Besorgnis von Menschenrechtlern zur Lage von Flüchtlingen an der Schweizer Grenze und Daten zur Lage in Deutschland.

Genf (Schweiz). Ein Rückstau von Flüchtlingen an der schweizerisch-italienischen Grenze hat Besorgnis bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International ausgelöst.

Die Organisation forderte am Mittwoch von den Schweizer Behörden Klarheit, ob Kindern auf dem Weg zu ihren Familien die Einreise verweigert würde. „Wir sind besorgt über Berichte von Minderjährigen, die nach eigenen Angaben an der Schweizer Grenze wieder nach Italien zurückgeschickt wurden und an der Weiterreise zu ihren Familienangehörigen in der Schweiz gehindert wurden“, erklärte Amnesty.

Zahlreiche Flüchtlinge aus Eritrea, Äthiopien und anderen afrikanischen Ländern sitzen seit vergangenem Monat auf ihrem Weg nach Nordeuropa an der Grenze zum Schweizer Kanton Tessin fest. Seit Anfang Juli ließen die Zöllner nur rund 1.500 von fast 7.500 Migranten passieren. In der italienischen Grenzstadt Como sind so hunderte Flüchtlinge gestrandet. Ein Park am Bahnhof des malerischen Ortes am Comer See, der auch vielen Deutschen als Urlaubsort dient – insbesondere jenen, denen der Gardasee zu überlaufen ist, ist zu einem Flüchtlingscamp geworden.

Menschen, die Asyl oder Schutz suchen, würden an das Staatssekretariat für Migration übergeben, erklärte ein Sprecher der Schweizer Zollverwaltung. Migranten, die in die Schweiz einreisen oder diese lediglich durchqueren wollen aber die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllten, würden vom Grenzschutz zurück nach Italien gebracht. Rechtsgrundlage sei ein seit dem Jahr 2000 bestehendes Rückübernahmeabkommen. „Es gab in den vergangenen Wochen keine Änderung an dieser Praxis“, erläuterte der Sprecher.

Eine systematische Zurückweisung von Minderjährigen sei laut Amnesty International nicht vereinbar mit der besonderen Schutzwürdigkeit von Kindern auf der Flucht – dies befürchten die Menschenrechtler jedoch. Angesichts der prekären Lebensbedingungen für Flüchtlinge im Norden Italiens sei es inakzeptabel, besonders verletzliche Menschen abzuweisen. „Die Schweiz hat die Verpflichtung, in jeden Fall die UNO-Konvention zum Schutz des Kindes zu respektieren“, erklärte die Organisation.

Flüchtlinge, die in der Schweiz und in Frankreich abgewiesen wurden, strömen inzwischen nach Mailand. Insgesamt dort mittlerweile über 3.000 Migranten auf dem Weg in andere europäische Länder gestrandet, sagte der Bürgermeister der norditalienischen Mode-Metropole, Giuseppe Sala, am Dienstag.

Lage in Deutschland.

Auch Deutschland hat sich der Fokus der Flüchtlingspolitik im ersten Halbjahr gegenüber 2015 deutlich verschoben. So wurden zwar noch immer deutlich mehr Flüchtlinge eingelassen als abgewiesen, mittlerweile scheinen sich die Zahlen jedoch zu relativieren. Insgesamt sind laut Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bis Juli 238.424 neue Flüchtlinge registriert worden – allein im vergangenen November waren es noch rund 200.000 gewesen. Gleichzeitig stieg die Zahl der an der Grenze oder an deutschen Flughäfen abgewiesenen Flüchtlinge für das erste Halbjahr auf 13.324 Personen. Damit wurden knapp 5,6 Prozent der ankommenden Migranten direkt abgewiesen – im Vorjahr wurden insgesamt nur 8.913 von rund 1,1 Millionen Menschen zurück geschickt (0,8 Prozent).

Auch die Anzahl der Abschiebungen stieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum solide auf 13.743 Fälle an, wobei nach Angaben des BAMF die meisten Personen auf den Westbalkan abgeschoben wurden. Außerdem verließen im ersten Halbjahr 2016 bereits 30.553 Personen über das Rückkehrförderprogramm von Bund und Ländern freiwillig die Bundesrepublik – 2015 hatte es insgesamt nur 35.514 geförderte Ausreisen gegeben. Belastbare Zahlen zu ungemeldeten Ausreisen liegen derzeit nicht vor. Die meisten geförderten Ausreisen führten gen Irak (3.322), gen Iran (1.578) und gen Afghanistan (2.308) – im Vorjahr waren hier die Balkanstaaten Spitzenreiter gewesen.

