Rechtsradikale protestieren mit Impfgegner*innen und Esoteriker*innen wieder gegen Corona-Auflagen in Heidelberg.

Zum Protest gegen die Corona-Verordnungen der Bundes- und Landesregierungen hat sich am Samstag erneut ein skurriles Bündnis aus Verschwörungsgläubigen, Neonazis, AfDlern, Impfgegnern und anderen Esoteriker*innen getroffen. Ihre Demonstration sollte – wie schon die entsprechende Demo am vorherigen Samstag – in der Altstadt am Universitätsplatz stattfinden. Doch dort hatte die Grüne Jugend unter dem Motto “Gemeinsam durch die Krise – Freiheit und Solidarität” bereits eine – unter strengen Sicherheitsauflagen stattfindende – Kundgebung angemeldet.

Die geplante Protestaktion der Verschwörungsideologen musste also verlegt werden. Da die Organisator*innen von 500-1000 Teilnehmenden ausgingen, blieben dem Ordnungsamt aus sicherheits- und gesundheitsschutztechnischen Gründen nicht viele Orte, die man der Kundgebung hätte zuweisen können. Die Wahl fiel schließlich auf den Parkplatz am Messplatz in Heidelberg-Kirchheim. Die Aktion fand so quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Einzig einige antifaschistische Beobachter*innen, vereinzelte Pressevertreter*innen und ein kleiner antifaschistischer Gegenprotest nahm die rechtsesoterische Kundgebung wahr.

Die Teilnehmer*innenzahl belief sich schließlich auf maximal 150 Personen, wobei es zu Beginn noch deutlich weniger waren, da sich viele zu der Alternativkundgebung der Grünen Jugend verirrt hatten, wo einige erst merkten, dass sie falsch waren, als die Heidelberger Stadträtin und Sahra Mirow von der Partei DIE LINKE den ersten Redebeitrag hielt und klar machte, dass eine rational agierende Linke nichts mit den Protesten der sogenannten “Hygieniker” verbindet. Einige der Verirrten machten sich dann noch zum Messplatz auf, nachdem ihnen endlich klar wurde, dass sie falsch waren. Andere blieben in der Altstadt, um zu pöbeln.

Während der Kern der Teilnehmenden ziemlich gleich geblieben war, zeigte sich allerdings am Messplatz, dass, nachdem auf der vorherigen Demonstration auch noch einige eher links orientierte Personen zu finden waren, denen offenbar nicht ganz klar war, mit wem sie da demonstrierten, der Anteil der offen rechtsradikal auftretenden Personen klarer erkennbar war. So waren neben dem Heidelberger AfD-Stadtrat Bartesch, dem Ex-Stadtrat Niebel und Andreas Clewe, dem Vorsitzenden der Schwetzinger AfD, sowie anderen AfD-Aktivist*innen auch wieder etliche Personen mit klar neonazistischem Auftreten anwesend. Berührungsängste zwischen AfD, betont “unpolitischen” Esoteriker*innen und Neonazis waren dabei nicht erkennbar.

Inhaltlich war alles dabei, was von einer solchen Kundgebung zu erwarten war: Es wurde gegen eine Impfpflicht gewettert, die überhaupt nicht geplant ist, wobei fehlerhaft behauptet wurde, diese käme dann ja mit dem – durchaus zu Recht umstrittenen – Immunitätsausweis. Als Schuldige wurden schnell Bundeskanzlerin Angela Merkel und Microsoft-Chef Bill Gates ausgemacht, weil letzterer im Zuge der Corona-Krise gesagt hatte, dass er – philanthropisch wie er sich gerne gibt – mit der “Bill and Melinda Gates Foundation” dafür sorgen wolle, dass ein Impfstoff “allen 7 Milliarden Menschen” zur Verfügung steht.

Mit Hilfe dieser Impfungen solle die “Überbevölkerung” in Schach gehalten werden, so einer der Redner, der im selben Satz meint, dass man ja “nur” dafür sorgen müsse, dass die Menschen in Afrika “etwas mehr Wohlstand” hätten, dann müssten sie ihre Nachkommen ja nicht mehr als Altersversorgung sehen und würden sich weniger vermehren. Auch sei zu bemerken, dass Bill Gates, was der Redner aus Gerüchten wisse, Bill Gates weder seine eigenen Kinder impfen ließe, noch G5-Masten in der Nähe seines Anwesens dulde, weil diese “die Landschaft verschandeln”.

