Die Verfassungsbeschwerde „Nein zu Ceta“ eines Aktionsbündnisses von Kritikern des EU-Freihandelsabkommens mit Kanada hat mittlerweile über 100.000 Unterzeichner gefunden.
Das Bündnis der Organisationen „Campact“, „Foodwatch“ und „Mehr Demokratie“ bezeichnete ihr Vorhaben am Mittwoch als größte Bürgerklage in der Geschichte der Bundesrepublik. Die meisten Unterstützter schickten der Initiative demnach eine schriftliche Vollmacht per Post. Sobald im EU-Handelsministerrat die Entscheidung ansteht, das Abkommen ganz oder teilweise vorläufig in Kraft zu setzen, will das Bündnis beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung beantragen. Damit soll dem deutschen Vertreter im EU-Rat, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (oder dessen Vertreter), untersagt werden, dort für die vorläufige Anwendung des Abkommens zu stimmen.
Die Verfassungsbeschwerde war Ende Mai gestartet worden, weil die dahinter stehenden Organisationen eine Aushöhlung demokratischer Bürgerrechte durch Ceta befürchten. Ausdrücklich distanziert sich zumindest „Foodwatch“ von der Behauptung, dem Freihandel generell feindlich gegenüber zu stehen. Abkommen dieser Art widersprechen aber nach Einschätzung des Kölner Völkerrechtlers Bernhard Kempen, der das Bündnis als Prozessbevollmächtigter vertritt, dem Grundgesetz. Die EU-Handelsminister werden sich voraussichtlich nach der Sommerpause mit der Frage befassen, ob das Abkommen vorläufig und damit noch vor der Abstimmung dazu in den nationalen Parlamenten in Kraft treten kann.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wirbt weiterhin für das Handelsabkommen. Dem noch nicht vollständig ausgehandelten Parallelabkommen TTIP zwischen der EU und den USA steht er aber – neuerdings – mit großer Skepsis gegenüber, obwohl in Ceta meist eine Art Blaupause für TTIP gesehen wird. Der öffentliche Widerstand gegen TTIP jedoch ist deutlich lauter als gegen das Abkommen mit Kanada – inwieweit hier ein latenter Antiamerikanismus extremen Kräften in Deutschland eine Rolle spielt ist allerdings unklar.
Kritiker an den beiden großen Freihandelsabkommen finden sich im gesamten politischen Spektrum. Skepsis erregen dabei vor allem die Einführung einer unabhängigen – nicht rechtsstaatlich gebundenen – privat-öffentlichen Schiedsgerichtsbarkeit, sodass ausländische Konzerne künftig Staaten verklagen könnten, sofern diese ihre Regulationsgesetzgebung zuungunsten der Wirtschaft ändern. Damit würde aus dem Recht auf Eigentum plötzlich ein Recht auf Gewinn, das es so in Europa bisher nicht gibt, denn ausländische Unternehmen könnten auf diesem Wege prinzipiell auch „entgangene Einkünfte“ einklagen. Diese Vorgehensweise wurde von großen Konzernen in der Vergangenheit bereits – teilweise erfolgreich – durchgeführt, so verklagte ein Bergbaukonzern auf Basis eines Freihandelsabkommens den Staat Rumänien, weil es die dortigen Umweltschutzgesetze verboten, einen Berg abzutragen, und Tabakkonzerne klagen immer wieder vor privaten Schiedsgerichten gegen Anti-Raucher-Gesetze.
Liberale Kritik an den beiden Abkommen CETA und TTIP äußert sich vor allem in der Annahme, diese würden mit ihren Regelungen kleine und mittelständische Unternehmen benachteiligen, weil diese zusätzliche Markteinstiegsrestriktionen darstellten. Auch die privat-öffentlichen Schiedsgerichtsprozesse werden von liberaler Seite häufig als Wettbewerbsrestriktionen betrachtet, weil solche Verfahren einerseits zunächst mit großen Kosten verbunden wären, die nur Großkonzerne aufbringen könnten, und andererseits ausländische Investoren bevorzugt gegenüber Inländischen behandelt würden, denn ein inländisches Unternehmen kann sich nach allgemeiner Rechtsauffassung nicht auf die Regelungen von Freihandelsabkommen berufen.