BAMF-Plakette

Insgesamt ergibt sich daraus gemessen an den 2016 eingereisten Flüchtlingen eine Rückführungsquote von (mindestens) 21,16 Prozent, wobei freilich viele der Ausgereisten und Abgeschobenen schon länger im Lande waren.

Zwar dürfen nach dem neuen Integrationsgesetz in Deutschland nun deutlich mehr Flüchtlinge arbeiten, allerdings bleiben weiterhin viele soziale Fragen wie beispielsweise zur Unterbringung und gesellschaftlichen Inklusion von anerkannten Asylbedürftigen offen.

Am meisten Asylbewerber kamen 2016 bis Juli übrigens aus Syrien (77.076 Personen), Afghanistan (40.936), dem Irak (39.331), dem Iran (9.767) und der Russischen Föderation (6.194). Angesichts von Terror und politischer Instabilität kamen auch aus der Türkei mehr Geflüchtete in die Bundesrepublik: Die Zahl türkischer Asylbewerber stieg auf 1719 Menschen.

Mehr Flüchtlinge dürfen arbeiten.

Berlin. Die gesetzliche Arbeitserlaubnis gilt als zentrale Grundlage für die mögliche Integration von Migranten. Während sich kürzlich zeigte, dass an der deutschen Grenze 2016 bisher deutlich mehr Flüchtlinge abgewiesen werden, wurde nun bekannt, dass Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge in den ersten sieben Monaten diesen Jahres sehr viel häufiger eine Arbeitserlaubnis erhalten haben als im Vorjahr.

Von Januar bis Juli erlaubte demnach die Bundesagentur für Arbeit  im Rahmen sogenannter Vorrangprüfungen in rund 41.800 Fällen den Arbeitsmarktzugang. Schon zur Jahresmitte wurden damit etwa 2.500 Arbeitsgenehmigungen mehr als im gesamten vorigen Jahr ausgestellt, wie aus am Mittwoch vorgelegten Auswertung der Behörde hervorgeht. Die Zahl der Ablehnungen betrug seit Jahresanfang knapp 12.000, während sie im gesamten Vorjahr bei rund 16.500 lag.

Bisher durften geduldete Flüchtlinge und Asylbewerber, über deren Antrag noch nicht entschieden ist, ein Jobangebot nur annehmen, wenn die Arbeitsagentur vor Ort bescheinigt, dass kein einheimischer Arbeitsuchender Vorrang hat. Seit dem Inkrafttreten des neuen Integrationsgesetzes am vergangenen Wochenende ist die Vorrangprüfung in 133 von 156 Bezirken der Bundesagentur aber für drei Jahre nicht mehr erforderlich.

Ablehnungen des Arbeitsmarktzuganges hatten nach Angaben der Arbeitsagentur verschiedene Gründe: Etwa seien Arbeitserlaubnisse  verweigert worden, wenn nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu befürchten waren oder ein vorrangiger inländischer Arbeitnehmer zur Verfügung stünde. Auch ungünstigere Arbeitsbedingungen als für vergleichbare deutsche Arbeitnehmer seien ein Ablehnungsgrund.

Ein Fordern erfordert auch ein Fördern. Bundeskanzlerin will bessere Integration.

Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert von in Deutschland lebenden Flüchtlingen Anpassungsbereitschaft.

Einerseits müsse die deutsche Gesellschaft offen für Flüchtlinge sein, sagte die CDU-Chefin in ihrem am Samstag veröffentlichten wöchentlichen Videobotschaft. Deswegen gebe es Integrations- und Sprachkurse erklärte sie mit Blick auf das kürzlich verabschiedete Integrationsgesetz. „Auf der anderen Seite müssen aber auch die, die zu uns kommen, respektieren, dass wir ein Grundgesetz haben, dass wir Gesetze haben, dass man Gewalt nicht ausüben kann, dass wir Religionsfreiheit haben, dass wir Meinungsfreiheit haben.“

Die Kanzlerin übersieht dabei jedoch, dass Integration nicht nur bedeutet, die Sprache des neuen Heimatlandes zu lernen, eine gelungene Anpassung kann nur funktionieren, wenn die mehr oder minder Anpassungswilligen von der Gesellschaft auch integriert werden können. Dafür ist es jedoch notwendig zum Beispiel durch vorausschauende Bau- und Wohnplanung eine Ghettobildung zu verhindern. Integrativer Sozialer Wohnbau muss dringend staatlich vorangetrieben werden, zeigt sich doch, dass Migranten sich dort besser anpassen, wo sie regelmäßig mit Einheimischen zusammenkommen.

