Fußfessel oder nicht Fußfessel – eine politische Blendgranate mit potentiell fatalen rechtsstaatlichen Konsequenzen.

Berlin. Extremistische Gefährder sollen nach dem Willen der Bundesregierung mit elektronischen Fußfesseln überwacht werden können. Dies beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin im Zuge der Änderung des BKA-Gesetzes. Es obläge demnach künftig dem Bundeskriminalamt, zu entscheiden, ob eine Person, die es als terroristische Gefahr einstuft, dazu verpflichtet wird, ein solches Überwachungsgerät bei sich zu führen. Das BKA kann solchen Personen dann zur Gefahrenabwehr auch untersagen, die eigene Wohnung, oder einen bestimmten Bereich zu verlassen.

Auf die neue Überwachungsregelung hatten sich Innenminister Thomas de Maiziere und Justizminister Heiko Maas vor drei Wochen als Reaktion auf den Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin im Dezember geeinigt. Der Täter Anis Amri war vor der Tat von den Sicherheitsbehörden als Gefährder eingestuft worden, man hatte ihn aber aus den Augen verloren.

Das BKA soll nun eine Fußfessel verfügen können, wenn für die Überwachung des jeweiligen Gefährders keine Landespolizeibehörde zuständig ist.

Daraus ergeben sich zwei Probleme:

Erstens ist die Gesetzesänderung dadurch zunächst nahezu unwirksam – eine politische Blendgranate, um der Bevölkerung das Gefühl zu geben, man nähme sich dem Thema „Innere Sicherheit“ ernsthaft an -, weil die allermeisten der bundesweit rund 550 als Gefährder eingestuften Personen bereits nach Landesrecht überwacht werden – weshalb De Maiziere die Landesregierungen drängte, in ihren Polizeigesetzen ebenfalls erweiterte Möglichkeiten für Fußfesseln vorzusehen.

Zweitens bestehen ernsthafte Zweifel, ob der Rechtsstaatlichkeit der Maßnahme. So schreibt der Innenpolitiker Jan Korte von der Linkspartei in einem Statement: „Entweder eine Person bietet so klare Anhaltspunkte für die baldige Begehung einer Straftat, dass sie ohnehin rund um die Uhr überwacht werden oder in Gewahrsam genommen werden muss, oder dies ist nicht der Fall, und dann ist auch das Anlegen einer elektronischen Fußfessel verfassungsrechtlich nicht erlaubt. Alles andere wäre ein Verstoß gegen die gesetzliche Unschuldsvermutung.“ Die Regelung sei zudem derart unpräzise, dass sie einen solch massiven Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht und Freiheitsrecht der Betroffenen nicht rechtfertigen könne, so Korte weiter.

Fraglich ist auch, ob nicht Fußfesseln, die auf Verdacht eingesetzt werden – ähnlich wie Untersuchungshaft oder Polizeigewahrsam -, von einem Richter angeordnet werden müssten.

Die Novelle des BKA-Gesetzes, welches das Verfassungsgericht im vergangenen Jahr schon einmal wegen Privatsphäre-Bedenken gekippt hatte, müsste dementsprechend erneut auf seine Verfassungskonformität überprüft werden. „Wenn die Bundesregierung an ihren Fußfesselplänen festhält, riskiert sie …, dass das neue BKA-Gesetz wieder vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen wird. So ein Risiko einzugehen ist ebenfalls unverhältnismäßig, berücksichtigt man den geringen Effekt, den man davon hat,“ erklärt Korte.

Neben der Legalität des Gesetzes, ist auch die Wirksamkeit von Fußfesseln umstritten: So gibt es bisher keine Evidenz dafür, dass Fußfesseln tatsächlich Verbrechen verhindern können. Insbesondere dann nicht, wenn die Fußfesselträger nicht zusätzlich unter Hausarrest gestellt werden, sondern sich z.B. frei in einer Stadt bewegen dürfen. Korte schreibt dazu: „Die Fußfessel kann einzig zur Überwachung kooperationswilliger Menschen eingesetzt werden. Aber sie hält niemanden vom Morden ab. Sie verhindert au ch nicht das Untertauchen Verdächtiger. Die Fußfessel bringt also keinen zusätzlichen Nutzen. Sie mag das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erhöhen, aber sie erhöht nicht ihre Sicherheit.“ Er bezeichnet die Maßnahme dementsprechend als „Placebo“ – was als Äquivalent zur „politischen Blendgranate“ aufgefasst werden darf – mit „gefährlichen Nebenwirkungen für unseren Rechtsstaat“. Recht hat er!

Ähnlich äußert sich Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag: „Wenn der Verdacht nicht ausreicht, um jemanden einzusperren, mit welcher Begründung darf man ihm dann Fußfesseln anlegen? Und wie soll eine solche Fußfessel einen Anschlag überhaupt verhindern? Anis Amri hätte auch mit Fußfessel einen Lkw steuern können.“

(… ) Und wenn man schon über die Bekämpfung von Gefährdern redet, dann muss man wegkommen von der einseitigen Fokussierung auf islamistische Hetzer. Im Bereich des Neonazismus gibt es in Deutschland 12.000 gewaltbereite Neonazis, denen im Prinzip jedes Verbrechen zuzutrauen ist.

Ursprünglich war geplant gewesen, dass die Fußfessel nur angeordnet werden darf, wenn der Gefährder bereits wegen einer staatsgefährdenden Straftat verurteilt worden ist. Nach dem Berliner Anschlag wurde die Vorlage dann aber verschärft – ohne die Ermittlungen abzuwarten.

Bisher gibt es in Deutschland 88 Träger von Fußfesseln, alle wurden von Gerichten zum Tragen der Fußfessel verpflichtet, weil sie auch nach ihrer Haftentlassung noch als gefährlich eingestuft wurden. Diese werden im hessischen Bad Vilbel bei der „Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder“ (GÜL) von 16 Justizbediensteten rund um die Uhr überwacht. Nach ersten BKA-Schätzungen könnte die Zahl der Überwachten allerdings demnächst um rund 130 „hochaktive Gefährder“ steigen.

