheiden aus der Politik verbietet, Lobbyarbeit auszuüben. Lobbyismus für fremde Regierungen zu betreiben, verbietet er seinen Regierungsmitgliedern sogar auf Lebenszeit.

„Das war etwas, der Fünf-Jahres-Bann, über dass ich während dem Wahlkampf viel gesprochen habe, und nun werden wir es in die Tat umsetzen,“ erklärte Trump bei der Unterzeichnung der Order. Ein Regierungssprecher sagte allerdings gegenüber Journalisten am Samstag, dass die Order es Lobbyisten nicht verbiete, Teil der Regierung zu werden. Es gehe um die Zukunft, nicht um die Vergangenheit einer Person. „Wir wollen Leute in die Administration bringen, die über umfangreiche Erfahrung in ihrem Bereich verfügen, und dazu mag es gehören, einer der besten Lobbyisten der Welt in diesem Bereich gewesen zu sein“ so der Sprecher.Generell gegen Lobbyismus ist man also nicht.

Ein zweiter Blick auf die Anordnung lohnt sich demnach durchaus, denn inwieweit die Anti-Korruptionskampagne der Trump-Regierung ehrlich gemeint ist, darf – auch weil der Multimillionär sein Kabinett quasi nur aus Top-Spendern und Wirtschaftslobbyisten besetzt hat – durchaus infrage gestellt werden.

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Drain the Swamp? Die Exekutivanordnung, die als „Lobby-Verbot“ gefeiert wird, bewirkt eher das Gegenteil.

So schreibt beispielsweise „Politico“, dass das „Lobby-Verbot“ die Regelungen der Obama-Administration sogar eher schwächt, als sie zu verschärfen.

Die Order hätte die Bezeichnung „Lobby-Verbot“ demnach kaum verdient, weil sie Regierungsmitarbeitern nur untersagt, Lobbyarbeit an der Behörde zu verrichten, in der sie zuvor angestellt waren, während sie andere Behörden durchaus beeinflussen dürfen. Zudem lockert das Dokument die Regelungen für ehemalige Lobbyisten in der Regierung. Der Order von Präsident Obama aus dem Jahr 2009 zufolge, die Trump nun ersetzte, war es Personen, die im vergangenen Jahr als Lobbyisten registriert waren, nicht erlaubt, für eine US-Behörde zu arbeiten, die neue Order erlaubt dagegen die Behördenzugehörigkeit von Lobbyisten, sofern sie nicht an spezifischen Themen arbeiten, an denen sie auch in den zwei Jahren zuvor als Lobbyist gearbeitet haben.

„Lobbyisten bringen ‚Special Interest‘ Ballast mit, wenn sie durch die Drehtür zur Arbeit in die selbe Behörde gehen, die sie zuvor als Lobbyist beeinflusst haben,“ so erklären die ehemaligen Ethik-Anwälte des vorigen Präsidenten, Norm Eisen und Richard Painter, die nun für die NGO „Citizens for Responsibility and Ethics in Washington“ arbeiten. „Obama untersagte diese Praxis, Trump brachte sie zurück.“

Obamas Order beschränkte zudem alle Mitarbeiter der Administration darin, ihre ehemaligen Behörden direkt zu kontaktieren, für zwei Jahre nachdem sie diese verlassen haben. Trump änderte diese Regelung für alle Regierungsmitarbeiter – abgesehen von solchen mit Kabinettspositionen – auf ein Jahr.

„Die wichtigste Schutzmauer die wir rückblickend in der Obama-Regierung gegen Skandale hatten, war das Zwei-Jahre-Lobbyverbot,“ so Eisen. „Man mag jemanden bezahlen und ihn dann für ein Jahr auf Eis legen, um nach diesem Jahr dessen Kontakte zu benutzen, aber niemand möchte jemanden zwei Jahre lang bezahlen, um ihn im Kühlfach zu haben.“

Die Möglichkeit von Außerkraftsetzungen der Ethik-Regelungen, wie sie Obama für einzelne Staatsbedienstete erließ, behielt Trumps Exekutivanordnung bei, strich jedoch die Verpflichtung, diese Ausnahmen zu veröffentlichen. Dies hält dem weißen Haus eine Hintertür in der Order offen, um sie abseits der Öffentlichkeit aufgeben, man könnte bei offensichtlichen Verstößen einfach behaupten, sie fallen unter die – nicht öffentlichen – Ausnahmeregelungen.

Einzig in der Definition von Lobbyarbeit geht die neue Regelung weiter als die bisherige, indem sie ausdrücklich auch Personen einschließt, die Kontakte zwischen Lobbyisten und Politikern herstellen, dementsprechend gelten die – aufgeweichten – Regelungen nicht mehr nur für registrierte Lobbyisten.

„Es besteht durchaus Grund, anzunehmen, dass diese Regierung mit mehr Korruptionsskandalen zu kämpfen haben wird als jede andere US-Regierung in der Geschichte,“ erläuterte Robert Weissman, Vorsitzender der Gruppe „Public Citizen“ zu der Exekutivorder. Die Aktivistengruppe hatte in Anbetracht der Weigerung Trumps, sein Vermögen zu veräußern, und mit Bezug auf die offensichtlichen Interessenkonflikte seiner Kabinettsmitglieder zuvor schon die Ethik der neuen Regierung infrage gestellt.

Ajit Pai – Im Auftrag Donald Trumps gegen Netzneutralität und digitale Demokratie.

Washington D.C. (USA). Fast unbemerkt im Trubel um die Amtseinführung Donald Trumps, dessen rhetorischen Eskapaden, das Einreiseverbot für Muslime, die Mauer und andere unfassbar regressive Exekutivregelungen, die in den ersten zehn Tagen der neuen US-Administration auf den Weg gebracht wurden, wurde der Republikaner Ajit Pai zum Chef der U.S. Federal Communications Commission (FCC), der amerikanischen Kommunikationsbehörde, befördert. Für das Thema Netzneutralität kann das gravierende Folgen haben.

Man mag als Progressiver in Deutschland die anti-emanzipatorische und in vielerlei Hinsicht durch den Chefberater im weißen Haus und heimlichen Präsidenten Steve Bannon gesteuerte Politik des 45ten US-Präsidenten abscheulich finden. Die Trump-Mauer, die Abtreibungsverbote in konservativen Bundesstaaten, der Einreisestopp für Muslime – oder für Muslime mit Staatsangehörigkeiten von Ländern, in denen Trump und seine Partner keine finanziellen Interessen haben, um präzise zu sein – betreffen jedoch die meisten Deutschen nicht. Netzneutralität und deren Aushöhlung allerdings schon!

Anhand früherer Aussagen wird angenommen, dass Ajit Pai, der bereits als Kommissar in der FCC tätig war und zuvor auch im Justizministerium arbeitete, darauf hinarbeiten wird, dass – von Netzaktivisten hart erkämpfte – Telekommunikations- und Internet-Regulierungen der Obama-Regierung, welche die Netzneutralität von amerikanischer Seite garantieren sollen, wieder abgeschafft werden. Schon im Dezember zeigte sich Paj, der als Sohn indischer Einwanderer in Kansas aufwuchs, enorm kritisch gegenüber diesen Regelungen, demnach solle die FCC einen „Rasenmäher“ bei „unnötigen“ Regulierungen ansetzen.