Insbesondere für Frauen solle es Angebote für Integrationskurse geben, „dass sie lernen, deutsch sich auszudrücken, öffentlich auftreten zu können“. Frauen könnten ein Integrationsmotor sein, sagte die Kanzlerin. „Auch hier gilt natürlich wieder, dass die Toleranz da sein muss. Jeder kann seine Religion leben, aber jeder muss sich auch an unsere Gesetze halten.“

Richtiger Ansatz, aber vielleicht sogar noch nicht weit genug gedacht: Wie wäre es mit kulturell vermischten Kinderspielgruppen? Damit könnten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Einerseits würden Kinder schon früh den Umgang mit anderen Kulturen lernen und andererseits hätten gerade Mütter, die aus konservativen Haushalten kommen über ihre Kinder die Möglichkeit mit anderen Frauen in Kontakt zu kommen und so ihren Horizont zu erweitern. Unabhängig von ihren Ehemännern.

„Bildungsfern und dumm ist der Migrant!“ – Gedichtbeitrag

Bildungsfern und dumm ist der Migrant!

Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!
Heute weiß der Pöbel alles besser!
Er kennt den Namen alles Bösen!
Die Türken und die Araber,
Allgemein die Fremden sind’s,
Die zerstör’n dieses Land!
Bildungsfern und dumm
ist der Migrant!
Obendrein
Ist er
Faul!

Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!
Ich halt‘ Pi für eine Spielkonsole,
Pythagoras ist tot und Grieche,
Was kümmert also mich sein Satz?
Bin Deutscher, weiß genug!
Es sind die Fremden,
die dieses Land
Zerstören!
Das weiß
Ich!

Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!
Goethe? Nie gehört! Schiller? Kenn ich nicht!
Wer sind Schopenhauer oder Kant?
Ich bin deutsche Leitkultur!
Wer kennt denn schon den Kleist?
Ich verteidige
Das Abendland!
Ich liebe
Deutschland
Noch!

(Bernd von der Recke)

ContraPro: Sollten muslimische Mädchen trotz ihrer Religion zur Teilnahme am Schwimmunterricht verpflichtet werden?

Ein Fall aus dem vergangenen Jahr wurde nun publik, bei dem zwei muslimische Schwestern sich in der Schweiz einbürgern lassen wollten. Die beiden Mädchen im Alter von 12 und 14 Jahren sprachen zwar offensichtlich gut Deutsch, besuchten aber weder den Schwimmunterricht noch Klassenfahrten, weil dies mit ihrem Glauben nicht vereinbar sei.

Den Mädchen wurde die Einbürgerung mit der Begründung verweigert, einbürgerungswillige Jugendliche müssten ihre Schulpflicht erfüllen. Wer dies nicht tue, verletze die Rechtsordnung und werde daher nicht eingebürgert. Diese Entscheidung wurde in der Schweiz bereits im Jahr 2013 höchstrichterlich vorgegeben, wenngleich nicht immer nach dieser Linie entschieden wurde.

Die Frage ist nun, ob in Deutschland ebenso entschieden werden sollte, oder ob allgemein eine Rechtfertigung auf Basis des 4. Artikels der Verfassung besteht, dem Schulunterricht aus Glaubensgründen fernzubleiben. Dürfen also muslimische Mädchen dem Schwimmunterricht aus religiösen Gründen fernbleiben?


Pro: Die Ausübung der eigenen Religion darf nicht eingeschränkt werden, muslimische Mädchen dürfen sich jedoch nicht gegenüber Männern und Jungs entblößen, beim Schwimmunterricht ist aber eine entsprechende Verhüllung nicht möglich.

Contra: Sofern es einen gemischtgeschlechtlichen Sport- und Schwimmunterricht gibt, kann von Entblößung dennoch keine Rede sein, es gibt Badeanzüge, die beinahe den ganzen Körper bedecken, dazu gibt es Badekappen, es gibt sogar Badeburkas. Außerdem sind die Umkleidekabinen nach Geschlechtern getrennt. Reicht eine reine Trennung nach Geschlecht nicht aus, so hat die Schule Einzelkabinen zur Verfügung zu stellen.