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88 vorbestrafte Gefährder werden bei der GÜL derzeit überwacht – sie alle wurden von Gerichten nach ihrer Haftentlassung als weiterhin gefährlich eingestuft – künftig soll dazu die gerichtliche Anordnung nicht mehr nötig sein.

Technisch könnten, so der GÜL-Chef Hans-Dieter Amthor, insgesamt bis zu 500 Personen per Fußfessel überwacht werden. Wenn die neue Regelung in Kraft tritt, müsste allerdings wahrscheinlich das Personal bei der Überwachungsstelle aufgestockt werden, so Amthor. Seit dem Beginn der bundesweiten Fußfessel-Überwachung im Jahre 2012 gingen bei der GÜL rund 15.000 Alarmmeldungen ein, wobei in 80 Prozent der Fälle der Akku leer war, in diesen Fällen wurde der Träger angerufen, wodurch sich der Vorfall klären ließ. Nur in 739 Fällen musste die Polizei ausrücken.

Am Ende steht einmal mehr die Frage, wie viel Freiheit – und Rechtsstaatlichkeit – wir bereit sind, für ein – trügerisches – Gefühl der Sicherheit zu opfern. Auf dieser Seite wird die Auffassung vertreten, dass Fußfesseln sich als Instrument nicht eignen, um schwere Straftaten zu verhindern, dass solche Maßnahmen – ähnlich wie längerer polizeilicher Gewahrsam oder Untersuchungshaft – gerichtlich beschlossen werden muss, und dass dementsprechend die von der Bundesregierung angestrebte Regelung, die Gerichte zu übergehen und die Verantwortlichkeit für einen so essentiellen Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte potentieller – also formal unschuldiger – Gefährder, einer Ermittlungsbehörde zu übereignen, verfassungswidrig ist.


Weiterführende Quellen:
Presserklärung der Bundesregierung: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2017/02/2017-02-01-bka-gesetz.html
Zur Gesetzesänderung: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Novellierung-des-BKA-Gesetzes-Elektronische-Fussfessel-fuer-Gefaehrder-3614572.html
Presseerklärung der Linkspartei: https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/fussfessel-fuer-gefaehrder-ist-placebo-mit-gefaehrlichen-nebenwirkungen/

Industrielle Landwirtschaft belastet Grundwasser weiter zu hoch – Trinkwasser wird unter Umständen deutlich teurer!

Berlin. Wie die Bundesregierung im „Nitratbericht 2016“ zum Jahreswechsel feststellte, sind die Nitratwerte im deutschen Grundwasser in vielen Gegenden zu hoch: An 28 Prozent der Messstellen lagen die gemessenen Konzentrationen im Messzeitraum 2012 bis 2014 laut gemeinsamem Bericht des Landwirtschafts- und des Umweltministeriums über dem zugelassenen Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter. Das könnte nun teuer für die Bürger der betroffenen Regionen werden: Um bis zu 62 Prozent könnte der Wasserpreis demnächst für sie steigen.

Gemäß EU-Richtlinien ist die Bundesrepublik verpflichtet, einen solchen Bericht alle vier Jahre vorzulegen. Gemessen wird dabei insbesondere nahe landwirtschaftlicher Flächen, wie beispielsweise unter unter Ackerböden. Für den aktuellen Bericht, der Messdaten aus dem Zeitraum von 2012 bis 2014 enthält, wurden Daten an rund 700 Orten erhoben, etwa 570 unter Böden, die landwirtschaftlich genutzt werden.

Dem Bericht zufolge sank dabei der Anteil der unbelasteten oder nur gering belasteten Messstellen nur minimal, die Belastungssituation und -verteilung bleibe demnach nahezu unverändert. Insgesamt überwiege aber der Anteil der Messstellen, bei denen eine Abnahme der Nitratkonzentrationen festgestellt werden konnte gegenüber dem Anteil der Messstellen, bei denen zunehmende Nitratgehalte zu beobachten seien.

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Durch intensive Düngung mit Gülle oder Kunstdüngern werden überschüssiges Nitrat und Phosphor aus den Ackerböden in die Gewässer geschwemmt.

Bei erschreckenden 28 Prozent der Messungen wurden trotzdem Nitratkonzentrationen über dem zugelassenen Grenzwert der deutschen Trinkwasserverordnung gemessen. Bei knapp der Hälfte aller Messstellen wurden Nitratkonzentrationen kleiner 25 mg/l gemessen. Die übrigen Messstellen weisen laut Bericht Konzentrationen zwischen 25 mg/l und 50 mg/l auf. Wobei deutlich erkennbar sei, dass Belastungsschwerpunkte, also viele Messstellen, an denen die kritische Konzentration überschritten wurde, vermehrt in stark landwirtschaftlich genutzten Gegenden vorkämen. Allerdings seien auch in solchen Regionen „deutliche anthropogene Beeinflussungen“ festzustellen, in denen eine Nitratkonzentration von 25 mg/l häufiger überschritten wird.

Neben der Grundwasserbelastung muss auch die Nitrat-Belastung der Oberflächengewässer des Bundesgebietes angegeben werden. Diese ist laut Bericht bei Fließgewässern deutlich rückläufig, bei Seen allerdings auf relativ niedrigem Niveau konstant, so fänden sich bei 74 Prozent der Messpunkte an Seen Nitratkonzentration unter 1 mg/l – 12 Prozent wiesen jedoch weiterhin eine mäßige oder erhöhte Belastung auf.

Problematisch für die Umwelt sind außerdem erhöhte Phosphorkonzentrationen: Wenn zu viel Phosphor über landwirtschaftliche Flächen in die Gewässer geschwemmt wird, begünstigt das gefährliche Algenblüten – und das Kippen von Gewässern. 65 Prozent der Messstellen an Seen und Flüssen wiesen im Untersuchungszeitraum zu hohe Phosphorbelastungen auf.