Speziell die 2015 eingeführten eingeführten grundlegenden Regeln zur Netzneutralität, würden nicht überdauern, so Pai weiter. „In der Trump-Administration werden wir bei der FCC vom Spiel in der Defensive in die Offensive übergehen. Wir müssen den Rasenmäher anwerfen und diese Regeln abschaffen, die Investitionen, Innovationen und die Schaffung von Arbeitsplätzen behindern!“ Wobei Pai keinerlei Evidenz dafür anführt, inwieweit Netzneutralität Investitionen, Innovation und Arbeitsplatzschaffung negativ beeinflusst – weil dazu keine Evidenz existiert. Im Gegenteil: Da Webseiten kleiner Firmen und Organisationen – beispielsweise hoch-innovativer Start-Up-Unternehmen – vom Netzprovider genauso behandelt werden müssen, wie die Internetpräsenzen großer Konzerne, liegt sogar die Vermutung nahe, dass Netzneutralität sich gesamtwirtschaftlich innovationsfördernd auswirkt. Von der Deregulierung würden tendenziell allerdings Großkonzerne profitieren, die bereit – und finanziell fähig – sind, Internetprovidern mehr zu bezahlen, damit ihre Webseiten bevorzugt behandelt werden.

Pai wird außerdem eine zentrale Rolle in Entscheidungen treffen, die mit der Fusion von Konzernen im ohnehin stark konzentrierten US-Telekommunikationsmarkt zusammenhängen. Hier zeigte er sich zuletzt im Mai vergangenen Jahres recht konzernfreunlich, als er gegen die von der FCC beschlossenen Bedingungen zum Aufkauf von „Time Warner Cable“ durch „Charter Communication’s“ vorging. Im Prinzip ist er – wie so viele Neubesetzungen der Trump-Regierungen – der Traumkandidat des Großkapitals.

Großkonzerne wie Amazon dürfen Internetprovidern keine Sonderrechte abkaufen dürfen!
Großkonzerne wie Amazon können dank Netzneutralitätsregeln den Internetprovidern keine Sonderrechte abkaufen. Unter der Trump-Administration könnten diese Regeln gekippt werden.

Noch kurz vor dem Regierungswechsel hatte der vorige FCC-Chef Tom Wheeler der neuen republikanischen Administration dringend davon abgeraten, die Schutzregelungen zur Netzneutralität zurückzudrehen, die es Internetanbietern verbieten, den Zugang zu bestimmten Netzinhalten zu beschränken, zu verlangsamen oder zu beschleunigen.

Dass der neue FCC-Chef Pai und damit die wichtige Debatte über die Zukunft der Netzneutralität – nicht nur in den USA, denn das Internet ist ja in seiner Natur international – nicht öffentlich stattfindet, liegt – neben der offensichtlichen Befangenheit der großen Medienorganisationen beim Thema Netzneutralität – auch daran, dass Pai nicht vom Senat als FCC-Chef bestätigt werden muss und dass dementsprechend keine Anhörungen zu seiner Berufung stattfinden. Seine Amtszeit als Kommissar der FCC läuft allerdings Ende des Jahres aus, dann hätte der Senat – zumindest theoretisch – die Möglichkeit, seine Wiederernennung zu verhindern, um auf einen Kandidaten zu drängen, der für Netzneutralität eintritt. Dass dies ohne Druck aus der Gesellschaft geschieht, ist jedoch unwahrscheinlich.

Was in den Netzneutralitätsbestimmungen der USA geregelt ist.

Netzneutralität bedeutet, dass Internetprovider keine Sonderrechte an Großkonzerne verkaufen können. So werden unabhängige Blogger, kleine Unternehmen, NGOs und kleinere Webmagazine ebenso behandelt wie Großkonzerne. Dabei werden insbesondere drei Gruppen solcher Vorteile in den Netzneutralitätsregeln geregelt:

  • Spezialdienste: Mittels sogenannter Spezialdienste (Dienste, die nur Verbindungen zu bestimmten Zwecken zulassen) könnten Provider für Großkonzerne digitale „Überholspuren“ schaffen z.B. für Shopping-Apps und im Gegenzug das reguläre Internet drosseln.
  • Klassenbasiertes Verkehrsmanagement: Bisher behandeln Provider alle Daten gleich, weshalb relative Informations- und Wettbewerbsfreiheit sowie Chancengleichheit im Netz garantiert sind. Mittels klassenbasiertem Verkehrsmanagement könnten dagegen Internet-Provider nach eigenem Ermessen den Datenverkehr drosseln oder beschleunigen. Abhängig auch davon, welche Seiten besucht werden.
  • Zero-Rating: Bei diesem Geschäftsmodell, das insbesondere für Nutzer mobiler Geräte relevant ist, werden vom Internetprovider Daten bestimmter Anwendungen oder Dienste nicht für das monatliche Datenlimit der Nutzer mitgezählt. Auf diese Weise könnten Konzerne sich durch den Erwerb von Zero-Rating-Lizenzen unfaire Vorteile gegenüber kleineren Diensten erkaufen. Außerdem wäre der Netzprovider motiviert, das maximale Datenvolumen seiner Kunden möglichst gering zu halten um mehr solcher Zero-Rating-Lizenzen an Konzerne zu verkaufen, während der Kunde aus Kostengründen angehalten wäre eher Zero-Rating-Dienste zu nutzen als solche, die sein maximales Datenvolumen belasten.

Weiterführende Quelle:
MIT Technology Review – „What happens if Net Neutrality goes away?“
Sehr objektiv und wertungsfrei geschrieben, es wird allerdings klar: Fehlende Netzneutralität nutzt denen, die für Priorisierung zahlen können.

Russland beschließt Gesetz zur Dekriminalisierung häuslicher Gewalt – warum das immer noch Thema sein muss.

Moskau (Russische Föderation). Für viele – insbesondere Männer – im konservativen Spektrum ist es bis heute nichts ungewöhnliches, Ehefrau und Kinder zu schlagen. In Russland könnte dies künftig wieder erlaubt werden: Ein Gesetzentwurf, der vergangene Woche in der russischen Duma (dem Unterhaus des russischen Parlaments) beschlossen wurde, kann als erster Schritt in Richtung Re-Legalisierung von häuslicher Gewalt gewertet werden.

Zunächst soll das Gesetz, bei dem davon ausgegangen wird, dass es auch vom Oberhaus und vom russischen Präsidenten Wladimir Putin ratifiziert werden wird, den Strafrahmen für häusliche Gewalt deutlich absenken. Der Entwurf, der auch als „Ohrfeigen-Gesetz“ bezeichnet wird, regelt, dass Personen, die zum ersten Mal wegen häuslicher Gewalt verurteilt werden, nur noch zu höchstens 15 Tagen in Polizeigewahrsam und einer Geldstrafe verurteilt werden können, sofern ihre Tat nicht in „ernsthaften. Bisher liegt der Strafrahmen bei bis zu zwei Jahren.

Wenn in Russland künftig also jemand zum ersten mal angezeigt wird, weil er seine Kinder schlägt, wird nicht – wie hierzulande – einem regulären Prozess wegen Körperverletzung unterzogen werden, sofern keine „ernsten Verletzungen“ nachgewiesen werden können. Wobei der Wortlaut durchaus offen für Interpretationen ist: So wird das Gesetz aktuell so verstanden, dass Staatsanwälte keine Verfahren wegen häuslicher Gewalt mehr eröffnen werden können, sofern die Opfer der Tat nicht Brüche oder schwere körperliche Traumata durch die Tat erleiden. 

