Kennen Sie das? Sie lesen eine Nachricht, aber so genau wissen Sie nicht, was Sie davon halten sollen. So ging es mir, als ich las, dass nun Transgender-Personen offen in die US-Streitkräfte eintreten dürfen. Zunächst dachte ich mir: Toll, ein weiterer Schritt in Richtung Gleichberechtigung! Aber dann kamen mir ein paar sehr komische Gedanken: Darf man sich darüber freuen, dass jetzt zusätzliche Menschen in die Kriege der USA geschickt werden können? Will man wirklich, dass noch mehr Menschen ihr Leben und ihre Gesundheit für sinnlose Kriege aufs Spiel setzen? Und kommt diese Gleichberechtigung nicht unglaublich spät?
Als nächstes fragte ich mich, wie eigentlich die Rechtslage in Deutschland dazu aussieht. Als schwuler Mann oder lesbische Frau ist eine Mitgliedschaft in den Streitkräften schon länger kein großes Problem, während der Ausbildungszeit an der Offiziersschule der Luftwaffe hatte ich zeitweise gar die Theorie, fast alle männlichen Luftwaffensoldaten seien schwul. Ein Problem jedenfalls hatte ich deshalb nie. Weder gab es mir gegenüber offene systemische, noch versteckte individuelle Diskriminierung. „Wir tragen alle die selbe Uniform, wir lassen keinen zurück!“, Sagte unser Hauptmann immer, wenn es bei einem Leistungsmarsch darum ging, einen körperlich schwachen die letzten paar Kilometer zu tragen, oder jemandes Gepäck zu übernehmen. Ich schätze so war es auch in Sachen Homosexualität: Wir trugen alle die selbe Uniform, hatten den selben Dienstgrad, waren Gleiche unter Gleichen.
Das Problem der indirekten Diskriminierung dürfte allerdings in stark männlich dominierten Truppengattungen deutlich stärker hervortreten. Insbesondere, wenn es nicht „nur“ um einen Schwulen, sondern beispielsweise um einen Transmann geht.
Bis vor nur 16 Jahren sah die Sache jedoch noch ganz anders aus: Zwar war seit 1984 Homosexualität an sich kein Ausmusterungsgrund mehr, allerdings konnten Offiziere bis ins Jahr 2000 noch von jeglichen Ausbildungs- und Führungsaufgaben entbunden werden, nur weil sie offen homosexuell waren. Im Jahr 2000 kommt klagt dann Oberleutnant Winfried Stecher vor dem Bundesverfassungsgericht, weil er wegen seiner offen gelebten Homosexualität von seinem Dienstposten als Ausbilder entfernt worden war. Zu einem Urteil kommt es nie, stattdessen einigt man sich in einem außergerichtlichen Vergleich: Der Offizier wird mit sofortiger Wirkung auf seinen ursprünglichen Dienstposten als Ausbilder und Zugführer einer Luftwaffeneinheit zurückversetzt. Kurz darauf folgt eine beinahe revolutionäre Order aus der zentralen personalbearbeitenden Stelle im Verteidigungsministerium: „Homosexualität stellt keinen Grund für Einschränkungen hinsichtlich Verwendung oder Status und somit auch kein gesondert zu prüfendes Eignungskriterium dar.“ Der Institution Bundeswehr ist es von da an offiziell egal, welche sexuelle Orientierung ein Soldat hat. Von sexueller Identität ist allerdings noch keine Rede.
Einen weiteren Durchbruch für Homosexuelle in der Bundeswehr gab es 2003. Der Wehrbeauftragte des deutschen Bundestages, Dr. Willfried Penner, vermerkte damals in seinem Bericht, dass es im Truppenalltag zu Berührungsängsten, Intoleranz und Unsicherheiten im Umgang mit homo- und bisexuellen Soldaten kam und appelliert: „Jeder Bundeswehrangehörige ist verpflichtet, Diskriminierungen auch im sexuellen Bereich zu unterlassen und ihnen entgegenzutreten.“ Für mich ist es dieser Satz, der die systemische Diskriminierung von Homosexuellen und Frauen in der Bundeswehr endgültig in die Vergangenheit rückte. Diskriminierung soll nicht nur unterlassen werden, sondern der Soldat hat ihr gezielt entgegen zu treten. Manchmal hat die Logik von Befehl und Gehorsam eben auch ihre Vorteile.

Seit 2006 steht rechtlich auch der Aufnahme von Transgender-Personen nichts mehr im Wege. In diesem Jahr wurde nämlich dem Allgemeinen Geleichbehandlungsgesetz (AGG) das Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz (SoldGG) hinzugefügt, dort wird endlich auch ganzheitlich von der sexuellen Identität gesprochen. „Benachteiligungen aus Gründen der sexuellen Identität“
sind demnach verboten.
Blickt man in die jüngste Geschichte zurück, so erkennt man, wie liberal die Gesellschaft eigentlich in den vergangenen zwei Jahrzehnten geworden ist. Noch bis 1994 gab es den unsäglichen Paragraphen 175 im Strafgesetzbuch, der bis zuletzt speziell Schwule diskriminierte, indem er (in seiner letzten, liberalisierten Fassung) schwulen Geschlechtsverkehr mit unter 18-Jährigen verbot. Die DDR hatte die Strafverfolgung von Schwulen übrigens schon sechs Jahre früher restlos aufgegeben.
Letztlich ist die Zulassung von Transgender-Personen im amerikanischen Militär wohl zumindest für die Gleichstellung der LGBT-Community in Amerika ein gutes Zeichen.
Allerdings haben dort Transgender-Personen in der Zivilgesellschaft noch ganz andere Probleme, so erhielt zuletzt das Thema der Nutzung öffentlicher Toiletten die Aufmerksamkeit internationaler Medien. Elf Bundesstaaten hatten Ende Mai die Bundesregierung in Washington verklagt, weil sie Schulen per Exekutivorder angewiesen hatte, Transgender-Menschen ihre WCs frei auswählen zu lassen. Die Anweisung aus Washington war wiederum vor dem dem Hintergrund eines Gesetzes im Bundesstaat North Carolina ergangen, welches Transgender-Personen die freie Toilettenwahl in staatlichen Einrichtungen explizit verbietet. Erreicht ist die Gleichstellung der LGBT-Community also noch lange nicht, weder in den USA noch in Deutschland, geschweige denn global.