Diese seien laut Bericht aber insgesamt rückläufig. So wiesen knapp 75 Prozent der betrachteten Seen eine Abnahme der Phosphorkonzentrationen zwischen dem Erstuntersuchungszeitraum 1997 bis 2000 und dem jüngsten Berichtszeitraum 2011 bis 2014 auf. Von den untersuchten Seen zeigten dem Dokument zufolge 37 Prozent einen deutlichen Rückgang der Konzentrationen (um mehr als 50 Prozent). An 22 Prozent der Messstellen nahm die Belastung dagegen auf niedrigem Niveau leicht zu. Von einer signifikanten Verschlechterung sei hier nicht auszugehen, so das Papier. Bei Flüssen und Bächen sei dem Bericht zufolge der Belastungsrückgang noch deutlicher: An rund 91 Prozent der Messstellen an Fließgewässern konnten mehr oder weniger deutliche Belastungsrückgänge festgestellt werden. Nur 6 Prozent der Messpunkte wiesen eine Verschlechterung auf. Insbesondere bei den hohen Belastungen erkenne man jedoch einen positiven Trend.

Dass die Belastungen aber vielerorts immer noch zu hoch sind, kann auch für die Bevökerung gefährlich werden, so kann es laut EU-Kommission schwerwiegende Folgen haben, wenn Menschen Wasser mit einem Nitratgehalt von 50 Milligramm pro Liter trinken, weil Nitrat teilweise im Körper zu Nitrit umgewandelt wird, welches hochgiftig ist. Bedenklich ist die Konzentration insbesondere für schwangere Frauen und Kleinkinder. In Deutschland sind die Wasserversorger verpflichtet, Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, das die kritischen Werte nicht überschreitet. Dazu wird das Wasser aufbereitet.

Das könnte nun allerdings deutlich teurer für die Bevölkerung werden: Um fast zwei Drittel – 62 Prozent – könnten demnächst die Wasserpreise aufgrund von Nitratverschmutzungen in den besonders beeinträchtigten Regionen steigen. Dies geht aus einem Gutachten der Wasserwirtschaft hervor.

Der bisherige Entwurf der Düngeverordnung, auf den sich Bund und Länder geeinigt hatten, reiche demnach nicht aus, um Böden und Grundwasser vor den Folgen einer Überdüngung zu schützen, erklärte Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft.

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Wasserwerk der Stadt Osnabrück – immer aufwendigere Methoden müssen genutzt werden, um Grundwasser zu Trinkwasser aufzubereiten.

Hohe Nitratbelastungen machten demnach aufwendigere – und teurere – Methoden zur Trinkwasserherstellung notwendig, so Weyand. Dem Gutachten zufolge würde dadurch die durchschnittliche Jahresrechnung eines Drei-Personen-Haushalts in einem Sechsfamilienhaus von 217 Euro auf 352 Euro steigen. An der Untersuchung nahmen 188 Unternehmen des Verbands teil.

Zusätzlich gerät auch die Bundesregierung in der Nitratfrage unter Druck: Im November  vergangenen Jahres hatte die EU-Kommission die Bundesrepublik wegen Verstößen gegen die EU-Nitratrichtlinie verklagt. Sollte es zur Verurteilung kommen, drohen hohe Geldstrafen.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte dazu erklärt: „Die intensivierte Landwirtschaft kommt uns immer wieder teuer zu stehen.“ Im Sinne des Gemeinwohls sei es deshalb essentiell, bei der Düngung mit Gülle und Kunstdünger stärker gegenzusteuern. Sie verweist dabei jedoch auf das neue Düngerecht, welches bisher nicht in Kraft getreten ist und welches laut Weyand keine hinreichende Gegenmaßnahme darstellt. Auch die Umweltministerin hält allerdings zusätzliche Trinkwasserkosten für „nicht ausgeschlossen“.


Der gesamte Bericht kann hier gelesen werden.

Der Putin-Erdogan-Pakt: Warum die türkisch-russische Beziehung auch die EU betrifft.

St. Petersburg (Russland). Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan läutet eine neue Ära in der türkisch-russischen Staatbeziehung ein.

Die Solidarität zwischen beiden Ländern solle demnach dazu beitragen, Probleme in der Region am schwarzen Meer, an dem beide Länder Anrainerstaaten sind, zu lösen, sagte Erdogan am Dienstag in St. Petersburg vor einem Gespräch mit seinem Russischen Amtspendant Wladimir Putin. Erdogan dankte außerdem Putin besonders für einen Anruf nach dem gescheiterten Putsch im Juli. Diese Geste habe dem türkischen Volk „großes Glück“ bereitet. Putin hatte unmittelbar nach dem Putschversuch Mitte Juli mit dem türkischen Staatsoberhaupt telefoniert. Schon vorher hatte er öffentlich – wie auch sämtliche Westlichen Staatschefs – sein Unterstützung der gewählten türkischen Regierung erklärt.

Erdogan ist – schon aus volkswirtschaftlichen Überlegungen – um eine Annäherung an Russland bemüht, während die Beziehungen zur EU sowie zum westlichen Militärbündnis NATO, dem auch die Türkei angehört, gespannt sind. Hintergrund sind vor allem Massenentlassungen und -verhaftungen von mutmaßlichen Putschisten sowie die von Erdogans islamisch-autoritärer Partei AKP angeheizte Diskussion über eine Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei. Europäische Politiker haben damit gedroht, in diesem Falle die EU-Beitrittsgespräche zu beenden – die Todesstrafe war einst in der Türkei auch aufgrund der EU-Beitrittsverhandlungen abgeschafft worden, große Teile der Bevölkerung, vor allem die religiöse Rechte, zeigen sich jedoch offen für eine Wiedereinführung.

Die Türkei drohte der EU wiederum erneut damit, das Flüchtlingsabkommen aufzukündigen. Dies werde passieren, wenn es kein eindeutiges Datum für Reiseerleichterungen für Türken gebe, sagte der zuständige Minister Ömer Celik am Dienstag in einem Interview des Fernsehsenders Habertürk.

Gleichzeitig forderte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mehr Augenmaß bei der Kritik an den Reaktionen der Türkei nach dem Putschversuch.