Im ersten Schritt wurde das „Ohrfeigen-Gesetz“ am vergangenen Donnerstag in der Duma mit 380 zu 3 Stimmen beschlossen. Befürworter des Gesetzentwurfs verweisen in ihrer Begründung auf eine Änderung des Strafgesetzes im vergangenen Juli, die einfache Tätlichkeiten gegenüber Fremden bereits dekriminalisierte, Tätlichkeiten innerhalb der Familie jedoch nicht. Zunächst galt der Entwurf der erzkonservativen Abgeordneten Yelena Mizulina, die auch federführend an Russlands berüchtigtem Gesetz gegen „Homosexuelle Propaganda“ beteiligt war, noch als chancenlos. Dies änderte sich jedoch, als ein konservativer Journalist den russischen Präsidenten in dessen jährlicher Medienkonferenz auf die rechtlichen Folgen von Tätlichkeiten ansprach.

„Wenn ein Vater seinem Sohn aus gutem Grund den Hintern versohlt, um ihm eine Lektion zu erteilen, eine traditionelle russische Lektion, wird er zu zwei Jahren Haft verurteilt – und wenn ein Nachbar das selbe tut, wird er mit einer Geldstrafe davon kommen,“ so der Journalist. Dieser Satz, der die ganze Abscheulichkeit der regressiven Ideologie recht bildlich darstellt, glauben doch Rechte ernsthaft, ein Kind – oder eine Frau – lerne durch Schläge, könne Schläge gar „verdient haben“, beförderte Mizulinas Entwurf in den Aufwind. Mizulina geht in ihrer Begründung noch weiter und meint: „In der traditionellen russischen Familienkultur, sind Beziehungen zwischen ‚Vätern und Söhnen‘ auf der Autorität der Kraft der Eltern aufgebaut.“ Mit anderen Worten: Es muss erlaubt bleiben, Kinder und Frauen zu schlagen, weil es der russischen Tradition entspricht. Wenn je ein Beispiel gebraucht wird, wie gefährlich Traditionalismus sein kann, ist es in diesem Satz einer Politikerin zu finden, die sich offensichtlich niemals mit der Psychologie von Kindern – oder Gewaltopfern – befasst hat.

Dementsprechend nannten Gegner des „Ohrfeigen-Gesetzes“ dieses auch eine „Lizenz zur Gewaltanwendung durch Autoritätspersonen“. Die Russische Gender-Forscherin Svetlana Aivazova erklärt dazu in der „New York Times“: „Es wird deutlich, dass die Abgeordneten Gewalt als Normalität im Familienleben akzeptieren. Das zeigt, dass die Duma-Abgeordneten nicht nur konservativ oder traditionell denken, sondern archaisch!“

Die Aktivistin fügt hinzu, dass laut Statistiken des russischen Innenministeriums im Jahr 2013 mehr als 9.000 Frauen bei kriminellen Übergriffen starben und dass „mehr als ein Viertel aller Morde in der Familie begangen werden.“ In den USA – wo die Mordrate verglichen mit Deutschland noch immer exorbitant hoch ist – zeigen Statistiken, dass jährlich rund 1.000 Frauen durch Ehemänner und Lebensgefährten getötet werden. Weniger als halb so viele wie in Russland also, obwohl die Vereinigten Staaten etwa doppelt so viele Einwohner haben wie Russland. Die von Aivazova zitierte Statistik zeigt weiterhin, dass 40 Prozent der angezeigten Gewaltdelikte in Russland in der Familie stattfinden – in Deutschland sind es etwa 20 Prozent. Wobei von Polizei und Frauenverbänden aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen in der Familie hohe Dunkelziffern angenommen werden – die umso höher sind, je weniger häusliche Gewalt in der Gesellschaft geächtet wird.

Die Legislatur zur Dekriminalisierung von Tätlichkeiten in der Familie erfährt in Russland erschreckend viel Zustimmung, so glauben mindestens 20 Prozent der Russen, es sei in Ordnung, Kinder oder Ehefrauen zu schlagen. Der Gesetzentwurf hat außerdem die aktive Unterstützung der Russisch-Orthodoxen Kirche, die im vergangenen Jahr körperliche Bestrafungen als russische Tradition verteidigte, das Recht, sein eigenes Kind zu schlagen sei demnach „ein essentielles Recht, das den Eltern von Gott selbst gegeben“ sei. Die russischen Konservativen erinnern damit einmal mehr daran, dass nicht nur Saudi-Arabien oder Qatar immer noch patriarchalisch organisiert sind.

Gewalt in der Beziehung oder in der Familie ist jedoch auch in Deutschland noch immer ein Problem, so wurden 2015 insgesamt 127.457 Personen Opfer von Partnerschaftsgewalt, davon knapp 82 Prozent Frauen. Bei sexueller Gewalt in der Partnerschaft waren dabei die Opfer fast ausschließlich weiblich. Bei vorsätzlicher Körperverletzung sowie bei Tötungsdelikten waren die Opfer zu 80 Prozent Frauen. Wobei die Anzahl der angezeigten Fälle von häuslicher Gewalt zugenommen hat – ob dies mit einer tatsächlichen Zunahme der Delikte, oder vielmehr mit einer größeren Bereitschaft, häusliche Gewalt anzuzeigen, zusammenhängt ist allerdings unklar.

Belastbare Zahlen zur familiären Gewalt gegen Kinder sind allerdings kaum zu finden, denn auch in Deutschland werden Gewaltdelikte gegen die eigenen Kinder nur in den seltensten Fällen überhaupt angezeigt. Schließlich schlagen Eltern und Großeltern hinter verschlossenen Türen zu und weder sie noch die Betroffenen wollen darüber sprechen – aus Scham, falsch verstandener Loyalität, einem Gefühl der Mitschuld oder weil sie unter Druck gesetzt werden. Außerdem können sich Kinder an Schläge vor ihrem dritten Lebensjahr später kaum noch erinnern, gerade in diesem Alter seien Kinder jedoch häufig Opfer von Gewalt, so Cordula Lasner-Tietze vom Deutschen Kinderschutzbund.

Gerade das Erleben von Gewalt in der frühen Kindheit und häufige Übergriffe im Laufe des Lebens können allerdings den psychischen und physischen Gesundheitszustand stark beeinträchtigen. So leiden frühere Gewaltopfer, signifikant häufiger unter körperlichen und psychosomatischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magen-Darm-Problemen, Schwindel, Blutdruckschwankungen sowie gynäkologischen Beschwerden. Zu den psychischen Folgen von Gewalt gehören außerdem Depressionen, Stresssymptome, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Essstörungen und Suizidalität.

Bei Kindern mit Gewalterfahrungen wurden außerdem Beeinträchtigungen in der geistigen und emotionalen Entwicklung festgestellt. Auch Lernschwächen können demnach Folgen frühkindlicher Gewalt sein.

Gerade die überproportionale Schädlichkeit frühkindlicher Gewalterlebnisse und die psychologischen Folgen des Vertrauensverlusts gegenüber den Eltern, den ein familiäres Gewalterlebnis für ein Kind bedeutet, macht also jede Lockerung der Gesetze gegen häusliche Gewalt besonders gefährlich.

Untersuchungen haben dabei ergeben, dass zum einen Mütter beinahe so oft zuschlagen wie Väter und dass sich häusliche Gewalt nicht auf sozial schwache Familien beschränkt: So ergab die Bielefelder Gewaltstudie von 2013, dass fast jedes dritte Kind im prekären Milieu schon einmal geschlagen wurde. Bei den Kindern aus vermögenderen Elternhäusern waren es jedoch immer noch 22,7 Prozent.