Übrigens beginnt die Verhüllungspflicht für muslimische Mädchen erst in der Pubertät, das heißt, dass dieses Argument für Grundschülerinnen ohnehin nichtig ist.

Pro: Aber selbst wenn sich die Mädchen sich selbst ausreichend verhüllt, kann ihm doch der Anblick von derart leicht bekleideten Menschen nicht zugemutet werden!

Contra: Im Gegenteil muss Teil einer gelungenen Integrationspolitik auch sein, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund an die gesellschaftliche Wirklichkeit zu gewöhnen, wozu nun einmal wenig bekleidete Menschen gehören.

Außerdem wird an vielen weiterführenden Schulen ein nach Geschlechtern getrennter Schwimm- und Sportunterricht durchgeführt. In Baden-Württemberg wird  in 88 Prozent der Fälle ein getrennter Schwimmunterricht angeboten, in Bayern in 93 Prozent der Fälle, in Sachsen immerhin in 74 Prozent der Fälle. Selbst in Nordrhein-Westfalen sind fast ein Drittel der Schwimmunterrichtsangebote an weiterführenden Schulen nicht koedukativ sondern nach Geschlechtern getrennt.

Der Prophet Mohammed empfahl übrigens das Schwimmen explizit als Methode, den Körper gesund zu halten und verpflichtete seine Anhänger, es ihren Kindern beizubringen.


Ein Grundsatzurteil zu diesem Thema fällte übrigens das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bereits 2013: Muslimischen Schülerinnen kann die Teilnahme am gemeinsamen Schwimmunterricht von Jungen und Mädchen zugemutet werden. Um ihren religiösen Bekleidungsvorschriften gerecht zu werden, könnten sie einen Burkini, einen Ganzkörperbadeanzug, tragen. Auch müssten muslimische Mädchen den Anblick wenig bekleideter Jungen auf sich nehmen, denn: „Das Grundrecht der Glaubensfreiheit vermittelt grundsätzlich keinen Anspruch darauf, im Rahmen der Schule nicht mit Verhaltensgewohnheiten Dritter – einschließlich solcher auf dem Gebiet der Bekleidung – konfrontiert zu werden, die außerhalb der Schule an vielen Orten bzw. zu bestimmten Jahreszeiten im Alltag verbreitet sind,“ So die Urteilsbegründung.


Spartacus ContraPro ist ein neuer experimenteller Beitragsstil, bei dem Argumente von Befürwortern und Gegnern einer These aufgewogen werden sollen, einen besonderen journalistischen Anspruch erheben wir an diese Beitragsform zunächst nicht.

Anmerkung der Redaktion:

Das Thema hat sich für den ersten Beitrag dieses Formats im Nachhinein als gänzlich ungeeignet herausgestellt, da wir einfach zu wenige Argumente von Befürwortern einer religiös begründeten Freistellung vom Schwimmunterricht gefunden haben. Wir hoffen, beim nächsten Versuch ein passenderes Thema zu finden.

Ein-Mann-NAZI-Demo von Polizei „aufgelöst“.

Bad Segeberg. Unter dem Motto „Asylmissbrauch stoppen – Nein zur Politik Merkel“ war in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein zu einer rechten Kundgebung aufgerufen worden. Allerdings tauchte nur ein einziger Demonstrant, der Anmelder der Demo, zum geplanten Beginn um 13 Uhr am Samstag auf. Damit seien die versammlungsrechtlichen Anforderungen nicht erfüllt gewesen. Diese schreiben eine Mindestanzahl von drei Personen vor, erklärte ein Vertreter der örtlichen Polizei und löste die Ein-Mann-Demo kurzerhand auf, sehr zur Freude der 50 Gegendemonstranten und 170 angeforderten Polizisten, die unverrichteter Dinge wieder heimgehen konnten.

Auch den Beamten, der den beklagenswerten Nazi heim schickte, dürfte sich gefreut haben, oft genug müssen schließlich Polizisten das verfassungsmäßige Versammlungsrecht der Rechtsradikalen schützen, welche Genugtuung muss es da sein, eine Nazi-Demo einfach so auflösen zu dürfen. Auch wenn es nur eine kleine war. Vielleicht sogar, wie der Spiegel schrieb, die kleinste Nazi-Demo aller Zeiten.