„[…] Bei aller berechtigter Kritik an den Maßnahmen in der Türkei: Wir müssen erkennen – und das geht in der deutschen Debatte unter – dass diejenigen, die den Putsch durchgeführt haben, mit größter Brutalität vorgegangen sind, gegen Zivilisten, gegen das Parlament.“ sagte Steinmeier. Es sei demnach wichtig zu sagen: „Wir haben den Putschversuch klar verurteilt, und es muss eine politische und strafrechtliche Aufarbeitung geben – aber auf rechtsstaatlicher Basis.“ Die Bundesregierung habe allerdings von Anfang an klar gemacht, was sie von Verhaftungen von Lehrern, Richtern und Journalisten halte, das werde sie auch weiterhin tun.

Erdogan hat dem Westen – insbesondere Deutschland – mangelnde Solidarität vorgeworfen, obgleich sich die Bundesregierung schon vor der endgültigen Niederschlagung des Putsches gegen diesen aussprach und sich mit dem Erdogan-Regime solidarisierte.

Steinmeiers Kommentare sind in diesem Zusammenhang deshalb relevant, weil sie sich gerade aus der trans-schwarzmeerischen Annäherung erklären: Der EU, insbesondere der Bundesregierung ist – zumindest kurzfristig – eine enge ökonomische Kollaboration zwischen der russischen und der türkischen Volkswirtschaft ein Dorn im Auge. Was durchaus verständlich ist, bedenkt man, dass die westliche Politik dadurch einen Teil ihres politischen Hebels, den sie derzeit über beide Volkswirtschaften besitzt, einbüßen würde.

Der Außenminister scheint nun aber begriffen zu haben, dass die harsche – teilweise gerechtfertigte, teilweise bis tief in die Unsachlichkeit übespitzte – Kritik am türkischen Regime dieses eher in die Arme Putins treibt.

Die russische Regierung dagegen, die aufgrund der westlichen Sanktionen im Rahmen der Ukraine-Krise und wegen des niedrigen Ölpreises mit einer rekordmäßigen Schrumpfung ihrer Volkswirtschaft zu kämpfen hat, blickt sich im Westen verzweifelt nach Kooperationspartnern um – vor allem weil man eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber chinesischen Investoren erreichen will. Dabei kommt ihr Erdogans Bredouille gerade recht, einerseits weil Putin und Erdogan als erzkonservative Autokraten durchaus gemeinsame Werte verbinden, andererseits weil gerade eine Allianz mit dem zur Zeit vielleicht wichtigsten NATO-Land die russische Verhandlungsposition auch gegenüber den USA stärkt.

Flüchtlingshelfer schlagen Brücken, ein hohles „Wir schaffen das“ ist dennoch unangebracht.

Berlin. Freiwillige Helfer, die sich um Flüchtlinge kümmern und Solidarität mit Asylsuchenden ganz praktisch zeigen – und leben, spielen laut einer Studie eine immer größere Rolle beim gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort, auch dämmen diese Freiwilligen offenbar in hohem Maße Vorurteile und Rassismus ein. Ob das reicht?

Ihre Arbeit verbreite demnach eine „unverkennbar positive Stimmung“ gegenüber Flüchtlingen, heißt es in der am Donnerstag publizierten Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung. „Diese Dimension des Engagements hat politische Wirkung gegen rechte Stimmungsmache.“ Viele Aktionsbündnisse zur Unterstützung von Asylsuchenden hatten sich erst 2015, inmitten der größten Flüchtlingswelle gebildet, andere gewannen in diesem Rahmen zahlreiche Mitglieder.

Die Freiwilligen bildeten zudem häufig Brücken zwischen Geflüchteten und Behörden, wobei sie wichtige Lotsenfunktionen übernähmen. So begleiteten sie die Asylbewerber auf Behördengängen, bei ersten Schritten in Schulen oder Praktika und setzen sich für eine frühzeitige Sprachförderung ein. Damit sorgten sie dafür, dass Flüchtlinge Angebote zur Integration überhaupt wahrnehmen könnten. Ohne ehrenamtliche Initiativen hätten die kasernierten Flüchtlinge demnach „wenig Kontakt mit der Zivilgesellschaft“.

Zu diesen Schlüssen kam die Bertelsmann-Stiftung, die im Januar und März bundesweit in 17 Kommunen untersuchte, wie ehrenamtliche Flüchtlingshilfe vor Ort praktiziert wird und unter welchen Gegebenheiten sie erfolgreich funktioniert.

Die Studie liefert dementsprechend auch Anhaltspunkte, wie Städte und Gemeinden die freiwilligen Helfer unterstützen könnten, so seien Kommunen gut beraten, mehr Koordinierungsstellen aufzubauen und freiwilliges Engagement öffentlich mehr anzuerkennen. Schließlich, so mahnen die Forscher an, übernähmen die ehrenamtlichen Helfer in der Flüchtlingsarbeit Aufgaben, wie die Versorgung mit Lebensmitteln, Kleidung und Wohnraum, die normalerweise der Staat leisten müsste.

Die Kommunen müssten schon deshalb die Helfer koordinierend unterstützen, weil der Arbeitsaufwand der Koordinierungsarbeit durchaus einem Vollzeitjob entspräche und somit den Rahmen eines Ehrenamtes spränge, hieß es weiter. Es müsse demnach ausreichend Stellen für Koordinatoren geben. Zudem seien mehrsprachige Verwaltungsmitarbeiter nötig. Bislang müssten oft ehrenamtliche Dolmetscher einspringen, was „kein akzeptabler Dauerzustand“ sei.

Zudem sollten Flüchtlinge stärker eingebunden werden. Schon jetzt beteiligten sich einige von ihnen als Bundesfreiwillige oder Dolmetscher. Sie könnten die Bedarfe in den Unterkünften sehr gut ermitteln.