Weiterführende Quellen:
Bundesfamilienministerium – Häusliche Gewalt.
Psychologie Heute – Die Folgen von Gewalt.
Welt.de – „Oft erinnern sie sich nicht an die Schläge“.
Polizeiberatung – Häusliche Gewalt.
Polizeiberatung – Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt.

Trump befeuert Unabhängigkeitsbestreben in Kalifornien.

Sacramento, Kalifornien (USA). Ab sofort darf eine Kampagne zur Abspaltung Kaliforniens vom Rest der USA Unterschriften sammeln. Dafür erteilte am Donnerstag Alex Padilla, der Innenminister des US-Bundesstaates, offiziell die Genehmigung. Um Erfolg zu haben muss die „Yes California“ Kampagne nun 585.407 Unterstützer – acht Prozent der in dem Westküstenstaat registrierten Wähler – mobilisieren.

Wenn die Unabhängigkeitsbewegung diese Zahl erreicht – was als unwahrscheinlich gilt -, gäbe es im November 2018 eine erste Abstimmung gefolgt von einem Referendum im Folgejahr. Padilla warnte jedoch trotz aller Unwahrscheinlichkeit bereits vor möglichen Folgen eines „Calexit“: Die Abstimmung allein werde dem Staat demnach Kosten in Millionenhöhe aufbürden. Ein tatsächlicher Austritt aus den Vereinigten Staaten würde zudem die Regierung nicht nur mit rechtlichen Herausforderungen, sondern auch mit gravierenden finanziellen Schwierigkeiten konfrontieren, so der kalifornische Innenminister.

Die Befürworter der Kampagne argumentieren jedoch, dass der bevölkerungsreichste US-Bundesstaat mit fast 40 Millionen Einwohnern unabhängig von den Vereinigten Staaten auch ökonomisch besser da stünde. Sie verweisen dabei auch auf die enorme Wirtschaftskraft der Westküste – und klagen über Ausgleichszahlungen an schwächere Bundesstaaten. Ist also vor allem fehlende Solidarität der Grund für die Austrittsbewegung?

Kaum: Vor allem Sieg des Rechtspopulisten Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen November befeuerte die Kampagne zur Schaffung einer unabhängigen kalifornischen Nation. Die dortigen Wähler hatten mit einer deutlichen Mehrheit von 4,2 Millionen Stimmen für die Rivalin Trumps, Hillary Clinton, votiert. Der Bundesstaat gilt allgemein als eher liberal.

Lügen, Depressionen, Wirkungslosigkeit – Die grausame Wahrheit über die Schwulenheilung.

Im vergangenen Dezember hat Malta sogenannte Konversionstherapien, also Behandlungsverfahren, die das Ziel verfolgen, die sexuelle Orientierung oder Identität von der Homosexualität zur Heterosexualität zu verändern, verboten. Aus dem Milieu der „Gender-Kritiker“ und der sogenannten „Ex-Gay-Bewegung“ gibt es an dieser Entscheidung massive Kritik bis hin zum Vorwurf des Totalitarismus gegenüber der maltesischen Regierung. Homosexuelle, so argumentieren die Anhänger der „Ex-Gay-Bewegung“, müssen frei darüber entscheiden dürfen, ob sie ihre Homosexualität annehmen, oder ob sie diese therapieren lassen. Indem man Verbote der umstrittenen Konversions- oder Reparativtherapie unterstütze, zwinge man anderen die eigene Meinung und den eigenen Lebensstil auf. (Auf die letzten beiden Sätze wird diese Arbeit noch zurück kommen.)

Nachdem Malta die kontroversen Behandlungen schon Ende vergangenen Jahres verboten hat, berät seit Jahresbeginn auch das taiwanesische Parlament über einen Gesetzesentwurf des Gesundheitsministers, der Versuche von „Schwulenheilung“ unter Strafe stellen soll. In Deutschland allerdings bleibt Konversionstherapie zunächst legal und in den USA wurde mit Mike Pence gerade ein Politiker zum Vizepräsidenten erhoben, der doch tatsächlich mehr staatliche Mittel in die Konversionstherapie investieren will. Verbote der umstrittenen Praxis bleiben global die Ausnahme.


Vorbemerkung: Die vorliegende Arbeit soll unter kurzer Bezugnahme auf aktuelle Ereignisse die wissenschaftlichen Grundlagen zur Konversionstherapie in aller Kürze zusammenfassen. Weiterführende Quellen sind am Ende des Artikels zu finden.


Verbot in Malta und Situation in Deutschland.

Die Entscheidung, Konversionstherapien zu verbieten, fiel im Parlament der Mittelmeerinsel einstimmig. Schon vor der eigentlichen Abstimmung hatten sämtliche Parlamentsmitglieder ihre Unterstützung für das Gesetz zugesichert. Seit dem Jahreswechsel drohen dort nun jedem eine Geldstrafe von 1000 bis 5000 Euro sowie fünf Monate Gefängnis, der versucht, die sexuelle Identität einer Person auf therapeutische Weise zu verändern. Für ausgebildete Ärzte und Therapeuten sind die Strafen noch deutlich härter: Ihnen drohen 2000 bis 10000 Euro Geldstrafe sowie bis zu ein Jahr Haft. Ausdrücklich ausgenommen sind in dem Gesetz allerdings PsychotherapeutInnen, die „unvoreingenommen“ Menschen beim Umgang mit ihrer sexuellen Identität unterstützen.

Malta gilt gemeinhin als das LGBTI-freundlichste Land Europas, nirgendwo sonst genießen Lesben, Schwule, Trans- und Intersexuelle so viele Rechte wie in dem kleinen Inselstaat.

In Deutschland sähe das wohl anders aus, eine Einstimmigkeit für ein Verbot käme zumindest nicht zustande – wenn eine entsprechende Vorlage es denn je in die Parlamente schaffen sollte -, denn obwohl Menschenrechtsverbände und progressive Kräfte seit langem politisches Handeln in der Thematik fordern, hat die „Ex-Gay-Bewegung“ sowohl bei der Union als auch bei der AfD einflussreiche Unterstützer. Zu den wichtigsten Advokaten der Umpolungsbehandlungen gehören in Deutschland das fundamentalistische „Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft“ (DIJG), das Teil der evangelischen Amtskirche ist, sowie der evangelikal-konservative Verein „Wüstenstrom“ mit Sitz im baden-württembergischen Tamm, der bereits wegen emotional schädigender Therapieansätze bis hin zum psychischen Zwang in die öffentliche Kritik geraten ist. Wobei „Wüstenstrom“ mittlerweile wohl in der „Bewegung“ kaum noch Relevanz hat, der Organisator,  Markus Hoffmann, tritt stattdessen jüngst häufiger mit der „Bruderschaft des Weges“ auf, einer kleinen Gruppe von Personen – offenbar aus dem „Wüstenstrom“-Umfeld, die angeben, ihre Homosexualität nicht auszuleben. Auch „Wüstenstrom“ hat Verbindungen zur evangelischen Amtskirche in Deutschland (EKD).