Report Rassismus: Brennendes Flüchtlingsheim in Münster

In Münster (NRW) brannte in der Nacht auf den Samstag ein Gebäude, das künftig als Flüchtlingsheim dienen sollte. Das Feuer verursachte einen Schaden im sechsstelligen Bereich, es wurde niemand verletzt. Anwohner hatten den Brand in der Nacht entdeckt und die Feuerwehr alarmiert. Die Brandermittler vermuten Brandstiftung. „Wir gehen zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass unbekannte Täter den Brand im Erdgeschoss der Unterkunft vorsätzlich gelegt haben“, erklärte der zuständige Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt. Derzeit werde geprüft, ob die Tat mit einem ähnlichen Vorfall in Zusammenhang stehe, der sich am Freitag in unmittelbarer Nähe ereignet hatte.

Es steht jedoch zu befürchten, dass dieser Vorfall sich einreihen wird in die vielen ungeklärten Angriffe auf Flüchtlingsheime, die in den vergangenen Monaten durch Rechtsradikale begangen wurden. Immerhin wurde niemand verletzt, da das Gebäude noch nicht bezugsfertig war. Warum wird eigentlich bei derlei Vorfällen die das Wort Terrorismus benutzt? Ist das mittlerweile islamistischen Radikalen vorbehalten? Sind nicht die Unterschiede zwischen nationalfaschistisch und radikalreligiös motivierten Verbrechen nur marginal? Sind nicht islamistische Terroristen und Nationalfaschisten gleichermaßen Rechtsradikale? Sind nicht auch deutsche Rechtsradikale Terroristen?

Weißweinkolumne: Arnsdorf und die Grenzen der Zivilcourage

Als Grünfaschisten und „extrem linke Gutmenschen“, als Vertreter der staatlich gelenkten Lügenpresse gar, wurden wir in den vergangenen 24 Stunden mehrfach betitelt. Sogar Prügel wurden mir von Vertretern der besonders heimatverbundenen Front angedroht. Grund für die zahlreichen Angriffe war ein Artikel über den Fall Arnsdorf, in dem (zutreffenderweise) die heutige „Bürgerwehr-Bewegung“ in ihrer Medien- und Propagandastrategie mit der nationalsozialistischen SA in ihren Anfangsjahren verglichen wurde. Gleichzeitig wurde die Frage aufgeworfen, ob es sich beim Arnsdorf-Video nicht auch um einen Teil dieser Strategie handelt. Eine Auffassung, die wir weiterhin vertreten, deckt sie sich doch mit den Aussagen mehrerer Zeugen.

Kritisiert und beleidigt zu werden ist heute der Preis, den man zahlt, wenn man sich an sich an die Öffentlichkeit wendet. Teilweise fällt es uns jedoch schwer jene ernstzunehmen, die uns beleidigen und bedrohen. Da können Sigmar Gabriel und Co. noch hundert mal vor sich hin beten, dass wir uns in die Ängste der ach so besorgten Bürger einfühlen sollen, wir werden kein Verständnis für Hass und Gewaltdrohungen zeigen! Denn das Hauptproblem mit den sogenannten „besorgten Bürgern“ ist und bleibt, dass ihre unter Umständen gerechtfertigten Bedenken häufig in den Hintergrund treten und in auswendig gelernten Hasstiraden aufgehen.

Immer mehr Bürgerwehren gründen sich - Mitgliederwerbung durch absurde Gerüchte.
Immer mehr Bürgerwehren gründen sich – Mitgliederwerbung geschieht durch absurde Gerüchte.

So schlug ein älterer Herr im Unterhemd in einem filmischen Kommentar vor, wenn man als geistig verwirrter Mensch nicht verprügelt werden wolle, solle man doch eine Plakette um den Hals tragen mit der Aufschrift „geistesgestörter Flüchtling“, gleichzeitig applaudierte er der Zivilcourage der „mutigen Männer der Arnsdorfer Bürgerwehr“. „Recht so!“, „Gleich noch eine hinterher!“, „Wird Zeit das sich jemand um dieses Pack kümmert!“, so und ähnlich lauten Kommentare unter dem Arnsdorf-Video. Und selbst moderatere Kräfte des rechten Spektrums sehen mehrheitlich die Aktion der selbsternannten Bürgerwehr als missverstandenen Akt der Zivilcourage an, für den die braven Männer nun verunglimpft würden. Man sieht was man sehen will in seinen Kameraden und verteidigt sie uneingeschränkt, während im linken Lager das exakte Gegenteil geschieht.

