Türkei setzt Menschenrechtskonvention aus – nach französischem Vorbild.

Istanbul (Türkei). Das türkische Erdogan-Regime will nach der Verhängung des Ausnahmezustands die Europäische Menschenrechtskonvention teilweise aussetzen. Das bestätigte ein Sprecher des Europarats am Donnerstag in Straßburg. Ankara habe den Generalsekretär des Europarats über die Aussetzung nach Artikel 15 der Konvention informiert. Ein solcher Schritt ist in Kriegs- oder Notstandszeiten mit Einschränkungen erlaubt.

Fälle, in denen die Türkei von der Konvention abweiche, werde der Europäische Gerichtshof allerdings in Bezug auf ihre Verhältnismäßigkeit prüfen. Die Türkei gehört dem Europarat mit heute 47 Mitgliedsstaaten als Gründungsmitglied seit 1949 an. Mit dem teilweisen Aussetzen der Menschenrechtskonvention folgt die türkische Regierung de französischen Beispiel: Auch die französische Regierung hatte den Ausnahmezustand mit der Aufweichung der Menschenrechtskonvention verbunden.

Über die Situation in der Türkei sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus: „Das ist kein Ausnahmezustand für das Volk, sondern ein Ausnahmezustand für den Staat.“ Der Staat solle demnach befähigt werden, effektiver gegen etwaige innere Bedrohungen vorzugehen. „Dass Versammlungen und Demonstrationen verboten werden und Menschen nachts nicht auf die Straße gehen dürfen oder dergleichen, wird es niemals geben. […] Von persönlichen Rechten, von Grundrechten wird kein Schritt abgewichen.“ Kurtulmus wiederholt damit das Versprechen Erdogans, „von der Demokratie keinen Schritt“ abweichen zu wollen. Eine Aussage des Demagogen, die skeptisch betrachtet werden darf, sind doch binnen einer Woche seit dem gescheiterten Putsch mehr als 8500 Menschen festgenommen worden.

Am Dienstag hatte die Regierung unter Staatschef Recep Tayyip Erdogan zudem mehr als 15.000 Beamte im Bildungsministerium suspendiert. Des Weiteren forderte sie knapp 1600 Dekane privater und staatlicher Universitäten zum Rücktritt auf. Universitätslehrkräften und Wissenschaftlern wurden zudem Dienstreisen ins Ausland verboten. Insgesamt wurden an die 30.000 Staatsbedienstete suspendiert, darunter auch fast 3.000 Richter. Unter dem Vorwand gegen mögliche Mitverschwörer vorzugehen „säubert“ das Regime auf diese Weise den Staatsapparat von mutmaßlichen Anhängern des umstrittenen Predigers und ehemaligen Weggefährten Erdogans Fethullah Gülen vor, den sie öffentlich – jedoch ohne Belege – für die Verschwörung verantwortlich macht.

Experten gehen derweil davon aus, dass ein derart effektives Vorgehen nur möglich gewesen sei, weil bereits im Vorfeld Listen mit oppositionellen Staatsbediensteten erarbeitet wurden. Der Putschversuch, den mittlerweile einige zumindest in Teilen für inszeniert halten, hätte dem Regime dann die optimale Möglichkeit geliefert, sich dieser Staatsbeamten zu entledigen.

Die Aussetzung bestimmter Grundrechte, wie etwa das Recht auf Leben, ist nach der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht möglich, Das Recht auf Leben ist auch nach der türkischen Verfassung nicht vom Ausnahmezustand berührt, dennoch spekulierten in den vergangenen Tagen verschiedene Vertreter des Regimes – inklusive des Präsidenten und des Ministerpräsidenten – über eine Wiedereinführung der Todesstrafe, und deren rückwirkender Anwendung auf die Putschisten.

Unterdessen ermahnte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International das Regime, einen Rückschlag für die türkischen Menschenrechte nicht zuzulassen. Der Ausnahmezustand dürfe nicht Vorwand, für ein weiteres Vorgehen gegen die Meinungsfreiheit oder den Schutz gegen willkürliche Festnahmen und Folter, sein. Internationales Recht sei dementsprechend zu respektieren, hart gewonnene Freiheiten und Menschenrechte dürften nicht ausgeschaltet werden.

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