Moskau (Russland). Das russische Militär plant offenbar eine Massive Aufstockung seiner Präsenz an der russischen Westgrenze. Auch eine Verlegung von nuklear aufrüstbaren Iskander-Kurzstreckenraketen in die westliche Exklave Kaliningrad sei denkbar, heißt es aus dem russischen Verteidigungsministerium.
Die Aufrüstung der Westgrenze sei eine „notwendige Reaktion“ auf „anti-russische Aktivitäten“ der NATO in Osteuropa, so Kremlchef Wladimir Putin am Donnerstag in Moskau. „Die Allianz unternimmt konfrontative Schritte gegen uns!“, fuhr er fort und versicherte gleichzeitig: „Wir werden aber nicht in einen militaristischen Rausch verfallen.“ In ein aufwändiges Wettrüsten wolle man sich nicht drängen lassen, so der russische Präsident. Das stimmt wahrscheinlich sogar, denn bei einer derartig schnell schrumpfenden Wirtschaft wie der russischen (das russische Bruttoinlandsprodukt hat sich seit 2013 halbiert), dürfte der Staatspräsident innenpolitisch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen haben. Eine zu grobe Reaktion auf die militärischen Aktivitäten der NATO wird sich Putin daher wohl nicht erlauben, auch er weiß, dass Russland mittelfristig wieder engere Wirtschaftsbeziehungen insbesondere zu Europa braucht, wenn es nicht vollständig von der chinesischen Volksrepublik abhängig sein will.
Der russische Militäretat lag 2015 mit 66.4 Mrd. US-Dollar zwar nur etwa bei 11% des US-amerikanischen Verteidigungshaushalt (596 Mrd. US-Dollar), dennoch machten die Verteidigungsausgaben in Russland anteilig zur Wirtschaftsleistung mit 5,4 Prozent deutlich mehr aus (USA: 3,2 Prozent).
Außerdem sollen rund 10.000 Soldaten und 2000 Militärfahrzeuge an die russische Westgrenze verlegt werden, so Verteidigungsminister Sergej Schoigu. „Die Handlungen der westlichen Kollegen zwingen uns zu einer strategischen Antwort“ Die Lage in Osteuropa bliebe aufgrund der NATO-Provokationen instabil, so der Minister. Jüngste Provokationen des russischen Militärs, wie das illegale Eindringen von Kampfflugzeugen in fremden Luftraum, vergisst er dabei wohl bewusst zu erwähnen.

Mit den „Provokationen der NATO“ meint der russische Verteidigungsminister wohl die jüngsten Großmanöver der NATO und ihrer osteuropäischen Partner in Polen und im Baltikum, welche international in die Kritik geraten waren. So warnte der deutsche Außenminister Frank-Walter-Steinmeier, „Kriegsgeheul und Säbelrasseln“ gefährdeten den Frieden. Abgesehen von einer „Prüfung der Einsatzbereitschaft“ hatte es von russischer Seite bisher keine Reaktionen auf die Manöver im Juni gegeben. Als weitere Beispiele für die Bedrohung durch den Westen nannte Schoigu das Heranrücken der sogenannten NATO-„Speerspitze“ (offizielle Bezeichnung!) an die russische Grenze, sowie den im Mai eröffneten Teil des US-Raketenabwehrschirms in Rumänien, welcher nach Angaben der US-Regierung und der NATO jedoch auf Bedrohungssituationen aus dem nahen Osten abzielt.
Die geplante Stationierung der mobilen Iskander-Kurzstreckenraketen in der Enklave Kaliningrad könnte jedoch ebenso als „Säbelrasseln“ gedeutet werden. Seit Jahren droht die russische Regierung immer wieder mit der Stationierung von nuklear bestückbaren Raketen in der Ostseeregion rund um das ehemalige Königsberg. Die Enklave grenzt im Süden an Polen und im Osten an Litauen, beides NATO Staaten. Eine in Kaliningrad stationierte Boden-Boden-Rakete mit Tarnkappentechnologie und einer Reichweite von 400 Kilometern könnte problemlos die Hauptstädte beider Nachbarstaaten treffen, ohne rechtzeitig durch etwaige Abwehrmaßnahmen erfasst zu werden. Eine durchaus reale Bedrohung, sollte es soweit kommen, zumal diese Raketen problemlos mit Atomsprengköpfen ausgestattet werden können.
Ob Präsident Putin es nun wahrhaben will oder nicht, die Kaltkriegslogik der Aufrüstungsspirale hat längst wieder begonnen! Und aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Westen auch einen neuen kalten Krieg letztlich gewinnen, schon weil er mehr Mittel zur Verfügung hat.

Auch die NATO plant eine weitere Aufrüstung in Osteuropa, so findet seit Montag in der Ukraine unter Beteiligung von US-Truppen das zweiwöchige Manöver „Rapid Trident“ (Schneller Dreizack) nahe der polnischen Grenze statt, an dem insgesamt 1800 Soldaten aus 14 Staaten teilnehmen. Auf dem NATO-Gipfel in Warschau am 8./9. Juli soll des Weiteren die Entsendung von je einem Bataillon (Mannstärke: ca. 1000) zusätzlicher Soldaten in vier Nachbarländer Russlands beschlossen werden: Polen, Litauen, Estland und Lettland. Insbesondere Estland und Lettland hatten die gefordert. Von einer deutschen Beteiligung kann ausgegangen werden. Im scharfen Kontrast zur vorsichtigen NATO-Kritik des sozialdemokratischen Außenministers, forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zuletzt eine gravierende Aufstockung des Verteidigungshaushalts. Merkel sprach mit Bezug auf die Pflichten gegenüber der NATO gar von einer Verdopplung des Militäretats.
Ein Gedanke zu „Lage in Osteuropa verschärft sich: Russland reagiert auf NATO-Manöver mit Aufrüstung der Westgrenze“