Nun feiern viele diese Studie – auch als Beleg, dass eben das gute, das offene Deutschland noch immer existiert, wenngleich die Medien von gegenteiligen Berichten überflutet zu sein scheinen. Das ist auch gut und schön, aber reicht das? Will sich Deutschland in der Bewältigung der größten humanitären Krise seit dem zweiten Weltkrieg wirklich derartig auf Freiwillige verlassen? Will die Bundesregierung, die vor rund einem Jahr unter dem Slogan „Wir schaffen das“ das Zeitalter des deutschen Neohumanismus einläutete, wirklich weiterhin staatliche Aufgaben in diesem Maße von Ehrenamtlichen durchführen lassen? Will sie wirklich Kommunen weiterhin allein lassen in dieser Krise?

Leider sieht es weiterhin genau danach aus: Es gibt keine zentrale Koordination, keine rationalisierten Prozesse, keinen nationalen Plan. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten können Kommunen und lokale Initiativen oft nicht viel mehr tun als das Chaos zu managen. Das reicht aber bei weitem nicht!

Auch wenn derzeit weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen (weil sie auf ihrem Weg abgefangen werden), hat die Fluchtbewegung nicht aufgehört, wobei die Amoktaten der vorvergangenen Woche zeigten, dass viele Flüchtlinge massiv traumatisiert sind. Diese Menschen dürfen in ihrem Trauma nicht allein gelassen werden, sonst stellen sie eine Gefahr für sich, ihre Mitbewohner und die Gesellschaft dar. Auch deshalb braucht es neben den vielen freiwilligen Helfern, die unter den gegebenen Umständen schier unfassbares geleistet haben, endlich mehr professionelle Helfer – insbesondere Psychologen, Übersetzer und Sozialarbeiter.

Außerdem müssen Asylverfahren signifikant beschleunigt werden, damit die Kasernierungspflicht frühestmöglich aufgehoben werden kann, auch dies würde – neben der daraus folgenden Forcierung dezentraler Unterbringungen – für einen Abbau etwaiger Spannungen sorgen.

Forciert werden sollte außerdem der Einsatz von Flüchtlingen in der Flüchtlingshilfe, insbesondere aus zwei essentiellen Gründen: Erstens könnten diese – aus kulturellen und sprachlichen Gründen – leichter Brücken zwischen deutschen Helfern und den Neuankömmlingen schlagen und zweitens könnten so wiederum Vorurteile zwischen der deutschen Bevölkerung und den Geflüchteten abgebaut werden.

Die Flüchtlingshelfer dagegen nur zu feiern, statt sie politisch zu unterstützen, verhöhnt sie eher, als dass es sie ehrt. Deutschland ist stark, Deutschland schafft das, aber nicht ohne einen politischen Plan!

Klimawandel wird als wirtschaftliches Risiko betrachtet.

Die Bundesregierung bezeichnet den Klimawandel als wachsendes Risiko für die deutsche Wirtschaft.

Es sei demnach durchaus wahrscheinlich, „dass Deutschland in zunehmendem Maße verwundbar gegenüber indirekten Folgen des Klimawandels in anderen Teilen der Welt werden wird„, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion. Durch den intensiveren Handel zwischen den Weltregionen würden Klimafolgen im Ausland auch hierzulande eine Rolle spielen. „So ist beispielsweise China als fünftgrößter Abnehmer deutscher Produkte relativ verwundbar gegenüber den zu erwartenden Klimaänderungen.“

Auch wenn Deutschland demnach selbst nicht so stark im Fokus stehe, so sei die hiesige Wirtschaft wie kaum eine andere global vernetzt: „Ökonomische Analysen zeigen, dass gerade in der engen wirtschaftlichen Verknüpfung mit den asiatischen Schwellenländern klimawandelbedingte Risiken bestehen.

Ein besonderes Risiko bildeten die Folgen des Klimawandels für die Gesundheit. „Bei einem starken Klimawandel können Hitzebelastungen und Atembeschwerden durch bodennahes Ozon bereits in naher Zukunft die menschliche Gesundheit häufiger und stärker als gegenwärtig gefährden“, warnte die Regierung. Auch die Wahrscheinlichkeit von Infektionskrankheiten nähme zu – so zieht beispielsweise die von bestimmten Mücken übertragene Tropenkrankheit Malaria in immer weniger äquatoriale Gegenden – es gab bereits Ausbrüche  Südeuropa und eine Verbreitung in Mitteleuropa wird längst nicht mehr ausgeschlossen.

Auch immer mehr deutsche Unternehmen begreifen den Klimawandel als wirtschaftlichen Risikofaktor, so engagiert sich der genossenschaftliche Einzelhandelskonzern REWE seit Jahren in Kampagnen für die Energiewende oder Abgasreduktion durch lokale und regionale Produktionen, der Konzern war außerdem das erste deutsche Großunternehmen, das komplett auf Ökostrom umstellte – auf vielen Supermärkten gibt es zudem Solarpaneele, ungenutzte Flächen sollen so nutzbar gemacht werden. Mittlerweile ziehen gerade im Einzelhandel viele Unternehmen nach.

Wie der Netzmonopolist PayPal die Souveränität europäischer Staaten umgeht.

Das Internet ist Heim der fantastischsten Verschwörungstheorien, immer wieder heißt es da zum Beispiel, Deutschland sei kein souveräner Staat sondern entweder ein von den USA besetztes Land oder nur eine US-amerikanische Außenstelle. Unfug? Nicht unbedingt, denn tatsächlich scheinen zumindest einige Unternehmen der Auffassung zu sein, in Deutschland herrsche amerikanisches Recht. Insbesondere der Finanzdienstleister PayPal zeigt sich in seinen Bemühungen in Europa amerikanische Gesetze durchzusetzen sehr eifrig.