Zusätzlich erschwert wird in Deutschland eine Anti-Konversionsgesetzgebung, weil es im Grundgesetz – im Gegensatz zur maltesischen Verfassung – keinen expliziten Schutz der sexuellen Orientierung und Identität gibt. LGBTI-Organisationen streiten hierfür zwar seit Jahren, bisher scheiterte jedoch jeder Versuch, die nötige Änderung des dritten Verfassungsartikels in die Wege zu leiten – insbesondere an den Unionsparteien. Das DIJG spricht sich auf seiner Homepage klar gegen einen verfassungsmäßigen Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Identität aus. Solche Position – hinterlegt mit religiös-pseudowissenschaftlicher – Scheinevidenz verbreitet das Institut über ein Netzwerk christlich-fundamentalistischer Vereine und Organisationen, die auch politische Lobbyarbeit leisten und beispielsweise Mitorganisatoren der „genderkritischen“ „Demo für alle“ sind, auf der sich auch AfD-Politiker immer wieder gerne sehen lassen. Dabei setzt übrigens das DIJG auch entgegen aller wissenschaftlichen Forschung auch Pädophilie und Homosexualität gleich. Eines der Hauptargumente gegen den Schutz der sexuellen Identität wird damit der Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen. Tatsächlich ist die Argumentation des Instituts hierzu ziemlich bemerkenswert – um nicht zu sagen unverschämt.

Wissenschaftliche Betrachtung der Wirksamkeit von Konversionstherapie.

Trotz aller religiös-fundamentalistischen Motivation der „Ex-Gay-Initiativen“ – und hinter solchen Initiativen stecken ausnahmslos religiöse Motive – behaupten das DIJG, „Wüstenstrom“ und andere immer wieder, sich auf wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit der sogenannten Konversions- oder Reparativtherapien berufen zu können. Es gilt daher zunächst, diese Studien einmal auszuwerten, um die Evidenz zu beurteilen, auf die sich die selbsternannten Schwulenheiler stützen.

Hierzu stellte Dr. Reinhold Weicker von der „ökumenischen Initiative Homosexualität und Kirche“ (HuK) in einer Arbeit für den Evangelischen Kirchentag Dresden am 03.06.2011 zunächst fest, dass die angebliche Evidenz einerseits in aller Regel sehr allgemein und ungenau zitiert wird, die Initiativen blieben demnach bewusst undeutlich. Andererseits gebe es aber auch Fälle, in denen die Studienergebnisse, auf die sich die „Ex-Gay-Bewegung“ stützt, schlicht falsch oder irreführend wiedergegeben wurden.

So erklärte die Kinderärztin und Leiterin des DIJG, Dr. Christl Ruth Vonholt bei einem Vortrag in Wien im Februar 2008 fälschlicherweise: „Eine größere Zahl wissenschaftlicher Studien belegt, dass eine Abnahme homosexueller Empfindungen und die Entwicklung einer reifen Heterosexualität möglich sind. So führte Robert Spitzer, Columbia Universität New York (2003) eine detaillierte Untersuchung durch. Über 60 Prozent der Männer und über 40 Prozent der Frauen hatten nach entsprechender Therapie dauerhaft zu einem ‚guten heterosexuellen Leben‘ gefunden.” Aus Spitzers Studie lassen sich die angegebenen Zahlen jedoch nicht entnehmen, sie sind schlicht erfunden, zumal ohnehin fraglich ist, ob sich Spitzers Untersuchung überhaupt für Aussagen über die „Heilbarkeit“ von Homosexualität eignet.

Ähnlich wie Dr. Vonholt äußerte sich auch der Geschäftsführer des „Werks für Sexualethik – weißes Kreuz”, einer dritten bedeutenden Institution in der deutschen „Ex-Gay-Bewegung“, der Pfarrer Rolf Trauernicht in einem Text auf der Website seiner Organisation: „Wenn man die Ergebnisse verschiedener Studien zusammenfasst, kann man davon ausgehen, dass ca. 40% der Homosexuellen die Kraft haben, an sich zu arbeiten und Veränderung in Richtung Heterosexualität zu erfahren. Ca. 30% leiden weiter an ihrer Neigung, ohne den sexuellen Kontakt zu leben und ca. 30% bleiben ihrer homosexuellen Neigung und Praxis treu.” Auch bei Trauernicht bleibt völlig unklar, woher seine Prozentangaben stammen – von einer veröffentlichten Studie sind sie nicht gedeckt.

Hinzu komme, so Weicker, dass in den Aussagen über die „Heilungschancen“ regelmäßig wertende Begriffe aus dem religiösen statt aus dem wissenschaftlichen Kontext verwendet werden. So beantwortete „Exodus International“, der amerikanische Dachverband der „Änderungsbefürworter“, die Frage „Was ist die Erfolgsquote, wenn es um die Änderung von homosexuell nach heterosexuell geht?“ auf seiner Website folgendermaßen: „Lass uns die Frage umformulieren. Gibt es begründete Hoffnung dafür, dass Männer und Frauen, die Anziehung zum gleichen Geschlecht erleben, diese Versuchungen überwinden und ein Leben in sexueller Integrität führen können?” Die benutzten Worte seien hier bewusst nicht neutral gewählt, so Weicker.

Neben den inkonsistenten Aussagen über die tatsächliche „Heilbarkeit“ beobachtet Dr. Weicker, dass bei allen mehr oder weniger ernstzunehmenden „Ex-Gay-Initiativen“ aus der Position, Homosexualität sei nicht – wie von der angeblichen Propaganda der „Schwulen-Lobby“ behauptet – genetisch oder biologisch bedingt, der unberechtigte Umkehrschluss gezogen werde, dass sie dann nur psychisch bedingt sein könne, also prinzipiell änderbar sei. Öffentlich werde dabei zumeist von“Änderung“ gesprochen, von „Heilung“ und dem „homosexuellen Problem” nur gegenüber Gleichgesinnten.

Zur tatsächlichen wissenschaftlichen Überprüfung von Behauptungen über Erfolge und Misserfolge von deutschen Schwulenheilern schreibt Dr. Weicker: „Aus dem deutschsprachigen Raum gibt es Einzelberichte (‚Ich kenne da jemanden‘, ‚viele‘), mir sind aber keine systematischen Studien von neutraler Seite bekannt.“ Ihm selbst sei jedoch niemand namentlich bekannt, der sich als „erfolgreich geheilter Homosexueller“ identifiziert, der nicht „in der Beratung mit dem Ziel einer Umorientierung tätig“ sei.

Das selbe gelte allerdings auch in Bezug auf die Schädlichkeit der Therapieversuche: Da sich Personen, die sich an die Presse wenden in der Regel ihre Anonymität bewahren wollen, sei es schwierig, deren Einlassungen nachzuprüfen – wenngleich durchaus verständlich sei, dass diese Personen unerkannt bleiben wollen.

Belastbare Empirie gebe es demnach aus Deutschland weder zur Wirksamkeit, noch zur Schädlichkeit von Konversionstherapie. Aus den USA dagegen stammen inklusive der bereits genannten Spitzer-Studie insgesamt drei empirische Untersuchungen, die (mehr oder weniger) quantifizierbare Ergebnisse erzielten:

  • Robert Spitzer: „200 Interviewteilnehmer, die sagen, dass sie ihre homosexuelle Orientierung zugunsten einer heterosexuellen Orientierung verändert haben.” (Vortrag, APA 2001, später Zeitschriften-Veröffentlichung).
  • Ariel Shidlo / Michael Schroeder: Änderung der sexuellen Orientierung: Ein „Verbraucher-Bericht” (Vortrag, APA 2001, später Zeitschriften-Veröffentlichung). Englisch.
  • Stanton Jones / Mark Yarhouse: „Ex-gays? A Longitudinal Study of Religiously Mediated Change in Sexual Orientation”. Buch (414 S., 2007), nur englisch verfügbar.