Der selbe Redner geriet allerdings noch in einen skurrilen Widerspruch mit seiner Vorrednerin: Während die Vorrednerin, die auch meinte, Menschen in Altenheimen hätten “keine Angst vor dem Virus, sondern Angst in den letzten Tagen ihres Lebens allein zu sein”, behauptete, es gäbe eine strukturelle Zusammenarbeit zwischen Antifa und Polizei, die zu den selben repressiven Strukturen gehörten, die “die Meinungsäußerung blockieren”, rief er zum Dank und Applaus für die Polizisten auf, die seiner Ansicht nach die Protestierenden vor einem kleinen Gegenprotest der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) schützten – und schützen mussten. Beide widersinnigen Aussagen bekamen gleichermaßen Beifall aus dem Publikum. Wobei die Gegendemonstrant*innen weitestgehend bereits abgezogen waren, um nach Mannheim zur dortigen Demonstration der selben Couleur zu fahren.

Einig waren sie sich dann wieder darin, dass „die Antifa“ die „wahren Faschisten“ seien. Insgesamt war die Veranstaltung vor allem ziemlich skurril – und die offensichtliche Unorganisiertheit der Veranstalter*innen, die sich z.B. dadurch zeigte, dass etwa die Hälfte der Teilnehmer*innen zunächst am falschen Ort auftauchten und sich dann echauffierten, als die dortigen Redner*innen ihre Erwartungshaltung nicht erfüllten, sorgte bei einigen Beobachtern der Demo – und auch bei einigen der umstehenden Polizist*innen für Belustigung. Vergessen werden darf aber auch nicht, dass die „Hygienedemos“ Teil eines rechtsradikalen Hegemoniekonzepts sind, das auf den Vordenker der neuen Rechten, Götz Kubitschek, zurück geht und darauf aus ist, die Verankerung extrem rechter Positionen in breiteren Bündnissen voranzutreiben.

Bemerkenswert ist, dass die AfD in Heidelberg, Schwetzingen und Umgebung so kurz nach dem Beschluss des Bundesvorstandes, den ehemaligen Republikaner Andreas Kalbitz aus der Partei auszuschließen, weil dieser (angeblich) die Mitgliedschaft in verschiedenen rechtsradikalen Organisationen (u.a. der „Heimattreuen Deutschen Jugend“) nicht angegeben habe, bereits wieder den Schulterschluss mit Neonazis und anderen offen rechtsradikal auftretenden Kräften sucht.

Heidelberg kann als eine der Keimzellen der “Hygienedemos”. Beginnend mit den öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen der „Corona-Anwältin“ Beate Bahner, die nicht nur zu einer unangemeldeten Demonstration gegen die Corona-Verordnungen am Ostersonntag aufgerufen hatte, sondern die auch erfolglos vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen zu klagen versuchte, nahmen die Proteste der “Corona-Skeptiker” erst Fahrt auf. Als Beate Bahner kurz darauf wegen “Eigen- oder fremdgefährdendem Verhalten (vgl. Polizei Heidelberg)” kurzfristig in eine psychiatrische Einrichtung verbracht wurde, aus der sie jedoch schon spätestens am folgenden Tag entlassen wurde, ging die Geschichte deutschlandweit viral: Der Fall Bahner entwickelte sich in den Augen derjenigen, die die Maßnahmen der Regierungen pauschal ablehnten zum Beleg dafür, dass “die Regierung” mit aller Härte gegen ihre Kritiker*innen in dieser Sache vorginge. Linke und rechte Esoteriker*innen bekundeten eiligst – und teilweise ohne vorherige Prüfung – im Netz und auf den Straßen ihre Solidarität mit der Heidelberger Juristin.

Zur ersten “Demonstration” der neuen Querfront kam es dann, als Bahner, nach einer polizeilichen Anhörung wegen des Verdachts, sie habe öffentlich zur Begehung einer Straftat aufgerufen, vor dem Polizeirevier Heidelberg-Mitte eine spontane Kundgebung abhielt, bei der sich erstmals in Heidelberg Neonazis, AfDler, Esoteriker*innen und (auch linke) Verschwörungsideolog*innen trafen, um ihrer Unzufriedenheit mit den geltenden Verordnungen öffentlich gemeinsam Ausdruck zu verleihen. Das Vorgehen der Heidelberger Polizei, die Kundgebung relativ ungestört geschehen zu lassen – von einigen Aufrufen, Abstand zu halten, einmal abgesehen – wurde von vielen Seiten scharf kritisiert. Insbesondere, da wenige Tage zuvor eine Demonstration der Initiative “Seebrücke”, die sich für sichere Fluchtrouten und für die Rechte von Geflüchteten einsetzt, in Frankfurt aufgelöst worden war, obwohl die dortigen Aktivist*innen sich an strengste Abstands- und Sicherheitsvorkehrungen hielten.

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