Zuletzt forderte nun das ehemals zum Ebay-Konzern gehörende Unternehmen den fränkischen Cloud-Anbieter „Seafile GmbH“ auf, keine Finanztransaktionen mehr über PayPal durchzuführen, was einer außerordentlichen Vertragskündigung gleichkommt. Im Vorfeld der Kündigung hatte PayPal das Unternehmen am 02. Juni gerügt, weil eine der Transaktionen, an denen der Cloud-Anbieter beteiligt war, gegen die „PayPal Nutzungsbedingungen verstoßen“ habe. Das Unternehmen habe gleichzeitig einen Fragenkatalog zugesandt bekommen, der auch suggerierte, es handele sich bei Seafile um einen Filesharing- oder Torrent-Dienst. Das Unternehmen sei außerdem aufgefordert worden, „die Daten unserer Kunden auf illegale Inhalte zu überwachen und zu überprüfen“ und an PayPal weiterzuleiten, so eine Erklärung der fränkischen Firma.

Hauptquartier von PayPal in San José (Kalifornien, USA): US-Behörden setzen über den Finanzdienstleister mittelbar US-Gesetze in anderen Staaten durch.
Hauptquartier von PayPal in San José (Kalifornien, USA): US-Behörden setzen über den Finanzdienstleister mittelbar US-Gesetze in anderen Staaten durch.

Man habe sämtliche Fragen wahrheitsgemäß beantwortet, auch klargestellt, dass man kein Filesharing, sondern einen Cloud-Dienst anbiete, aber betont, dass die Weitergabe von Kundendaten europäischem und deutschen Datenschutzrecht widerspräche. PayPal habe sich dann nach zwei Wochen wieder gemeldet und Seafile als „Lösung des Konflikts“ aufgefordert, ab dem 19. Juni sämtliche Transaktionen über PayPal einzustellen und alle Hinweise auf den Finanzdienstleister von der Unternehmenswebsite zu entfernen. In der Hoffnung, es handele sich um ein Missverständnis, versuchte man bei Seafile mit dem Kundendienst des Finanzkonzerns zu verhandeln, wies darauf hin, dass es zahlreiche Cloud-Anbieter gebe, die ihre Dienste über PayPal bezahlen ließen und teilweise sogar Software der Muttergesellschaft Seafile Inc. verwendeten. Die Entscheidung blieb jedoch bestehen: Die Zusammenarbeit von Seafile und PayPal wurde außerordentlich beendet. Was für das deutsche Unternehmen zu essentiellen Schwierigkeiten führt, da bisher sämtliche Zahlungen an Seafile über PayPal liefen.

Derzeit evaluiere man Möglichkeiten, wie der Dienst auch in Zukunft ohne PayPal weiter bestehen könnte, heißt es von Seafile. Solange keine Lösung gefunden ist wurden alle bestehenden Kundenkonten in kostenlose Konten umgewandelt.

Tatsächlich scheint es hier erneut, als fühle sich die europäische PayPal Niederlassung mit Sitz in Luxemburg, stärker dem amerikanischen als dem europäischen Recht verpflichtet. Schließlich sind in den USA agierende Unternehmen, also auch PayPal, unter den Vorgaben des 2001 verabschiedeten und danach immer mehr erweiterten „PATRIOT Act“ auch zur Herausgabe reliabler Kundendaten an die US-Behörden verpflichtet. In gewisser Weise versucht also PayPal in Europa US-Recht zu etablieren. Der Grund dafür ist bisher völlig unklar, PayPal war zu einer Stellungnahme bisher nicht bereit.

Die europäische Niederlassung des Clouddienst-Anbieters Seafile sitzt in der Marktgemeinde und Barockstadt Wiesentheid in Franken.
Die europäische Niederlassung des Clouddienst-Anbieters Seafile, die Seafile GmbH sitzt in der Marktgemeinde und Barockstadt Wiesentheid in Franken.

In der Vergangenheit war PayPal schon mehrfach negativ mit dem Versuch aufgefallen US-Recht in Europa durchzusetzen, so sperrte der Finanzdienstleister beispielsweise in unbekanntem Ausmaß Konten von Unternehmen, die mit Produkten oder Dienstleistungen aus dem sozialistischen Inselstaat Kuba handelten. Die Begründung war, dass man als amerikanisches Unternehmen amerikanisches Recht zu achten habe. In den USA gilt seit 1960 trotz schrittweiser Wiederannäherung an den sozialistischen Karibikstaat noch immer ein striktes, von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiertes Handelsembargo gegen Kuba. Demnach dürfen amerikanische Unternehmen und seit einer Änderung durch den „demokratischen“ Präsidenten Bill Clinton im Jahr 1999 auch deren ausländische Tochterfirmen keinen Handel „zum Vorteil Kubas“ betreiben oder daran beteiligt sein. Konkret heißt das, dass amerikanische Unternehmen und deren Tochtergesellschaften insbesondere am Export kubanischer Produkte und Dienstleistungen nicht beteiligt sein können.

Zahlen und Daten zum US-Finanzdienstleister PayPal:
Der Umsatz des Finanzriesen im 1. Quartal 2016 betrug weltweit 2.544 Millionen US-Dollar, damit generierte der Konzern einen ausgeschriebenen Gewinn von 365 Millionen Dollar. In Deutschland ist PayPal bei Online-Shoppern nach dem Kauf auf Rechnung die zweitbeliebteste Zahlungsmethode: 19,2% der Zahlungen im Online-Geschäft werden via PayPal getätigt. Die ehemalige Ebay-Tochter (2002-2015) ist mit über 230 Millionen Konten der größte Online-Finanzdienstleister der Welt und agiert in 193 Ländern.

Als direkte Reaktion auf Verschärfungen der Handelsblockade verbot die EU 1996 europäischen Unternehmen in einer „EU Blocking Regulation“ explizit das Befolgen der US-Blockade. Trotzdem wurde die Bundesregierung bisher in Bezug auf die Versuche PayPals, in Deutschland US-Gesetze durchzusetzen nicht aktiv. Insbesondere versucht man in Berlin wohl keine „unnötigen Wellen“ in Anbetracht des geplanten transatlantischen Handels- und Investionsabkommens (TTIP) zu schlagen. Würde öffentlich, dass ein amerikanisches Unternehmen offenbar in großem Stil ohne Rücksicht auf europäische Gesetze und die deutsche Souveränität den Willen der US-Regierung durchsetzt, könnte das die Zustimmung zu TTIP insbesondere in Deutschland noch weiter senken, weshalb man versucht diesen anhaltenden Skandal unter dem Medienradar zu halten.

