Geiselnahme in Viernheim gibt weiter Rätsel auf: Ignorierten Behörden offensichtliche Warnzeichen?

Mannheim. Der Fall des getöteten 19-Jährigen, der vergangene Woche im Viernheimer Kinocenter „Kinopolis“ 18 Personen als Geiseln genommen hatte, gibt weiterhin Rätsel auf, insbesondere die Ausstellung eines sogenannten kleinen Waffenscheins durch die Stadt Mannheim wird derzeit von Ermittlungsbeamten hinterfragt.

Nach Angaben der Ermittlungsbehörden hatte der 19-Jährige Nachmittag des 23. Juni gegen 14:45 maskiert und bewaffnet vier Angestellte des Kinocenters im Viernheimer „Rhein-Neckar-Zentrum“ und 14 Besucher als Geiseln genommen und bedroht. Darunter waren offenbar auch Kinder. Da die Polizei von einer Bedrohungslage ausgegangen war, stürmte sie schließlich den Kinokomplex mit einer Spezialeinheit, wobei der Geiselnehmer getötet wurde. Bewaffnet war der junge Mann mit einer Schreckschusspistole, einem Schreckschussgewehr und einer Granatenatrappe. Verletzte oder gar Tote gab es ansonsten keine.

Viernheim-Polizei bei Geiselnahme
Der Geiselnehmer verschanzte sich in dem weitläufigen Kinokomplex und wurde schließlich von einem Sonderkommando getötet.

Der Täter war der Polizei bekannt.

Klar ist mittlerweile, dass es sich bei dem Geiselnehmer um Sabino M., den 19-Jährigen Sohn einer Deutschen und eines Italieners aus Mannheim-Sandhofen handelte. Dieser war zuvor bereits polizeilich bekannt geworden, als im April ein Streit mit seinem Vater eskalierte: Offenbar war dieser im Zorn, weil sein Sohn ihn aus dem Haus werfen wollte, auf den Heranwachsenden losgegangen, wobei dieser mit Pfefferspray gekontert hatte. Ein Nachbar hatte die Polizei verständigt. „Beide wurden wegen Körperverletzung angezeigt“, so Norbert Schätzle, Mannheimer Polizeisprecher. Zu heftigem Streit zwischen M. und seinem Vater sei es regelmäßig gekommen, sagen Nachbarn.

Der Täter durfte seine Schreckschusswaffen legal tragen.

Als der 19-Jährige wenige Tage später auf Vorladung bei der Polizei vorsprach, registrierten die Beamten, dass er eine verdeckte Schreckschusspistole bei sich trug. Schreckschusswaffen darf in Deutschland jeder über Volljährige legal und ohne Einschränkung erwerben und besitzen, dass öffentliche Tragen einer solchen Waffe bedarf jedoch einer gesonderten Erlaubnis, eines sogenannten kleinen Waffenscheins. Einen solchen konnte Sabino M. damals den Polizisten vorweisen, ausgestellt von der Stadt Mannheim.

Das Gesetz sieht jedoch weiterhin vor, dass der Inhaber eines solchen kleinen Waffenscheins eine entsprechende körperliche und geistige Eignung nachweisen muss. Die Polizeibeamten bezweifelten jedoch, dass M. eine angemessene geistige Reife besaß. Er habe sich eher wie ein 12- oder 13-Jähriger verhalten, so Norbert Schätzle. Deshalb wurde von Amts wegen Meldung an die zuständige Stelle in der Stadtverwaltung gemacht. Zu einem Entzug des Waffenscheins kam es dennoch bis zuletzt nicht.

Der Täter stand unter Vormundschaft und war offenbar geistig zurück geblieben.

Das Bild welches die Mannheimer Polizeibeamten von Sabino M. zeichnen, deckt sich mit den Erzählungen von zahlreichen Nachbarn, die ihn als „seelisch zerrissen und eigentlich nicht fähig, selbstständig zu leben“ beschreiben. Haus und Garten, die der junge Mann von seinem Großvater geerbt hatte, habe er verkommen lassen, gelebt wie ein Messie und nirgends richtig Anschluss gefunden. Offenbar stand er auch unter einer Vormundschaft, die von der Stadt Mannheim organisiert wurde. Was umso stärker die Frage aufwirft, weshalb es Sabino M. legal erlaubt war, Schreckschusswaffen zu tragen.

Wurden hier eventuell von der Stadtverwaltung Fehler gemacht? Hätte nicht spätestens nach der polizeilichen Meldung im April die Stadt Mannheim aktiv werden müssen, insbesondere weil es sich bei Sabino M. um eine Person in städtischer Betreuung handelte? Wurden vielleicht in diesem Fall Warnzeichen übersehen? Hätten gar die Geiselnahme in Viernheim und der Tod des 19-Jährigen verhindert werden können?

Das Haus, welches er von seinem Großvater geerbt hatte, habe M. verkaufen wollen, so die Einlassung eines Nachbarn. Zuletzt hätten einige Bekannte des Heranwachsenden aus der Punkerszene mit ihm dort gewohnt, heißt es. Diese hätten den naiven M. aber wohl nur ausgenutzt. Merkwürdig mutet der Bericht einer Nachbarin an, nach dem der 19-Jährige noch am Morgen der Geiselnahme mit einem Bekannten und dessen Eltern das Haus ausräumte. Kriminalpsychologen hatten vergangene Woche den Verdacht geäußert, dr Geiselnehmer von Viernheim sei suizidal gewesen, habe einen „Police-assisted-Suicide“ begehen wollen. Die neuen  Erkenntnisse scheinen diese These bisher zu stützen.

Nach derzeitigen Informationen sieht es ganz danach aus, als hätte es von Seiten der Stadt Mannheim ein gewisses Fehlverhalten gegeben, wobei der Grund hierfür bisher ungeklärt ist. So wollte sich eine Sprecherin der Stadt auf Anfrage auch nicht zur Reaktion auf die polizeiliche Meldung äußern. Es scheint aber, als sei weiter nichts passiert, dabei waren eindeutige Warnzeichen zu erkennen. 

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