Politiker feiern sich naturgemäß gern selbst, eine gewisse Neigung zum Egozentrismus ist schließlich Voraussetzung für einen Job in der Öffentlichkeit. Selten aber hatten PolitikerInnen so wenig Grund zur Selbsthuldigung wie bei der einstimmigen Verabschiedung der am Donnerstag im Bundestag abgestimmten Verschärfung des Sexualstrafrechts. Nicht nur, weil Teile dieser Gesetzesverschärfung höchst bedenklich sind, sondern auch weil die Teile, die dringend notwendig sind, viel zu spät kommen.
Die wichtigsten Punkte des neuen Sexualstrafrechts in Kürze.
Grundsatz „Nein heißt Nein!“ wird ins Gesetz aufgenommen. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, droht Tätern bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, die sich über den „erkennbaren Willen einer anderen Person“ hinwegsetzen.
Der „Grapschparagraph“ wird eingeführt. Das unerwünschte sexuelle Berühren soll künftig mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet werden können. Dafür wird der Straftatbestand der sexuellen Belästigung eingeführt.
Neue Regelung zu „Straftaten aus Gruppen“. Künftig sollen alle Mitglieder einer Gruppe bestraft werden können, wenn von einzelnen Gruppenmitgliedern sexuelle Übergriffe ausgegangen sind.
Verschärfung des Aufenthaltsrechts. Künftig gehören Verurteilungen nach dem neuen Sexualstrafrecht zu den möglichen Ausweisungsgründen.
Kein Grund zu feiern!
Warum die so viele Bundestagsabgeordnete wie die Grünenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt das Gesetz derartig feiern, ist unbegreiflich, sollte ihnen doch bewusst sein, dass der wichtigste Teil des Gesetzes, der unter dem klangvollen Motto „Nein heißt Nein!“ steht, letztlich nur die längst überfällige Ratifizierung der schon 2011 vom Europarat beschlossenen Istanbul-Konvention, in der auch der Grundsatz „Nein heißt Nein!“ bereits enthalten war, die aber durch deutschen Konservatismus und wohl auch durch einen gewissen systemischen Sexismus in der Politik bisher in der Bundesrepublik nicht umgesetzt wurde, ist. Hier wird dementsprechend etwas gefeiert, das prinzipiell schon vor fünf Jahren beschlossen wurde und hätte umgesetzt werden müssen! Bisher sah man dazu jedoch im Justizministerium keinen Bedarf.
Erst im vergangenen Jahr beschloss Justizminister Heiko Maas, man müsse die Gesetzgebung zum Vergewaltigungstatbestand verschärfen. In der daraus entstandene Gesetzesänderung sah jedoch den Grundsatz der Istanbul-Konvention zunächst nicht vor. Das jetzt vom Bundestag beschlossene Gesetz dagegen enthält diese wichtige Regelung zwar, entstand jedoch aus einem blinden, der Kölner Silvesternacht folgenden Aktionismus. Der an dieser Stelle deshalb entschuldbar ist, weil er zum richtigen Ergebnis führte.
Nein heißt Nein!
Was bedeutet nun eigentlich der Grundsatz „Nein heißt Nein!“? Wenn jemand in irgendeiner Weise äußert, dass Geschlechtsverkehr nicht gewünscht ist, eine andere Person aber diesen jemand dennoch zum Sex zwingt, so ist dies eine Vergewaltigung. So viel ist jedem Menschen mit gesundem Verstand klar, dem deutschen Strafrecht jedoch bisher nicht. Damit eine Tat nach derzeitigem Recht als Vergewaltigung gewertet wird, muss entweder der Täter deutlich Gewalt angewendet haben, um sein Opfer zum Geschlechtsverkehr zu zwingen, oder das Opfer muss sich erkennbar körperlich gewehrt haben. Wer ein bisschen etwas von den psychologischen Wirkmechanismen bei sexuellem Zwang versteht, wird feststellen, dass diese Auffassung völlig daneben liegt. Oft genug kommt es zu erzwungenem Sex, bei dem das Opfer sich aufgrund körperlicher Unterlegenheit, psychischem Zwang, Abhängigkeit vom Täter, oder sonstigen Gründen nicht in der Lage sieht, körperlichen Widerstand zu leisten.
Diese Verschärfung der Gesetzeslage kann also als sinnvoll betrachtet werden, fragt man sich doch als gesunder Mensch eher, warum die Rechtslage nicht längst schon genau so lautet. Bisher haben übrigens 21 Staaten die sogenannte Istanbul-Konvention ratifiziert.
