In der Nacht von Freitag auf Samstag fand in der Türkei ein Umsturzversuch durch Teile des Militärs statt. Die Gruppe, deren genaue Motivation, Zusammensetzung und Hintergrund bislang unbekannt sind, gab zunächst an, die Kontrlle über die Türkei vollständig übernommen zu haben, um die Demokratie und den Rechtsstaat gegen das Erdogan-Regime zu verteidigen. Die Regierung konnte allerdings innerhalb weniger Stunden die Kontrolle wieder gewinnen, wobei Dutzende Menschen, Soldaten und Zivilisten gleichermaßen, das Leben ließen.
Hier finden Sie eine detaillierte Chronik über die Ereignisse der Nacht.
Die türkische Bevölkerung musste in diesem Jahr einiges erdulden, einerseits hält die Flüchtlingskrise das Land weiterhin im Griff, andererseits hat der Staat zunehmend mit Angriffen durch die Terrormiliz Islamischer Staat zu kämpfen und nun kam es auch noch zu einem Putschversuch durch einen Erdogan-kritischen Teil der Armee, bei dem mehrere Menschen getötet und zahllose verletzt wurden. Die Folgen dieses Umsturzversuchs für die türkische Bevölkerung sind dabei jedoch kaum zu unterschätzen: Der Putsch mag an der ungerechtfertigten Popularität des religiös-konservativen Präsidenten Erdogan und an mangelnder Vorbereitung gescheitert sein, doch die türkische Demokratie hat in der Nacht auf Samstag in jedem Fall verloren.
Schon in den frühen Morgenstunden des Samstags zeigte sich, das Präsident Erdogan den Umsturzversuch nach bester machiavellischer Manier für seine Zwecke instrumentalisieren konnte: Einerseits konnte er sich als Vater des Volkes feiern lassen und andererseits gibt ihm der Putsch einen Grund erneute „Säuberungsmaßnahmen“ im Militär vorzunehmen. Auch das mutmaßliche Attentat auf sein Hotel wird der Autokrat für sich nutzen können.
Mache man sich keine Illusionen: Erdogan ist ein islamischer Diktator! Und nun hält er alle Fäden in seinen Händen. Er wird in den kommenden Tagen den Ausnahmezustand aufrecht erhalten, wird dann die „Anti-Terror-Gesetze“ weiter verschärfen und noch heftiger gegen seine politischen Gegner vorgehen, was er implizit sogar schon im Laufe der Nacht ankündigte. Sofern die Putschisten tatsächlich die säkulare Demokratie und den Rechtsstaat der Türkei wieder herstellen wollten, dürfte dies fatal fehlgeschlagen sein.
Letztlich muss eine Revolution scheitern, wenn die Bevölkerung nicht hinter ihr steht. Der Umsturzversuch in der Türkei scheiterte auch, weil es den Putschisten nicht gelang, die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen, und weil sie die propagandistische Macht der sozialen Medien unterschätzten. So mobilisierte zum Schluss ausgerechnet Erdogan, der die Freiheit seiner Bürger in den vergangenen Jahren immer weiter beschnitt, der das kemalistische Ideal der Säkularität verriet, und der ironischerweise immer wieder Anläufe nahm, die sozialen Medien zu blockieren, die Massen.
Mit dem Aufziehen eines neuen Tages wird in der Türkei ein Zeitalter geringerer Freiheit beginnen. Der einzige Sieger dieser Nacht, der einzige Sieger dieser unseligen Revolution ist der türkische Präsident. Der Militärputsch vom 15. Juli wird in die Geschichte eingehen als Erdogans Reichstagsbrand, als der Tag, der ihn der absoluten Macht über die Türkei näher brachte als all seine bisherigen Versuche diese zu erlangen. Die soldatischen Rebellen hätten dem Despoten einen größeren Gefallen nicht tun können.
Umso bedauerlicher ist es, dass für diese gescheiterte Revolte Soldaten und Zivilisten gleichermaßen ihre Leben lassen mussten. Man möge ihrer gedenken.
Um seine Machtbasis in der Türkei auszubauen nutzte Erdogan nicht nur die undemokratischen Anti-Terror-Gesetze, seinen Feldzug gegen die Kurden und die Bedrohung durch den Islamischen Staat (IS) für seine Zwecke, sondern der Präsident ging zuletzt auch zunehmend aggressiv gegen die Opposition vor, so hob er die Immunität der kurdischen HDP Fraktion im Parlament wegen Beleidigigungs- und Verschwörungsvorwürfen auf. Weiterhin wollte der Präsident die massenweise Einbürgerung (einhergehend mit dem Erwerb des Wahlrechts) von syrischen Flüchtlingen nutzen, um die Wählerbasis seiner rechtskonservativen Partei AKP zu erweitern. Derzeit fehlen der AKP nur weniger als drei Prozentpunkte im Parlament, um die notwendige 60 Prozent Mehrheit zur beliebigen Änderung der Verfassung zu erlangen. Erdogans absolute Macht ist bereits zum Greifen nahe und die Putschisten dürfen sie ihm noch etwas näher gerückt haben.
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