Dabei ist die Situation zumindest rechtlich sehr klar: Es musste davon ausgegangen werden, dass von dem Verwirrten Iraker eine Gefahr ausging, ihn festzusetzen und in Gewahrsam zu halten, bis die Polizei eintraf war also sinnvoll und gerechtfertigt, der gezeigte Gewaltausbruch der selbsternannten „Bürgerwehr“ jedoch nicht! Zum Vorfall selbst ist nicht mehr zu sagen.

Zur Rezeption in den sozialen Medien sei abschließend gesagt, dass einem vernunftbegabten Menschen nur schwer die Ironie entgehen kann, dass die jenigen Gesellschaftssubjekte, die mantrahaft den Lügenpresse-Vorwurf bei jeder Gelegenheit wiederholen, wenn ihnen etwas nicht passt, sich völlig unkritisch von der Propaganda der Rechtspopulisten einlullen lassen. Als Kant einst von selbst verschuldeter Unmündigkeit sprach, hätte er nicht ahnen können, welche Ausmaße dieselbe im sogenannten Informationszeitalter annehmen würde.

In diesem Sinne: Prost!

Report Rassismus: „Bürgerwehr“ heißt Deutschlands neue SA

Arnsdorf (Sachsen). „Es ist schon schade, dass man ’ne Bürgerwehr braucht, oder?“ Kommentiert eine anonyme Filmemacherin aus Arnsdorf im Landkreis Bautzen ihr pixeliges Machwerk, das einige junge Männer dabei zeigt, wie sie einen offenbar geistig Verwirrten aus dem Netto-Markt prügeln. Der Vorfall ereignete sich schon am 21. Mai, wurde nun aber einer breiteren Öffentlichkeit bekannt durch das Video der Unbekannten. Je nach Erzählung wird dem 21-jährigen Iraker, der in einer örtlichen Psychiatrie behandelt wird, entweder Betrug oder Diebstahl vorgeworfen. Dies schließt die zuständige Polizei derzeit allerdings aus.

Wahr ist dagegen, dass der geistig Verwirrte Mann sich an jenem Tag mehrfach aggressiv über eine gekaufte Prepaid-Karte beschwerte. Die Verständigung mit den Filialmitarbeitern des Netto-Marktes war ihm offenbar nicht möglich, zweimal wurde die Polizei gerufen, die den Asylbewerber zurück in die Klinik brachte. Beim dritten mal, der junge Mann war mittlerweile noch wütender, tauchten plötzlich einige Männer in schwarzen T-Shirts auf (laut Zeugenaussagen mit der Aufschrift „Bürgerwehr“, dies ist im Video höchstens zu erahnen). Diese packen den Iraker ziemlich grob an und befördern ihn unter Schlägen, Tritten und Beleidigungen nach draußen (dies wiederum ist im Video zu sehen). Sie fesselten ihn dann an einen Baum und riefen wiederum die Polizei, welche zunächst auf beiden Seiten kein Fehlverhalten feststellen konnte. Schließlich ist es gesetzlich erlaubt eine Person, die im Verdacht steht, eine Straftat begangen zu haben, festzuhalten bis zum Eintreffen der Polizei. Dabei habe das im späteren Video Gezeigte keine Rolle gespielt. Also habe man davon ausgehen müssen, dass das Handeln derjenigen, die den jungen Iraker festgehalten hatten, gerechtfertigt gewesen sei. Nun sehe die Geschichte schon etwas anders aus, nicht erlaubt ist nämlich der unnötig drastische Gebrauch von Gewalt, den das Video eindeutig belegt.

Die Klinik, in der der junge Iraker untergebracht ist.
Die Klinik, in der der junge Iraker untergebracht ist, unweit des Netto-Marktes.

Nun wird gegen die beteiligten Mitglieder der selbsternannten „Bürgerwehr“ ermittelt, unter anderem gegen den Arnsdorfer CDU-Gemeinderat Detlef Oelsner, der sich im Recht sieht. Es werde derzeit geprüft, ob die getroffenen Maßnahmen überzogen gewesen seien.

