Es ist erschreckend, aber es gibt Anzeichen dafür, dass ein bestimmter Teil der Deutschen beinahe enttäuscht darüber ist, dass der 18-jährige Todesschütze von München Ermittlern zufolge ein „Amokläufer“ ohne islamistischen oder sonstigen extremistischen Hintergrund war. Hatte es doch zuerst geheißen, er hätte „Allahu Akbar“ geschrien, und kurz darauf hieß es, er hätte um sich schießend Naziparolen gebrüllt. Da waren die rechten Gazetten ganz fix, ihn als Islamisten zu betiteln, während die linken Schmierblätter (oder Websites) ihn zügig medial als Nazi-Verbrecher brandmarkten, ehe sich die Nachrichtenlage ändern konnte.

Dieser Stil der politisierten Katastrophenberichterstattung nimmt leider immer mehr zu, da hilft auch die zunehmende Geschwindigkeit der Datenflüsse nichts, die eher zu mehr Desinformation als zu mehr Information zu führen scheinen. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang auch die Tweets rechter Politiker, die offenbar – was später peinlich wurde – noch bevor irgendwelche Einzelheiten bekannt waren, die Schuld an der Katastrophe der Merkelschen Flüchtlingspolitik aufhalsen wollten. So sehr hatte man sich in den politischen Lagern schon an die Politisierung von Verbrechen gewohnt, dass auch beiden Seiten wohl niemand die schockierende Nachricht erwartete:
„Wir gehen hier davon aus, dass es sich um einen klassischen Amoktäter ohne jegliche politische Motivation handelt“, sagte am Samstag der Sprecher der Staatsanwaltschaft in München, Thomas Steinkraus-Koch. Eine Ohrfeige für Medien, „Terrorexperten“ und Politiker gleichermaßen! In der Wohnung des Schülers wurde der Polizei zufolge umfassendesMaterial über Amokläufe, darunter das Buch „Amok im Kopf: Warum Schüler töten“ gefunden. Des Weiteren befand er sich offenbar in in psychiatrischer Behandlung. Einmal mehr muss ich jedoch intervenieren und fragen, ob der sogenannte Amoklauf tatsächlich das war, als was er nun etikettiert wurde: Als Affekthandlung eines psychisch Kranken. Glaubt man daran, dass der sogenannte Werther-Effekt, der in der Sozialpsychologie die Annahme bezeichnet, dass zwischen Suiziden, über die in den Medien ausführlich berichtet wurde, und einer Erhöhung der Suizidrate ein kausaler Zusammenhang besteht, auch für derartige Gewaltereignisse gilt – und es gibt Studien aus den USA, die das nahelegen, so könnte dies einer der wenigen Fälle sein, in denen das Wort „Amoklauf“ im korrekten Zusammenhang verwendet wird.
Der deutsch-iranische Täter hatte am Freitagabend am Olympia-Einkaufszentrum mit einer Pistole neun Menschen und schließlich sich selbst mit einem Kopfschuss getötet. Die Tatwaffe besaß er offenbar illegal. Bei dem Massaker wurden nach Polizeiangaben außerdem 27 Menschen verletzt, zehn davon schwer, wobei offenbar einige Verletzungen durch die Panik in dem Einkaufszentrum verursacht wurden. Schließlich nahm sich der Täter selbst das Leben.

Die Behörden gehen derzeit Hinweisen nach, wonach über einen gehackten Facebook-Account in einer McDonalds-Filiale vor dem Einkaufszentrum eingeladen wurde, wo der Täter seinen Amoklauf begann. Die Botschaft versprach gesponserte Getränke und Speisen, „solange es nicht zu teuer wird“. Dass der Täter dahinter steckte, halten die Ermittler für sehr wahrscheinlich. Es sei außerdem auffällig, dass sich die Tat genau am fünften Jahrestag des Massenmordes von Anders Breivik in Norwegen ereignet habe.
Der Münchner Polizei war der 18-jährige Täter bisher lediglich als Opfer einer Schlägerei unter Jugendlichen sowie eines Diebstahl aufgefallen. Auch Nachbarn schilderten den jungen Mann, der in München geboren wurde und aufwuchs, als freundlich oder unauffällig. Er lebte mit seinen Eltern sowie einem jüngeren Bruder in einem Mehrfamilienhaus im Stadtteil Maxvorstadt.
