Oberster US-General in Europa warnt vor „russischem Bitzkrieg“ – Die Rhetorik der Angst ist längst zurück.

Der Befehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa, Army-Generalleutnant Frederick „Ben“ Hodges, warnte in der „Zeit“, die NATO sei in ihrer derzeitigen Aufstellung nicht in der Lage ihre Bündnispartner in Osteuropa vor einem russischen Angriff zu schützen. „Russland könnte die baltischen Staaten schneller erobern, als wir dort wären, um sie zu verteidigen“, so Hodges. Das russische Militär könnte nach Einlassung von NATO-Militäranalysten in einer blitzkriegartigen Operation die baltischen Staaten innerhalb von maximal drei Tagen einnehmen. Laut General Hodges nicht genug Zeit für die Eingreiftruppen des transatlantischen Bündnisses, um rechtzeitig vor Ort zu sein. In den Manövern im Rahmen der Großübung Anaconda 16 habe sich zudem gezeigt, dass insbesondere „schweres Gerät“ nicht schnell genug von West- nach Osteuropa verlegt werden könne.

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General Ben Hodges spricht von der unmittelbar drohenden Gefahr eines russischen Einmarsches im Baltikum. Die NATO sei dafüt nicht gerüstet.

Ben Hodges kritisierte aber nicht nur die logistische Organisation der NATO, sondern bemerkte auch, er glaube ausspioniert zu werden. Das gesamte Kommunikationsnetz der NATO mache ihm „große Sorgen“, so der General. „Weder Funk noch E-Mail sind sicher. Ich gehe davon aus, dass alles, was ich von meinem Blackberry aus schreibe, mitgelesen wird.“

NATO-Formation
Fahnenappell im Rahmen der Großübung Anaconda 16: Mehr NATO-Präsenz im Ostblock und eine schnellere militärische Logistik fordert nun US-General Ben Hodges.

Nicht nur zufällig weckt die Äußerung des Generals, die nur die jüngste in einer ganzen Reihe von aufrüstungsfreundlichen Einlassungen durch NATO-Vertreter und EU-Politiker ist, erneut alte Ängste aus den Tagen des kalten Krieges.

Wer sich nämlich mit den großen Kriegen des vergangenen Jahrhunderts beschäftigt hat, wird schnell ein bestimmtest Muster feststellen, dass diesen Kriegen voran ging. Unmittelbar vor den beiden Weltkriegen wurde von Regierenden einerseits immer wieder vor einer drohenden Gefahr von außerhalb gewarnt und andererseits regelmäßig die eigene Friedfertigkeit betont. Insbesondere war dieses Muster im deutschen Kaiserreich vor dem ersten Weltkrieg sowie bei den Achsenmächten vor dem zweiten Weltkrieg zu beobachten.

Im anhaltenden Konflikt zwischen Russland und dem westlichen Militärbündnis NATO lassen sich nun ähnliche rhetorische Strategien entdecken. Zwar wird durch führende, insbesondere deutsche Regierungspolitiker regelmäßig betont, wie wichtig eine gute Beziehung zu Russland gerade wirtschaftlich für die europäische Staatengemeinschaft ist, allerdings werden diese Bekenntnisse zur Friedfertigkeit und gegenseitigen Achtung häufig noch am selben Tag unterhöhlt durch Aussagen von NATO-Offiziellen, hochrangigen Offizieren oder sogar anderen Regierungsmitgliedern.

Merkel Bundeswehr
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich, kurz nachdem ihr Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, die NATO vorsichtig gerügt hatte, für höhere Militärausgaben aus.

Betrachtet man die Berichte der vergangenen Wochen, so bietet sich ein erschreckendes Bild: Nicht nur befinden sich NATO und Russland rhetorisch und wirtschaftlich längst im Krieg, die zunehmend ambivalenten Einlassungen beider Seiten ähneln auch in gewisser Weise an die strategische Öffentlichkeitsarbeit der europäischen Faschisten in Vorbereitung auf den zweiten Weltkrieg. Gerade in Deutschland lässt sich eine zunächst vorsichtig aufrüstungsfreundliche Öffentlichkeitsarbeit spätestens seit der Übernahme des Verteidigungsministeriums durch Ursula von der Leyen wieder erkennen. Ein Beweis dafür, dass es nicht unbedingt feministisch ist, eine Frau als Ministerin zu haben!

Verstreute Äußerungen Joachim Gaucks, Angela Merkels oder Sigmar Gabriels, Deutschland müsse auch militärisch wieder „mehr Verantwortung in der Welt“ übernehmen, sind keine Zufälle. Es scheint eine strategische Kampagne zu geben, Deutsche stärker an die Möglichkeit von Außeneinsätzen der Bundeswehr zu gewöhnen. Tatsächlich wird diese Beobachtung auch von Regierungsseite nicht geleugnet.

In den vergangenen Wochen wurde nun der Takt derartiger Äußerungen deutlich schneller, während sich gleichzeitig im Vorfeld des NATO Gipfels im Juli auch die Beteuerungen zum Frieden mehren. Zufall? Sicher nicht! Viel mehr ist davon auszugehen, dass bereits in groben Zügen gewisse Beschlüsse des NATO-Gipfels in Warschau bekannt sind, welche eine weitere Aufrüstung seiner Mitgliedsstaaten und eine Vergrößerung der Eingreifkontingente fordern werden. Kriegsvorbereitungen? Eher nicht.