Klar ist jedenfalls, die vermeintlichen Straftaten des Irakers waren eine politische Lüge, die wohl nicht nur den „Einsatz“ der selbsternannten „Bürgerwehr“ rechtfertigen soll, sondern auch die Notwendigkeit derselben propagiert. Eine politische Lüge, wie es dieser Tage viele gibt. Sogenannte Bürgerwehren publizieren in ganz Deutschland, vornehmlich aber im Osten mit schöner Regelmäßigkeit Geschichten von raubenden, vergewaltigenden oder brandschatzenden Asylbewerbern. Diese sind zumeist fiktiv oder aber maßlos übertrieben. Das Ziel ist klar: Einerseits sollen Mitglieder geworben werden, andererseits sollen die eigenen Machenschaften gerechtfertigt werden. Ein Vorgehen, wie es auch die nationalsozialistische SA in ihren ersten Jahren kannte, ohne allerdings das mächtige Propagandawerkzeug namens Internet zur Verfügung zu haben. 

Die Website hoaxmap.org sammelt nun seit Februar derlei Propaganda-Geschichten und zeigt setzt sie in geographischen Kontext. 385 zweifelsfrei widerlegte Lügen hat sie bereits zusammengetragen und veröffentlicht. Experten aus Polizei und Medien sind sich einig, dass diese Gerüchte und Lügen von den Bürgerwehren entweder bewusst für ihre Zwecke genutzt und verstärkt oder eigens gestreut werden. Oliver Malchow von der Polizeigewerkschaft meint dazu beispielsweise: „Gerüchte und Fantasien spielen bei der Mobilisierung von Bürgerwehren eine Rolle.“ So werde eine gefühlte Bedrohung aufgebaut, die sowohl zur gehäuften Beantragung von Waffenscheinen als auch zur vermehrten Gründung von Bürgerwehren geführt habe. Für den Rechtsstaat sei dies fatal. Nicht ganz unironisch ist an dieser Stelle zu bemerken, dass es mitunter jene Gesellschaftssubjekte sind, die auf PEGIDA-Demonstrationen am lautesten „Lügenpresse“ brüllen, welche dann die absurdesten Gerüchte über Asylbewerber in die Welt setzen. Ob die Beteiligten diese Ironie erkennen und sich über unsereins kaputt lachen?

Immer mehr Bürgerwehren gründen sich - Mitgliederwerbung durch absurde Gerüchte.
Absurde Gerüchte sind Mitgliederwerbung für „Bürgerwehren“.

Während eine kleine Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung ergab, dass sich 2015 bereits in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Sachsen-Anhalt mindestens sieben sogenannte Bürgerwehren gegründet hatten, ist allerdings den Bürgern von Arnsdorf keine solche Organisation bekannt. Die beteiligten Männer stammten nach Aussagen mehrerer Zeugen von PEGIDA, AfD und Co. Teilweise kämen sie gar nicht aus Arnsdorf, sondern aus umliegenden Dörfern. Bekannt ist allerdings, dass der ansässige AfD-Gemeinderat Arvid Samtleben eine solche Selbstjustiz-Einheit gründen möchte, wogegen sich allerdings durchaus Widerstand in der 4700-Seelen-Gemeinde regt.

So zum Beispiel von den Schneidemantel-Zwillingen, ihrerseits unabhängige Mitglieder des Arnsdorfer Gemeinderates. Sie haben es sich offenbar nach Bekanntwerden des Videos zur Aufgabe gemacht die Ehre ihrer Gemeinde wiederherzustellen (und ein kleines bisschen Rampenlicht abzubekommen). Sie halten jedenfalls die ganze Aktion für ein abgekartetes Spiel: Nicht nur zufällig sei jemand anwesend gewesen, der den Vorfall gefilmt habe, nicht zufällig sei die sogenannte Bürgerwehr zu diesem Zeitpunkt im Netto-Markt aufgetaucht. Sie könnten Recht behalten.

Von links Sven und Kay Scheidemantel, im Hintergrund Arvid Samtleben.
Von links Sven und Kay Scheidemantel, im Hintergrund AfD-Politiker Arvid Samtleben.