Der Grapschparagraph.
Ähnliches ist zur Einführung des Straftatbestandes der „sexuellen Belästigung“ zu sagen. Nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht fragten sich viele, wie es denn sein könne, dass es nicht strafbar sei, Frauen ungefragt an die Oberweite zu grapschen. Eine durchaus berechtigte Frage, die ihre Antwort im oben erwähnten systemischen Sexismus der Politik findet: Eine von konservativen Männern dominierte Politik hatte einfach bisher kein Problem darin gesehen, der Sekretärin hin und wieder mal auf den Hintern zu klatschen. In der Welt der Männer gilt dies schließlich als Kompliment. Wenn derlei Handlungen bisher angezeigt wurden, sind sie in der Regel juristisch als „Beleidigung“ behandelt worden, während für den Tatbestand der „sexuellen Nötigung“ mindestens der erklärte Unwillen des Opfers notwendig ist. Auch diese Änderung kann dementsprechend als sinnvoll erachtet werden.
Männer müssen aufgrund dieses Gesetzes nun jedoch auch nicht in Panik ausbrechen, sie könnten massenweise angezeigt werden, sobald sie, zum Beispiel auf einer Tanzveranstaltung, mit Frauen in Berührung kommen. Einzig Handlungen, die zur Belästigung geeignet sind, nicht aber solche Berührungen sein, die „nur Interesse, Verwunderung oder Vergnügen auslöst“, sollen dadurch strafbar werden.
Verfassungsrechtlich höchst bedenklich: „Sexuelle Straftaten aus Gruppen“.
Viel bedenklicher dagegen ist der dritte Part der Gesetzesänderung, die von sexuellen Straftaten aus der Gruppe heraus handelt und eine direkte Reaktion auf die Ereignisse der Silvesternacht 2016 ist. Künftig sollen demnach alle Mitglieder einer Gruppe bestraft werden können, wenn von einzelnen Gruppenmitgliedern sexuelle Übergriffe ausgegangen sind. Gesetzesänderungen dieser Art sind es, die am besten zeigen, dass blinder Aktionismus in der Politik nichts zu suchen hat! Das deutsche Strafrecht arbeitet nach einer Art Individualprinzip: Bei Gruppenstraftaten muss vor Gericht grundsätzlich die Schuld jedes einzelnen abgewogen werden. Dem widerspricht diese Gesetzesänderung fundamental. Einige Politiker haben zu diesem Teil der neuen Sexualstrafgesetzgebung deshalb richtigerweise schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken. So meinte die Grünen-Rechtsexpertin Renate Künast: „Wer selber keine Sexualstraftat begeht, kann und darf nicht wegen einer Sexualstraftat verurteilt werden. Das widerspricht dem Schuldprinzip, auf dem unser gesamtes Strafrecht aufbaut.“ Recht hat sie, und stimmte doch für das Änderungspaket.
Bedenkt man die Implikation des Gesetzes, dass nun jemand für eine Straftat belangt werden kann, die er gar nicht begangen hat, sieht plötzlich die einstimmige Bundestagsentscheidung, die Frau Göhring-Eckardt trotz der Bedenken, die aus ihrer eigenen Fraktion kamen, so feiert, gar nicht mehr so huldigungswürdig aus. Vor allem von der Linkspartei wäre ein Widerstand gegen diese Änderung Pflicht gewesen. Auch warum die Grünen, die öffentlich die schärfsten Bedenken äußerten, dieses Gesetz mit tragen, ist völlig unverständlich. Ein Gesetz, dass es ermöglicht Unschuldige für die Taten anderer zu bestrafen, ist niemals ein gutes Gesetz, wobei es hier letztlich auf die Auslegungen der Gerichte ankommen wird. Letzten Endes kann es hier zur Umkehr der Unschuldsvermutung kommen, dem zentralen Prinzip eines fortschrittlichen Strafrechts.
Wir haben bei den Bundestagsfraktionen nachgefragt, wie es trotz aller Bedenken aus den Fraktionen und aus dem Justizministerium dazu kommen konnte, dass dieser Änderung einstimmig zugestimmt wurde. Bisher erhielten wir keine Antwort, wir werden berichten, sobald dem so ist.
Verschärfung des Aufenthaltsrechts.