Secretary of defense visits NATO
NATO-Hauptquartier in Brüssel: Ein offener Konflikt erscheint anhand der wirtschaftlichen Interessen unwahrscheinlich, jedoch profitieren Konzerne von der Kriegsangst.

Zu einem offenen Krieg soll es wohl nicht kommen, Fakt ist allerdings, dass der von Franklin D. Roosevelt beschriebene militärisch-industrielle Komplex gerade in den USA von der Angst vor einem Krieg und der damit einhergehenden Rüstungsproduktion selbstverständlich enorm profitiert. Gleichzeitig versucht man wohl durch die massiven Abschreckungskampagnen, Russland zur Kapitulation zu zwingen, noch bevor es zu Kampfhandlungen kommen kann. Schließlich sagte schon der chinesische Gelehrte Sun Tsu, die höchste Kriegskunst sei es, den Widerstand des Feindes zu brechen, ohne überhaupt in die Schlacht zu ziehen. Das versuchen die westlichen Mächte nun gegenüber Russland schon seit der Annexion der Krim durch das russische Militär insbesondere durch die umstrittenen Wirtschaftssanktionen, die offenkundig fehlgeschlagen sind. Allein das russische Volk leidet unter diesen Sanktionen, trotz aller Lippenbekenntnisse scheint jedoch eine Lockerung nicht in Sicht. Kürzlich gab nun eine Quelle aus dem Außenministerium an, insbesondere Washington dränge auf ein Beibehalten der Sanktionen.

Eine wichtige Rolle in diesem Konflikt wird mittelfristig auch jene Weltmacht spielen, von der bisher nur selten in diesem Nexus die Rede ist: China. Geht man davon aus, dass der ganze Konflikt in erster Linie auf eine Festigung und Ausweitung des wirtschaftlichen Einflusses der beteiligten Mächte zielt, so wird auch die hyperkapitalistische Volksrepublik Thema werden. Russische, europäische und amerikanische Wirtschaftsinteressen stehen in zunehmendem Kontrast mit der neo-imperialistischen Wirtschaftspolitik der Volksrepublik. Russland in die Knie zu zwingen könnte auch zum Ziel haben, einen größeren Hebel bei Verhandlungen mit China nutzen zu können.

In den vergangenen Wochen wurde auch der Konflikt zwischen den USA und ihrem NATO-Verbündeten Japan und der Volksrepublik China zunehmend durch militärische Provokationen ausgefochten. Streitpunkt ist insbesondere der Versuch Chinas seine Einflusssphäre im südchinesischen Meer durch die Aufschüttung und militärische Nutzung von künstlichen Inseln zu erweitern. Die chinesische Regierung will sich dadurch die alleinige Kontrolle über die wichtigen Handelsrouten im südchinesischen Meer sichern.

China-künstliche Insel im Bau
In der südchinesischen See lässt die chinesische Regierung künstliche Inseln aufschütten, um die Handelsrouten zu kontrollieren. Diese werden auch militärisch genutzt und können als Flugplätze dienen.

Derweil ist der Widerstand gegen die Abschreckungs- und Provokationspolitik der NATO sowie gegen die EU-Sanktionen zuungunsten der russischen Bevölkerung insbesondere bei Linken in Deutschland weiterhin ungebrochen. So sagte der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Dr. Gregor Gysi am Mittwoch: „Wir haben in Europa nur eine sichere Zukunft mit, nicht ohne und schon gar nicht gegen Russland.“ Zustimmung erhält er unter anderem von seinem Amtsnachfolger Dietmar Bartsch, der sogar das konservative Idol schlechthin, den Reichskanzler Otto von Bismarck bemühte, um seinen Argumenten gegen die weiter verlängerten Sanktionen Gewicht zu verleihen: Schon dieser habe schließlich gesagt, dass gute Beziehungen zwischen Deutschland und Russland eine gute Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung seien, so Bartsch.


Kurzzusammenfassung des Redakteurs:

  • Der Befehlshaber der in Europa stationierten US-Truppen, General Ben Hodges, geht davon aus, dass die NATO nicht auf einen russischen Angriff vorbereitet ist.
  • Die Rhetorik von Politikern und NATO-Offiziellen ähnelt erschreckend der kriegsvorbereitenden Propaganda im Vorfeld der Weltkriege.
  • Von einem offenen Konflikt ist trotzdem nicht auszugehen, da dies für alle Beteiligten wirtschaftlich schädlich wäre.
  • Der militärisch-industrielle Komplex verdient insbesondere in den USA, aber auch in Europa an Kriegsangst und Aufrüstung.
  • Es ist nicht undenkbar, dass Russland gebrochen werden soll, um eine stärkere Position gegenüber der chinesischen Turbo-Wirtschaft zu haben.
  • Der Widerstand gegen die Kriegsrhetorik der NATO und die antirussischen Sanktionen ist ungebrochen, insbesondere im politisch linken Lager.

3 Gedanken zu „Oberster US-General in Europa warnt vor „russischem Bitzkrieg“ – Die Rhetorik der Angst ist längst zurück.

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