Auf alle drei Untersuchungen geht Weicker in seinem Referat im Detail ein, im Folgenden seien seine Ergebnisse kurz zusammen gefasst:

Die Spitzer-Studie, die bei Verfechtern der „Änderbarkeit” besonders beliebt ist, weil er bei der Entscheidung der American Psychological Association (APA), Homosexualität 1973 aus der Liste der psychischen Krankheiten zu streichen, eine wesentliche Rolle gespielt hatte, ist nicht geeignet, überhaupt eine Aussage über die Erfolgsquoten von Konversionstherapien zu treffen, weil nur solche Personen telefonisch befragt wurden, die sich selbst als „Erfolgsfall“ identifizierten. Einen Versuch, Menschen zu finden, die mit einer Therapie begonnen haben, diese aber abbrachen, gab es nicht. Zu bedenken gibt Weicker beider Untersuchung außerdem, dass 78 Prozent der Probanden sich vorher schon „in der Öffentlichkeit für das Recht auf Veränderung eingesetzt” hatten. Verbunden mit der späteren Einlassung Spitzers, wie schwer es gewesen sei, 200 passende Teilnehmer zu finden, deutet sich eine Beeinflussung der Untersuchung durch „Ex-Gay-Aktivisten“ an.

Seltener zitiert wird die Studie der beiden homosexuellen Psychiater Ariel Shidlo und Michael Schroeder, die ihre Ergebnisse auf dem selben Kongress 2001 vorstellten wie Spitzer. Sie hatten auch beinahe die selbe Anzahl an Studienteilnehmern (202, von ursprünglich 216) wie Spitzer. In der Untersuchung wurden die Probanden zu ihren Erfahrungen mit Konversionstherapien befragt, wobei die Autoren zwischen „klinischen” (durch therapeutische Fachleute durchgeführten), und „nicht-klinischen” (meist durch religiös motivierte Gruppen durchgeführten) Therapieansätzen unterschieden.

87 % der Befragten bezeichnen sich in der Shildo/Schroeder-Studie als „Fehlschlag”, nur 13 % als „Erfolg”, wobei nur ein Teil der „Erfolge“ angaben, zur Heterosexualität gefunden zu haben, die Übrigen gaben an, sich mit einem selbst auferlegten Zölibat zufrieden gegeben zu haben. Zu bedenken geben die Autoren allerdings, dass unter den acht Personen (oder vier Prozent) in der Gruppe, die von einer „Verschiebung zum Heterosexuellen hin” berichteten, sieben in der „Ex-Gay-Beratung“ tätig waren, vier davon hauptamtlich. Auch hier scheint eine Beeinflussung der Studie alles andere als ausgeschlossen.

Die dritte Studie, die gerne als wissenschaftliche Evidenz für die Möglichkeit, die sexuelle Identität zu verändern, herangezogen wird, ist die vom amerikanischen Dachverband der Schwulenheiler, „Exodus“, finanzierte Langzeit-Untersuchung von Stanton Jones und Mark Yarhouse, die im Buch „Ex-Gays?“ erschien. Jones und Yarhouse begleiteten im Gegensatz zu den bisher erwähnten Wissenschaftlern die Probanden ihrer Untersuchung direkt von Anfang an, während deren Behandlung – auf diese Weise mussten die Probanden sich nicht längere Zeit zurück erinnern. Das Buch ist durchaus an wissenschaftlichen Standards orientiert, so verschwiegen die Autoren auch nicht, dass sich zur Zeit der Untersuchung außerhalb der Studiengruppe zwei Personen infolge von Konversionstherapie das Leben nahmen. Das Forschungsprojekt hatte allerdings einen Haken: Alle 98 Probanden wurden von „Exodus“ selbst ausgewählt und den Forschern vermittelt – was der Organisation ungeheuerlichen Spielraum für Beeinflussung ermöglichte. 

Die Autoren nennen am Ende eine Erfolgsquote von unglaublichen 38 Prozent beziehungsweise von 26 Prozent, sofern Therapieabbrüche, die häufig waren (33 Prozent), als Misserfolge gewertet werden – und nicht aus der Statistik herausgerechnet werden. Diese 26 Prozent teilen sich allerdings wiederum auf in 15 Prozent, die sich letztlich vorgenommen haben, gar keine Sexualität auszuleben, während nur 10 Prozent der Probanden am Ende angaben, eine Wandlung zur Heterosexualität erfahren zu haben. Wobei mindestens einer davon seine Angabe mittlerweile – noch vor Erscheinen des Buches – revidierte und klarstellte, er akzeptiere nun seine homosexuelle Identität. So bleiben von 98 Personen am Ende neun Personen, die – nach eigenen Angaben – durch die Behandlung heterosexuell wurden, ob sie sich heute noch so einstufen würden ist unbekannt. Und selbst bei diesen neun „Erfolgsgeschichten“ gibt es noch offene Fragen.

Nach Analyse der drei zentralen Studien und deren Abgleich mit den Behauptungen der Schwulenheiler-Organisationen kommt Weicker zu dem Schluss, dass am Anfang immer die Überzeugung „Homosexualität ist etwas Schlechtes, ist abzulehnen” steht. Um diese Überzeugung herum werde dann eine Pseudowissenschaft mit der Prämisse „sexuelle Identität ist veränderbar“ gesponnen, deren Ergebnisse entsprechend des eigenen Weltbildes interpretiert werden können. Weicker zitiert in diesem Zusammenhang auch die Ärztin Dr. Valeria Hick, die dazu 2007 schrieb: „Die Prämisse, Homosexualität müsse von der Bibel her falsch sein, ist so stark, dass mit aller Macht der wissenschaftliche Nachweis gesucht wird. Allzu oft wird dabei bestenfalls selektiv wahrgenommen und schlimmstenfalls auch kurzerhand ein wissenschaftliches Ergebnis völlig verbogen.”

Abschließend stellt Weicker fest: „Ich will nicht behaupten, dass es nirgendwo eine ‚erfolgreiche‘ Veränderung geben kann. Es kann ja irgendwo auf der Welt einen weißen Elefanten geben; nur mir ist noch keiner begegnet.“

Dass Homosexualität also veränderbar zur Heterosexualität ist, dürfte zumindest als sehr unwahrscheinlich, wenn nicht sogar als ausgeschlossen gelten, wenn man zusätzlich die offensichtliche Einflussnahme der „Ex-Gay-Bewegung“ auf die einzigen drei empirischen Studien mit wissenschaftlichem Anspruch bedenkt. Andererseits lassen sich vielleicht einige „Erfolge“ der Konversionstherapie auch damit erklären, dass Sexualität nicht absolut bipolar ist: Zwischen Homosexualität und Heterosexualität liegt ein breites Spektrum sexueller Identitäten (aber das wollen die „Gender-Kritiker“ ja erst recht nicht wahrhaben).

Nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich?

Dass es „sehr unwahrscheinlich“ sei, dass „Individuen [durch Konversionstherapie] fähig sind, gleichgeschlechtliche Anziehung zu verringern oder heterosexuelle Anziehung zu verstärken, geht auch aus einem Papier einer Forschungsgruppe der American Psychological Association von 2007 hervor, zusätzlich stellte die Forschungsgruppe damals fest, man könne keine definitive Aussage darüber treffen, inwieweit Konversionsbehandlungen sogar schädlich sein könnten.