Auch dieser Teil des Gesetzespakets ist umstritten, erlaubt es doch prinzipiell die Ausweisung eines Ausländers aus Deutschland für eine Handlung, die bisher nicht strafbar war. Schon im Frühjahr hatte die Große Koalition beschlossen, dass künftig ausgewiesen werden kann, wer wegen Körperverletzung, Sexualdelikten, Eigentumsdelikten und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe oder einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde, sofern diese Taten mit Gewalt und schweren Drohungen verbunden waren. Die Frage, inwieweit eine derartige Gesetzgebung insbesondere auf nach dem Asylrecht Bleibeberechtigte anzuwenden ist, wird dabei scharf diskutiert. Öffentlich bedauerte dementsprechend die Parteichefin der Linken, Katja Kipping, dass es die Sexualstrafrechtsverschärfung „leider nur im Paket“ mit der Verschärfung des Aufenthaltsrechts gegeben habe. Ein Gesetz zu kritisieren, für dessen Einführung man am selben Tag noch selbst votiert hat, ist mindestens mutig, der Glaubwürdigkeit Kippings dürfte ein solches Verhalten jedenfalls nicht zuträglich sein.
Die Hysterie der Antifeministen.
Unter #neinheisstnein twittert Deutschland heute über die Erweiterung des Sexualstrafrechts. Was die einen, inklusive des attestierten Sexisten Volker Kauder, etwas zu überschwänglich als „grandiosen Erfolg“ feiern, verurteilen die allgegenwärtigen Antifeministen selbstverständlich als das unselige „Werk der Feminazis!“. Und natürlich kritisieren sie dabei die falschen Punkte. An dieser Stelle sei ein kleiner Tipp geäußert, wie man einen Sexisten sehr einfach erkennt: Sollte jemand unter #neinheisstnein irgendwelche Sprüche publiziert haben, die implizieren, er halte gar nichts von dieser Regelung, so ist er ein Sexist. So einfach kann es sein. Lassen Sie sich hier auch nicht von irgendwelchen komplizierten Fallkoinstrukten täuschen, die diese Leute gerne verwenden, um alle anderen Lügen zu strafen.
Aber tatsächlich finden sich im Netz offenbar abertausende, denen das Konzept Sex nur mit solchen Personen zu haben, die dem auch zustimmen (können), fremd ist. Im Deutschen gibt es dafür den Rechtsbegriff der Einvernehmlichkeit, im Englischen das viel schönere (und kürzere) Wort Consent. Dies sollte doch im 21ten Jahrhundert ein etabliertes und akzeptierbares Konzept sein, oder nicht?
Obgleich die Mehrzahl der widerwärtigsten Antifeministen-Tweeds am Donnerstag von männlichen Hysterikern stammten, zeigten es übrigens auch genug Frauen, die mit dem Konzept so gar nichts anfangen können, was einmal mehr zeigt, dass Sexismus kein männliches Problem ist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass diesen Frauen von Kindesbeinen auf die Auffassung der Männer, die Frau habe die Pflicht, ihren Mann zu befriedigen, eingedroschen wurde?
Besser so als gar nicht?
Das juristische Problem der Kollektivschuld wird in den Massenmedien kaum behandelt, vielleicht weil es zu komplex, zu abstrakt wirkt, um es ausreichend zu beleuchten. Stattdessen wird immer wieder so getan, als sei das Prinzip der Einvernehmlichkeit ein völlig revolutionäres Konzept. Auch das ist ein Beispiel von systemischem Sexismus!
Wie ist nun dieses Gesetzespaket aber insgesamt objektiv zu beurteilen?
Obgleich es aus einem politischen Aktionismus heraus entstanden ist, der zu gefährlichen Fehlentscheidungen führen kann, sind die Änderungen weitgehend notwendig und wichtig, aber auch völlig verspätet! Die Einführung der Kollektivschuld bei Sexualstraftaten dagegen kann ohne weiteres als eine der angesprochenen Fehlentscheidungen gewertet werden. Ein „besser so als gar nicht“, wie es offenbar von den parlamentarischen Kritikern dieses Gesetzesfragments vertreten wird, kann es hier also nicht geben: Die Grundprinzipien unserer Rechtsordnung dürfen nicht unterhöhlt werden, auch nicht um Sexualstraftaten ahnden zu können! Man stelle sich einmal vor, aus einer Gruppe von fünf Menschen würde einer einen Diebstahl begehen, da käme ja auch niemand auf die absurde Idee, alle fünf für die Tat des einen zu bestrafen.
Demnach ist dies trotz aller positiven Implikationen kein gutes Gesetz!
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