Nicht zuletzt der unverhältnismäßig ruhige Ton, in dem die Filmemacherin ihr Werk kommentiert, weist auf ein Mindestmaß an Vorbereitung hin. Auch dass der Bürgerwehr-Befürworter Samtleben behauptet, die Filmemacherin zu kennen und dass seine Frau (ein ehemaliges Mitglied der rechtsradikalen Organisation „die Freiheit“ zur entsprechenden Zeit in der Netto-Filiale anwesend war, legt den Verdacht nahe, es könnte sich um ein weiteres Pro-Bürgerwehr Propaganda-Filmchen handeln. Aber was weiß ich schon. Jedenfalls bin ich ziemlich sicher, dass wir in Deutschland keine neue SA brauchen, egal wie gern der AfD-Gemeinderat in Arnsbach eine Leibstandarte Samtleben sähe.

Die Filialmitarbeiter des Netto.Marktes sagten übrigens alle überzeugend aus, sie hätten nur die Polizei, nicht aber die „Bürgerwehr“ zur Hilfe gerufen.

„Wir nehmen den Vorfall sehr ernst und prüfen diesen aktuell. Nach erster Rücksprache mit unseren Filialmitarbeitern wurden die Personen mit den schwarzen T-Shirts und den Aufdruck „Bürgerwehr“ von keinem Netto-Mitarbeiter gerufen. Aktuell werden die Ereignisse noch vor Ort geprüft. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir unsere Kunden unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht oder Alter gleich behandeln. Sollte es zu einem Diebstahl kommen, rufen unsere Kollegen grundsätzlich die Polizei. Das gezeigte Vorgehen im Video widerspricht unseren Unternehmensvorgaben und wird von Netto Marken-Discount in keiner Weise gebilligt.“ – Offizielle Einlassung von Netto Marken-Dicount

Report Rassismus: Gauland will keinen „gemischtrassigen“ Nachbarn

Anmerkung zum vorliegenden Report: Es gibt Hinweise, dass die Kollegen von der FAS in diesem Falle unsauber gearbeitet haben, ob das betreffende Zitat so gefallen ist, ist als absolut unklar zu bewerten! Die Geschichte zeigt dennoch emblematisch die Rolle der AfD-Spitze im rassistischen Teil Deutschlands auf. Zumal durch Provokationen der Herren Gauland und Höcke ja durchaus ein großer Teil der Deutschen regelmäßig beleidigt und herab gewürdigt wird.

„Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“

Mit diesen Worten wird Alexander Gauland von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) zitiert. Der in Berlin geborene Nationalspieler Jerome Boateng ist der Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters. Sowohl beim DFB als auch in Medien und Politik stieß die rassistische Stimmungsmache des stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Gauland auf geschlossene Ablehnung.

Die AfD bemüht sich derweil um Schadensbegrenzung, so wird behauptet, Gauland könne sich nicht an die Aussage erinnern. Er selbst leugnet die Aussage, er habe vielmehr die Einstellung einiger Menschen beschrieben. Über den Nationalspieler habe er sich nicht geäußert. Vorsichtshalber entschuldige man sich trotzdem.

„Ich habe nie, wie die FAS insinuiert, Herrn Boateng beleidigt. Ich kenne ihn nicht und käme daher auch nicht auf die Idee, ihn als Persönlichkeit abzuwerten.“ – Alexander Gauland über das FAS-Interview

Gauland, der dem populistischsten Flügel der AfD angehört, hatte sich in der Vergangenheit auch für eine enge Verbindung der Partei mit der fremden- und islamfeindlichen PEGIDA-Bewegung ausgesprochen. Sein Parteikollege Björn Höcke habe habe mit seinen Auftritten bei PEGIDA viele Menschen an die AfD gebunden. Auch am Parteiprogramm, das ausdrücklich den Islam als fremd in Deutschland bezeichnet, dürfte Gauland beteiligt gewesen sein. Xenophobie ist also kein Fremdwort für den Politiker.

Einmal mehr zeigt dieser Vorfall den systemischen Rassismus der AfD, der sich von der Parteibasis, die sich zumindest in Ostdeutschland oft in Personalunion mit der PEGIDA-Bewegung befindet, bis in die obere Parteiführung zieht. Das Schlimmste daran ist eigentlich, dass es der rechtspopulistischen Partei durch derlei provokante Aussagen gelingt langfristig in den Medien präsent zu sein, was durchaus gewollt sein könnte. Öffentlichkeit mit allen Mitteln, Provokation als Mittel zum Zweck.