Zuletzt hatte PayPal gegenüber dem Dortmunder Ticketanbieter Proticket, der auch in Kuba aktiv ist und Tickets für Auftritte kubanischer Künstler in Deutschland vertreibt, versucht seine „Kuba-Doktrin“ durchzusetzen. Auch der Anwalt des Dortmunder Unternehmens, Andreas Eberl, fordert ein Eingreifen der Bundesregierung: „Ein Vorgehen gegen Paypal wäre auf jeden Fall geboten, denn das, was Paypal hier macht, stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die verfolgt und geahndet gehört“ Zwar habe Proticket vor dem Landgericht Dortmund in erster Instanz gewonnen, allerdings gäbe es in seiner Kanzlei immer wieder Fälle, in denen PayPal Kundenkonten scheinbar willkürlich, mit Hinweis auf das US-Embargo gegen Kuba, sperrte. In den meisten Fällen hätten die Betroffenen allerdings nicht die Möglichkeiten sich juristisch mit einem Großkonzern wie PayPal zu messen. Große Konzerne wie Banken dagegen knickten meist sofort ein, wenn sie sich mit der „Kuba-Doktrin“ konfrontiert sähen, um das US Geschäft nicht zu gefährden, so Eberl.

Proticket ist insofern ein Sonderfall, als dass das Unternehmen groß genug gewesen sei, um einen Prozess führen zu können, aber nicht groß genug, um Interessen in den USA zu haben. Das Landgericht entschied schließlich zugunsten von Proticket. Unter Strafandrohung von 250.000€ wurde PayPal auferlegt, die Kontensperrung rückgängig zu machen. „Auf den vorliegenden Fall kommt zunächst deutsches Recht zur Anwendung“, begründete das Gericht seine Entscheidung.

Am Landgericht in Dortmund wurde erstmals einem Kläger Recht gegeben, der von PayPal aufgrund des amerikanischen Kuba-Embargos gesperrt wurde. "Es gilt deutsches Recht!"
Am Landgericht in Dortmund wurde erstmals einem Kläger Recht gegeben, der von PayPal aufgrund des amerikanischen Kuba-Embargos gesperrt wurde. „Es gilt deutsches Recht!“

Die Einlassung des Anwalts Andreas Eberl decken sich mit Berichten des Onlinemagazins Amerika21, nach denen in den vergangenen Jahren immer wieder Vergleiche zwischen PayPal und Kunden über die „Kuba-Doktrin“ geschlossen wurden, über deren Inhalte die Betroffenen sich zu Stillschweigen verpflichten mussten. Ein weiterer bekannter Fall, in dem PayPal versuchte einem deutschen Unternehmen das Handelsembargo aufzuzwingen stammt aus dem Jahr 2011: Die Drogeriemarktkette Rossmann weigerte sich damals auf den Verkauf von kubanischen Zigarren in ihrem Onlineshop zu verzichten und entschied, sich vom Finanzdienstleister PayPal zu trennen. Mittlerweile bietet der Onlineshop der Drogeriemarktkette wieder Zahlungen per PayPal an, ob auch hier ein geheimer Vergleich geschlossen wurde ist naturgemäß nicht bekannt.

Die Drogeriemarktkette Rossmann weigerte sich 2011, kubanische Zigarren aus ihrem Onlineshop zu entfernen. Durch die "Kuba-Doktrin" wurde Rossmann gezwungen, die Geschäftsbeziehung mit PayPal zunächst zu lösen.
Die Drogeriemarktkette Rossmann weigerte sich 2011, kubanische Zigarren aus ihrem Onlineshop zu entfernen. Durch die „Kuba-Doktrin“ wurde Rossmann gezwungen, die Geschäftsbeziehung mit PayPal zunächst zu lösen.

Die Art und Weise, wie hier US-Behörden mittelbar versuchen über einen Finanzmonopolisten deutsche Wirtschaftssanktionen gegen einen Drittstaat durchzusetzen ist eine Ungeheuerlichkeit! Ebenso ist das Schweigen der Bundesregierung zu deuten, die zugunsten von TTIP, also zugunsten deutscher Konzerninteressen, die Rechte von Kleinunternehmern, deutsche Souveränitätsrechte und das Völkerrecht opfert.

„Ich persönlich befürchte, dass die Zurückhaltung der Bundesregierung bei der Verfolgung der Ordnungswidrigkeit ein Vorgeschmack darauf ist, was uns mit dem derzeit sehr umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP erwarten wird – nur dann mit gesetzlicher Grundlage.,“ Erklärte Eberl zur Sache. Diese Fälle zeigten auch, so Eberl außerdem, die Gefahr, dass große Konzerne im Internethandel ihre Monopolstellung nutzen, um eigene oder nationale Interessen durchzusetzen.

Ähnlich sieht das die stellvertretende Bundesfraktionsvorsitzende der Linkspartei Heike Hänsel. In der „jungen Welt“ schrieb sie im April: Die Passivität der Bundesregierung ist besonders schockierend, weil sie so offensichtlich Unrecht akzeptiert. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen! Die Rechtslage könnte in diesem Fall klarer nicht sein, die Entscheidung des Landgerichts Dortmund hat dem Rechnung getragen. Einmal mehr zeigt die deutsche Justiz, dass sie offensichtlich fortschrittlicher ist als die Regierung. Bei einem derartigen Angriff auf die Souveränität dieses Landes sind jedoch Einzelfallurteile ungenügend, es bedarf einer klaren Richtlinie der Bundesregierung, deren Aufgabe es schließlich ist die Bürger vor dem Unrecht zu bewahren, nicht die Konzerne vor dem Recht! Sie darf nicht schweigen, wenn ausländische Mächte, seien es Geheimdienste oder Konzerne, sich über deutsche Gesetze nach Belieben hinwegsetzen!