Bei seinen Opfern handelt es sich vor allem um Jugendliche. Den Ermittlern zufolge waren acht von ihnen zwischen 14 und 20 Jahre alt. Nach Angaben des türkischen Außenministeriums sind drei der Opfer Türken. Auch seien drei Kosovaren unter den Toten, wie das Außenamt des Balkanstaates mitteilte. Die Polizei äußerte sich nicht zu Nationalitäten der Todesopfer. Sie hätten alle in München gelebt. Erkenntnisse über die Auswahl der Opfer gibt es bisher nicht, angeblich habe der Jugendliche immer wieder geschrien „Ich bin Deutscher!“ Die Behörden bestätigten dies allerdings bisher nicht.
Und wie nach jedem Anschlag dieser Art, nutzen rechte Politiker die Verunsicherung der Bürger aus, um weitergehende Überwachungsmaßnahmen zu beschließen, so kündigte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) bereits unmittelbar nach der Tat an, in der neuen Woche Vorschläge zur „Verbesserung der Sicherheitslage“ unterbreiten zu wollen. Die Behörden wollen auch prüfen, ob es Auswirkungen auf das Münchner Oktoberfest geben könnte – da fragt man sich, warum Seehofer nicht nach dem Zugunglück von Bad Aibling eine Sondersitzung einberufen und die Sicherheit von Bahnreisen angezweifelt hat, schließlich ist es, obgleich die Bahn eines der sichersten Verkehrsmittel ist, in Deutschland noch immer wahrscheinlicher bei einem Zugunglück zu sterben, als durch einen Amoklauf oder Terroranschlag. Die Angst aber kennt keine Stochastik, Angst ist irrational und da ist es auch nicht hilfreich, wenn sie nach derart schrecklichen Taten noch von Politik und Medien geschürt wird.
Man erinnere sich an dieser Stelle vielleicht kurz an die Norweger, zu denen wir vor fünf Jahren, nach den Massakern von Utøya und Oslo, bei denen der rechtsradikale Terrorist Anders Behring Breivik 77 Menschen, vor allem Jugendliche, ermordete, in Hochachtung aufblickten, weil sie in beispielloser Weise als Bevölkerung an der Rechtsstaatlichkeit ihres Landes festhielten und der nationalen Angst eine Absage erteilten. In Deutschland wäre das undenkbar.
Die Tat von München löste umgehend auch deswegen einen Großalarm aus, weil ein 17-Jähriger erst am Montag Fahrgäste in einem Regionalzug bei Würzburg mit einem Messer und einer Axt angriff, wobei mehrere Fahrgäste verletzt wurden. Die Ermittler gehen hier davon aus, dass der Täter mit der Extremistenmiliz Islamischer Staat sympathisierte, wenngleich es keinen direkten Kontakt zu der Terrororganisation gegeben habe. Der Täter von Würzburg wurde von der Polizei erschossen. Dass es einen konreten Zusammenhang zwischen den Taten gab, schließen die Ermittler aus, ob allerdings eine Form des „Werther-Effekts“ zum Tragen kam, wird sich wohl nie feststellen lassen!
Die deutschen Sicherheitsbehörden sind auch wegen der jüngsten Anschläge in Frankreich und Belgien schon länger in erhöhter Alarmbereitschaft.
Abschließend sei noch empört erwähnt, dass, da es sich offenbar um einen „Amoklauf“ und nicht um einen islamistischen Terrorakt handelte, einige Medien bereits wieder tief in der Kiste der Klischees kramen, indem sie die ausgelutschte „Killerspiel“-Frage wieder stellen: „Ob auch einschlägige „Ballerspiele“ auf seinem Computer waren, prüfen die Ermittler noch,“ schreibt beispielsweise die bayrische Boulevardzeitung „TZ“. Was auch immer „einschlägig“ in diesem Zusammenhang bedeuten soll. Ist „Call of Duty“ ein „einschlägiges“ Ballerspiel? Eher nicht, schließlich werden in dem Ego-Shooter in der Regel keine Jugendlichen in Einkaufszentren massenweise abgeknallt. Was also ist ein „einschlägiges Ballerspiel“?
3 Gedanken zu „Allgemeine Enttäuschung über das Fehlen eines extremistischen Motivs.“