Allerdings gibt es sehr klare Evidenz, die zeigt, dass gesellschaftliche Vorurteile signifikante medizinische und psychologische Probleme bei LGBTI-Personen auslösen. So belegte beispielsweise ein Forschungsprojekt zur familiären Akzeptanz von LGBTI-Jugendlichen, das an der San Francisco State University durchgeführt wurde, dass Jugendliche, die wegen ihrer sexuellen Identität oder Orientierung von ihren Eltern stark zurückgewiesen wurden, verglichen mit LGBTI-Jugendlichen, die deshalb keine oder nur geringe Zurückweisung erfuhren, mit achtfacher Wahrscheinlichkeit suizidgefährdet waren, mit sechsfacher Wahrscheinlichkeit starke Depressionen entwickelten, mit dreifacher Wahrscheinlichkeit unter sexuell übertragbaren Krankheiten litten und mit dreifacher Wahrscheinlichkeit illegale Drogen konsumierten.

Diese Zahlen zeigen: Sozialer Druck auf LGBTI-Menschen kann gravierende Auswirkungen haben und so ist es nur logisch, anzunehmen, dass Konversionstherapie ähnliche Auswirkungen hat, wenn sie unter der Prämisse „Homosexualität ist Sünde/unnatürlich/falsch“ durchgeführt wird – und das wird sie in aller Regel. Insbesondere wenn „Patienten“ feststellen, dass keine Ergebnisse durch die Behandlungen erzielt werden, kann dies zu weiterem Stress, Depressionen und der Isolation von Betroffenen führen.

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Menschenrechtsverbände versuchen auch in Deutschland ein Verbot der Konversionstherapie zu erwirken. Gerade bei jungen Menschen findet diese häufig vor dem Hintergrund starken sozialen Drucks statt.

In Deutschland spricht sich die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), die größte Fachgesellschaft für Psychiater und Psychotherapeuten klar gegen Versuche aus, Homosexualität zu behandeln: „[LGBTI-Personen] entwickeln häufiger affektive Störungen, Angststörungen und Substanzmissbrauch und zudem besteht eine dreifach erhöhte Suizidrate bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit homo- oder bisexueller Orientierung. Die höhere Prävalenz psychischer Störungen bei Menschen mit homo- oder bisexueller Orientierung ist durch direkt oder indirekt erfahrene Diskriminierung bzw. durch eine andere psychische Entwicklung (wie z.B. internalisierte Homophobie, Selbstentwertung oder starke Schuld- und Schamgefühle) bedingt.“

Bedenkt man zusätzlich, dass Konversionstherapien wohl meistens aufgrund von familiärem, religiösem oder gesellschaftlichen Druck – bei Jugendlichen bis hin zum elterlichen Zwang – begonnen werden, dann fällt es nicht schwer, zu erahnen, welches psychisches Leid Menschen erdulden müssen, die an solchen Behandlungen teilnehmen. (Womit sich der Kreis zur Behauptung, ein Verbot von Konversionstherapie richte sich gegen den freien Willen, schließt: Ein Verbot solcher Behandlungen ist nicht totalitär, sondern dient dem Schutz der LGBTI-Community vor religiösem und weltanschaulichem Totalitarismus!)

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Jugendliche, die in ihrem Umfeld wegen ihrer sexuellen Identität starke Zurückweisung erfahren, sind deutlich öfter depressiv als LGBTI-Jugendliche, die Akzeptanz erfahren.

Für die Erforschung der Schädlichkeit von Konversionsbehandlungen stellt es allerdings ein Problem dar, dass Betroffene sich seltenst zu erkennen geben. Weiterhin gibt es Vermutungen, dass das Problem der Konversionsversuche weit über das fundamentalistisch-christliche Niveau hinausgehe, so erklärte die Psychologin Gisela Wolf im „Stern“ im April 2015, man wisse aus britischen Erhebungen, dass selbst Hausärzte – vor allem männliche, ältere Hausärzte – regelmäßig aufgrund ihrer eigenen Vorurteile versuchten, ihren Patienten deren Homosexualität „auszureden“.

Wie soll Konversionstherapie eigentlich funktionieren?

Wie schon erwähnt, ist allen Therapieansätzen gemein, dass sie aufgrund eines klassisch fehlerhaften Umkehrschlusses von einer rein psychologischen Ursache der Homosexualität ausgehen, ansonsten gibt es allerdings erhebliche Unterschiede.

Nicht religiöse, psychotherapeutisch-orientierte Ansätze, sind oft orientiert an psychoanalytischen Ansätzen, so wird die Homosexualität beim Mann beispielsweise durch einen zumindest emotional abwesenden Vater und eine über-aktive Mutter erklärt.

Findet die „Therapie“ auf „christlich-seelsorgerlicher” (ergo fundamentalistischer) Basis statt, gehen die Ansätze von der „Gesundung“ durch Gebet und Lobpreisung Gottes über den Exorzismus mit psychoanalytischem Einschlag bis hin zur „Aversionstherapie“ bei der das Zeigen von homosexuell erotischen Bildern mit negativen Impulsen verbunden wurde – letzteres ist glücklicherweise zumindest in der westlichen Welt quasi ausgestorben. Es gibt allerdings auch „kreativere“ Überlegungen, wie die im evangelikalen Milieu der USA populären Wochenendkurse „Journey into Manhood” von „People Can Change”, bei denen Personen in typische Geschlechterrollen konditioniert werden sollen, um ihre Homosexualität zu überwinden.


Anmerkung der Redaktion: Im Folgenden sind weiterführende Artikel, interessantes und Informationsquellen zur Konversionstherapie angegeben. Es ist uns ein besonderes Anliegen, dass Personen, die sich in ihrer sexuellen Identität unsicher sind, die unter Druck geraten an einer solchen Therapie teilzunehmen, oder die sexuell unsichere Personen in ihrem Umfeld haben, sich intensiv mit den Gefahren und Problemen der Konversionstherapie – die wir für zutiefst unwissenschaftlich halten -, auseinandersetzen.

Wir erklären uns solidarisch mit allen politischen Kräften, die solch pseudowissenschaftliche Therapieansätze verbieten wollen. 

Die Arbeit von Dr. Reinhold Weicker sei an dieser Stelle übrigens durchaus empfohlen, aus Sicht eines homosexuellen Christen und Wissenschaftlers ergründet der Mathematiker nüchtern und objektiv die vorhandene Evidenz zur „Konversionstherapie“.

Zu Mike Pence: Tagesspiegel – Der radikale Vizepräsident.
Zum Verbot in Malta: Männer.de – Malta verbietet Konversionstherapien.
Zum Verbot in Taiwan: Queer.de – Taiwan will „Homo-Heilung“ verbieten.
Zur Haltung der AfD: Übermedien – Der Kampf der AfD gegen das Kindeswohl.

Zur Haltung des DIJG: DIJG – Keine „sexuelle Identität“ im Grundgesetz.
Zum Verein „Wüstenstrom“: Mission-Aufklärung – „Wüstenstrom“.
Zu Wüstenstrom: Stuttgarter Nachrichten – Aussteiger warnt vor Wüstenstrom.
Zur Wirksamkeit von Konversionstherapie: HuK –Homosexualität lässt sich doch verändern” – Wirklich?
Zur Schädlichkeit von Konversionstherapie und zur Lage in den USA: HRC – Gay-conversion-therapy.

Beispiel für Konversionstherapie: FAZ – Hetero in drei Tagen.
Stellungnahme der DGPPN (PDF): DGPPN – Konversionstherapie.
Stern-Interview mit Gisela Wolf: Stern – Umerziehung mit grausamen Folgen.
Video zu „Journey into Manhood“: VICE – Homosexuelle heilen.

Zur Causa Höcke: Mehrheit der Bevölkerung hält AfD für rechtsextremistisch.

Berlin. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke sorgt mit seinen kontroversen Einlassungen vom vergangenen Dienstag weiterhin für Furore. So genügt es mittlerweile der Mehrheit der Deutschen nicht mehr, für die AfD den verharmlosenden Begriff „rechtspopulistisch“ zu benutzen – sie bezeichnen die relativ junge Partei als rechtsextremistisch.