Das Landgerichtsurteil in der Causa Proticket dürfte für den Fall Seafile eine juristische Chance bedeuten. Sollte Seafile prozessieren, besteht durchaus die Chance auf ein ähnliches Urteil. Schließlich kann ein Konzern unmöglich von seinen Geschäftspartnern illegale Handlungen verlangen.


Anmerkungen des Redakteurs:
Im Falle der Seafile GmbH sollte man zusätzlich zwei Überlegungen anstellen.

Erstens: Hat eventuell PayPal schon von anderen Unternehmen verlangt, Kundendaten weiter zu leiten und haben eventuell sogar einige Cloud-Dienstleister dem zugestimmt? Geht man davon aus, dass PayPal nicht völlig willkürlich handelt (und davon ist wohl auszugehen) erscheint in Verbindung mit den vom US-Konzern so geliebten Verschwiegenheitsklauseln beides wahrscheinlich.

Zweitens: Werden die Daten, die hier von europäischen Firmen gewonnen werden unter Umständen auch anderen amerikanische Unternehmen zur Verfügung gestellt, handelt es sich vielleicht sogar um mittelbare Industriespionage? Im Rahmen der Regelungen des Patriot Act müssen US-Unternehmen gewonnene Daten auf Anfrage an die Behörden weiterleiten, in der Vergangenheit gab es hier bereits Vorwürfe, diese Daten würden auch zur Industriespionage genutzt, immerhin hatte Präsident Bill Clinton bereits 1993 die Order gegeben, die US-Geheimdienste mögen die amerikanische Industrie nach Kräften unterstützen.

Im Falle des Kuba-Embargos ist auch zu bedenken, dass die Annäherung der USA an den Karibikstaat von Experten auch als weiterer Versuch das traditionell eng mit Kuba verbundene Russland weiter in der Völkergemeinschaft zu isolieren. Der neoliberalen wirtschaftshörigen US-Regierung ist tatsächlich der „letzte sozialistische Staat“ ein Dorn im Auge.

Es handelt sich hier um den ersten Teil einer fünfteiligen Reihe mit dem Titel „zwielichtige Machenschaften amerikanischer Großkonzerne in Europa“.

Sieben bemerkenswerte Feststellungen aus dem Drogenbericht der Bundesregierung.

Berlin. Am Donnerstag legte Drogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) der Öffentlichkeit den Drogen- und Suchtbericht 2016 der Bundesregierung vor. Wir haben die zehn wichtigsten Erkenntnisse für Sie zusammengefasst.

Gewohnheitsalkoholismus: 16 Prozent der Männer trinken in riskanten Mengen, von den Frauen sind es 13,9. 9,7 Liter reinen Alkohol pro Jahr nahmen damit die Deutschen jährlich im Durchschnitt zu sich. (aktuellste Zahl von 2013)

Schwangerschaftstrinken: Trotz erwiesenermaßen schädlicher Wirkung von schon geringsten Mengen, trinken 14% der Schwangeren gelegentlich Alkohol.

Drogentote: 1.226 Menschen starben 2015 in Deutschland an den Folgen illegaler Drogen wie Heroin oder Crystal Meth, 39 Menschen starben außerdem durch die Nutzung sogenannter „Legal Highs“, Substanzen, die zunächst nicht illegal sind, sich aber unter Umständen so zersetzen, dass sie im Körper ähnliche Wirkungen wie Meth oder Ecstasy entfalten. Laut Bericht seien diese sogenannten Designerdrogen in Europa zunehmend auf dem Vormarsch. Die mit Abstand meisten Personen starben dagegen an den Folgen klassischer legaler Drogen: 74.000 Menschen durch Alkohol und 121.ooo Menschen aufgrund von Krankheiten, die durch das Rauchen ausgelöst oder kritisch verstärkt wurden.

Raucheranteil: 26,9 Prozent aller Frauen und 32,6 Prozent der Männer im Alter von 18 bis 79 Jahren rauchen derzeit regelmäßig oder greifen zu anderen Tabakprodukten, dazu kommt ein ungewisser Anteil von Gelegenheitsrauchern. 22,8 Prozent der Frauen und 33,7 der Männer haben irgendwann aufgehört zu rauchen, womit über die Hälfte der Deutschen irgendwann im Leben einmal regelmäßige Raucher waren.

Komasaufen: Unter Jugendlichen nimmt das exzessive Trinken weiter zu, während unter Erwachsenen ein deutlich negativer Trend zu beobachten ist. 15.500 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren wurden 2015 wegen Alkoholvergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert.

Jugendliche Raucher: Unter den 12- bis 17-Jährigen rauchen zwölf Prozent gelegentlich und jeder vierte Jugendliche zwischen 15 und 24 raucht. Durchschnittlich fingen diese Jugendlichen mit 15 Jahren damit an.

Cannabiskonsum: 11,2 Prozent der 12- bis 17-Jährigen Jungs und 41,9 Prozent der jungen Männer (18 bis 25) gaben an mindestens einmal Cannabis konsumiert zu haben. Bei den Mädchen und Frauen sind es 8,2 und 26,6 Prozent. Übrigens ist kein Fall bekannt, in dem ein Mensch aufgrund Cannabiskonsums verstarb, im Gegensatz zu den legalen Drogen Nikotin und Alkohol. Tatsächlich zeigten Untersuchungen in den USA, dass die wenigen Krankheitsfälle, die mit Cannabis in Verbindung standen in aller Regel durch das Strecken oder behandeln des Marihuanas, also indirekt durch die Illegalität der Substanz, ausgelöst wurden.

Trotz der entgegengesetzt lautenden Statistiken sagte die Suchtbeauftrage in der Tagesschau übrigens, Cannabis sei „keine ungefährliche“ Droge und setzte sich vehement gegen eine Legalisierung des Stoffes ein. Wenn schon Kiffen so gefährlich ist, sollten dann nicht auch Alkohol und Tabak verboten sein, immerhin sterben daran jährlich fast 200.000 Menschen?

Wir werden nachfragen, die Antwort reichen wir baldmöglichst nach.