München. In der Nacht vom 15. auf den 16. April wird eine 26-jährige Verkäuferin offenbar von fünf Heranwachsenden vergewaltigt und anschließend beraubt. Alle Beteiligten sind stark alkoholisiert, das mutmaßliche Opfer wird am kommenden Tag einen Filmriss haben, jedoch aufgrund ihres körperlichen Zustands Anzeige wegen Vergewaltigung und Raub erstatten.
Am Dienstag wurden nun im Großraum München sechs Junge Männer festgenommen, nach Angaben der Staatsanwaltschaft einer davon wegen Hehlerei, die anderen wegen des Angriffs auf die Münchnerin. Alle seien im Großraum München aufgewachsen, heißt es. Ansonsten hält sich die Ermittlungsbehörde mit Angaben zur Tat und den mutmaßlichen Tätern zurück, verweist gegenüber Medienvertretern auf das laufende Verfahren und betont, dass es sich bei den Tatverdächtigen um Heranwachsende handelt.
Wenn nun die großen deutschen Zeitungen dies berichten schwingt in den Worten „Die Ermittlungsbehörden halten sich mit Informationen äußerst zurück“, „Die Staatsanwaltschaft will keine Einzelheiten nennen“ oder „Über die Verdächtigen lassen die Ermittlungsbehörden fast nichts verlauten“ immer auch ein stiller, unterschwelliger Vorwurf mit, als sei es die Pflicht von Polizei und Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit in Form der Medien über jeden ermittlungstaktischen Schritt und jede neue Erkenntnis unverzüglich zu informieren. Das Gegenteil ist aber der Fall. Die Ermittlungsbehörden haben die Pflicht das begangene Verbrechen nach bestem Wissen und Gewissen aufzuklären, hierzu kann es hinderlich sein, wenn der Ermittlungsstand öffentlich bekannt ist. Die Medien haben dies zu akzeptieren, ohne unterschwellige Attacken in ihre Berichterstattung einzuweben. Weiterhin sollen Polizei und Staatsanwaltschaft die Würde des Opfers, aber auch die Würde der Tatverdächtigen im höchstmöglichen Maße schützen.
Die deutschen Tagblätter und Televisionsanstalten mögen das nicht gut heißen, haben sie doch in der Vergangenheit (zuletzt im Fall Orlando) gezeigt, dass die Würde von Opfern und Tätern für sie immer gegen Quoten-, bzw. Auflageüberlegungen aufgewogen werden, dennoch dürfen sie ein verfassungsmäßig obligatorisches Handeln von Ermittlungsbehörden auch implizit nicht in Zweifel ziehen. Unter Umständen könnte man soweit gehen zu sagen, dass das Zurückhalten von Informationen zu laufenden Ermittlungen eher die Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaft ist als die Information der Öffentlichkeit.
Außerdem faszinierend ist, wie oft der Ausdruck „darauf gibt es bisher keine Hinweise“, von Zeitungen und Fernsehredaktionen umgedeutet wird in den Ausdruck „es ist bisher unklar“, der doch eine ganz andere Aussage trifft. Beide Ausdrücke deuten auf unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten bei einer Ermittlungsannahme hin: Im ersten Fall wird die Annahme für eher nicht wahrscheinlich, jedoch nicht auszuschließen erklärt, während sie im zweiten Fall für eher wahrscheinlich, jedoch bisher nicht belegbar, erklärt wird. Ein kleiner, aber bedeutender Unterschied, der aus der Aussage eines Ermittlers, die prinzipiell nicht berichtenswert wäre, schnell eine Story macht, ohne tatsächlich von der Wahrheit abzuweichen. In aller Regel hat der Medienvertreter, der einen solchen Ausdruck verwendet auch keine Konsequenzen zu befürchten, schließlich hat er die Aussage des Ermittlers nur in andere Worte gefasst, was er prinzipiell darf.
Durch das nuancenweise Verändern von Einlassungen, ohne ihre eigentliche Aussage zu ändern lässt sich durch einen Artikel allerdings hervorragend eine bestimmte Stimmung erzeugen, Unklarheit erzeugt in höherem Maße ein Gefühl von Unsicherheit als der Ausdruck „darauf gibt es keine Hinweise“. Wenn also ein Journalist die Frage stellt, ob bei der Vergewaltigung der 26-jährigen Münchnerin K.O.-Tropfen im Spiel gewesen seien und er die Antwort „Darauf gibt es bisher keine Hinweise“, bekommt, so wird er sich entscheiden ein wörtliches Zitat zu verwenden, wenn er keinerlei Aussage treffen will. Glaubt er jedoch unbewusst, eine solche Tat sei allein mit Trunkenheit des Opfers nicht zu erklären, so wird er über die nuancierte Veränderung der Antwort auch seine eigene Auffassung einbringen, vielleicht ohne es bewusst zu bemerken.