Kritik an der Ausrichtung der Partei kommt dabei naturgemäß auch von den politischen Gegnern, so vermutete Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Nachrichtenmagazin „Spiegel“: „Die AfD hat es offenbar darauf abgesehen, zur neuen politischen Heimat für Neonazis zu werden.“ Zwar seien ganz sicher nicht alle AfD-Wähler Rechtsradikale, „aber wenn AfD-Politiker versuchen, zu relativieren, welche Schande der Holocaust war, zeigt sich das rechtsradikale Gesicht der Partei.“

Volker Kauder, Chef der Unionsfraktion im Bundestag bewertete Höckes Rede als Beleg dafür, „dass in der AfD typisch rechtsradikales Gedankengut eine Heimat hat“. Was eine gewagte These ist, wenn man bedenkt, dass einerseits die AfD zu großen Teilen Tochter der CDU ist und dass andererseits auch die Union rechtsnationalistische Kräfte wie Erika Steinbach, die erst vergangene Woche ihren Parteiaustritt erklärte, beheimatet. Dennoch – und vielleicht deswegen – betont Kauder in der „Welt am Sonntag“, dass Höcke in der AfD kein Außenseiter sei. „Er wird nicht nur in der AfD toleriert, sondern offen von vielen unterstützt.“ Die AfD sei demnach eben keine bürgerliche Partei, sondern auch „ein Sammelbecken für braunes Gedankengut, was sich übrigens auch in ihrem Umgang mit der Presse zeigt. Ähnlich hat sich vielfach die NPD verhalten.“ Mit dem Kommentar über den Umgang der AfD mit der Presse spielt der CDU-Politiker unter anderem darauf an, dass der AfD-Politiker Marcus Pretzell jüngst mehreren Journalisten großer Zeitungen und der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten die Akkreditierung für den Kongress der europäischen Rechtspopulistenfraktion in Koblenz verweigerte.

Nicht nur Politiker, Journalisten und Wissenschaftler empören sich allerdings über die AfD. Mittlerweile stufen laut einer Emnid-Umfrage 59 Prozent der deutschen die Partei als rechtsextremistisch ein. Auch Höcke selbst verurteilt die Öffentlichkeit hart. 61 Prozent der Befragten, würden demnach einen Parteiausschluss des Rechtsextremen aus der AfD befürworten. Nur 23 Prozent sprechen sich dagegen aus. Wobei zumindest die letzte Umfrage völlig nichtssagend ist, da zum einen nicht die Öffentlichkeit, sondern die Partei über den Ausschluss Höckes bestimmt und da der Wert zum anderen keinen Aufschluss über die Unterstützung Höckes und der „patriotischen Plattform“ (der Neonazis in der AfD) bei Unterstützern der Partei gibt – das wäre aber deutlich interessanter.

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, forderte außerdem, Höcke vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. „Die rote Linie ist zum wiederholten Male überschritten“, erklärte Krüger in der „Mitteldeutschen Zeitung“ am Samstag.

Die Innenexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, lehnt allerdings die Beobachtung der AfD als Ganzes ab: Eine Partei sollte demnach schon aus historischen Gründen nicht die Beobachtung einer anderen verlangen, sagte sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Ich würde mich als Verfassungsschutz vielmehr auf die rechtsextremistischen Bewegungen konzentrieren, die die AfD unterstützen.“

Die AfD-Führung ging mittlerweile pflichtbewusst – wenngleich halbherzig – auf Distanz zum Parteikollegen Höcke. So erklärte die AfD-Vorsitzende Frauke Petry auf dem Kongress der rechtspopulistischen Fraktion im EU-Parlament in Koblenz, dass „Einzelmeinungen nicht repräsentativ für unsere Politik“ seien. Dass die „Einzelmeinung“ Höckes, der mittlerweile wörtliche Zitate aus seiner Rede, von der es Filmaufnahmen gibt, als „bösartige und bewusst verleumdende Interpretationen“ bezeichnet – und sich dabei mit keinem Wort entschuldigt, allerdings nicht nur die Position eines beliebigen Parteimitglieds ist, sondern die Meinung des Landes- und Fraktionsvorsitzenden in Thüringen, der im Parteivorstand hervorragend vernetzt ist, ignoriert Petry dabei.

Bemerkenswert ist allerdings, dass man sich im medialen Umgang mit Höckes Rede so sehr auf seine Kritik am Holocaust Mahnmal in Berlin und so wenig auf seine Fantasien von der „Verzehrung der Jugend im Dienste am Vaterland“ konzentriert.

Papst Franziskus warnt vor Rechtspopulisten: „Das Urteilsvermögen funktioniert in Krisenzeiten nicht.“

Rom/Vatikanstadt (Italien). Das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Franziskus, warnt vor einem weiteren Erstarken des Rechtspopulismus und zieht dabei Parallelen zum Aufstieg der Nationalsozialisten in den 20ern und 30ern des vorigen Jahrhunderts.

In einem Interview mit verschiedenen europäischen Zeitungen erklärte der Pontifex, dass es nur natürlich sei, in Krisenzeiten „Ängste und Sorgen“ zu haben. Die Menschen suchten dann Heilsbringer, die ihnen ihre Identität wiedergeben, so Franziskus.

Die Situation erinnere ihn an 1933: „Hitler hat nicht die Macht geklaut. Er wurde von seinem Volk gewählt und danach hat er sein Volk zerstört“, sagte der Papst und fügte hinzu: „Darin liegt die Gefahr. Das Urteilsvermögen funktioniert in Krisenzeiten nicht.“ Gerade in schwierigen Zeiten sei es deshalb essentiell, im Dialog – auch und vor allem zwischen den Völkern – zu bleiben.

Vor diesem Hintergrund warnte der Papst vor Abschottung: „Wir schützen uns mit Mauern und Stacheldraht vor den anderen Völkern, die uns unsere Identität nehmen könnten.“ Jedes Land habe zwar das Recht, seine Grenzen zu kontrollieren – insbesondere wenn dieses Land von Terrorismus und anderen Gefahren bedroht sei. Kein Land habe jedoch das Recht, seinen Bürgern „den Dialog mit den Nachbarn zu verwehren.“

Der Papst gab das Interview während der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Auf die Frage, was er von ihm halte, antwortete Franziskus, man werde sehen, was er als US-Präsident tue. „Dann werde ich mir meine Meinung bilden“, sagte er. „Gott hat doch bei all meinen Sünden so lange auf mich gewartet.“

Das Thema „Völkerverständigung“ zieht sich allerdings bereits von Anfang an durch Franziskus Pontifikat. So hatte er bei einem Besuch in den USA im vergangenen Jahr die Rhetorik Trumps scharf verurteilt. Ein guter Christ, so Franziskus vor dem Hintergrund, dass die republikanische zutiefst christlich geprägt ist, baue keine Mauern, sondern Brücken. Er bezog sich damit auf das Wahlkampfversprechen Trumps, eine Mauer an der mexikanischen Grenze zu errichten.


Anmerkung der Redaktion: Wir mögen nicht die besten Christen – oder die größten Fans religiöser Institutionen sein -, aber wann immer jemand zur Völkerverständigung aufruft, sollte man ihm zuhören, wann immer jemand Brücken statt Mauern bauen will, kann das helfen. Wenn derjenige der Papst ist, weshalb man ihm eher zuhört, soll es uns auch recht sein.