Berlin. Beinahe einstimmig beschließt der Deutsche Bundestag am Donnerstag eine von SPD, Union und Grünen eingebrachte Resolution, welche die Verbrechen an den Armeniern und anderen Minderheiten durch die Regierung des osmanischen Reiches 1914-1916 als Völkermord bezeichnet. Obwohl die Resolution auch durch die Union getragen wurde, blieb Bundeskanzlerin Angela Merkel sowohl der Debatte als auch der Abstimmung fern und setzte auch damit ein Zeichen: Der Beschluss sollte nicht wichtig genug anmuten, um das ohnehin angespannte Verhältnis zur Türkei weiter zu belasten.
Der Völkermord an den Armeniern, von diesen als Aghet (Katastrophe) bezeichnet, zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts gilt als einer der ersten systematischen Genozide in der modernen Geschichte. Insbesondere in den Jahren 1915 und 1916 wurden im osmanischen unter dem Vorwand, dass einige Armenier und Minderheitenführer die russische Armee in der Hoffnung auf mehr Unabhängigkeit unterstützten, zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Menschen deportiert und systematisch umgebracht. Konsens unter Historikern ist, dass die Armenier als Ganzes vernichtet werden sollten.
„Der Deutsche Bundestag verneigt sich vor den Opfern der Vertreibungen und Massaker an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten des Osmanischen Reichs, die vor über hundert Jahren ihren Anfang nahmen. Er beklagt die Taten der damaligen jungtürkischen Regierung, die zur fast vollständigen Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich geführt haben. Ebenso waren Angehörige anderer christlicher Volksgruppen, insbesondere aramäisch/assyrische und chaldäische Christen von Deportationen und Massakern betroffen.“ – Eingangsabsatz der Resolution
Die nun nach hundert Jahren vom Deutschen Bundestag beschlossene Resolution wird von Menschenrechtsverbänden und armenischen Gruppierungen in erster Linie positiv aufgenommen, weil sie sich um „Ausgleich und Verständigung zwischen den Völkern“ bemühe und die Verantwortung Deutschlands hervorhebe. Die Türkische Regierung dagegen reagiert indem sie aus Protest gegen die Armenien-Resolution ihren Botschafter aus Berlin zurückruft. Der türkische Präsident Erdogan äußerte sich am Donnerstag noch nicht. Schon in den Tagen vor der Verabschiedung hatten zahlreiche Deutschtürken gegen die Resolution demonstriert, viele gehen von einer weiteren Verschlechterung des Verhältnisses mit dem NATO-Partner aus. Vermutlich ist das auch der Grund, weshalb Bundeskanzlerin Angela Merkel sowohl der Debatte als auch der Abstimmung über die Armenien-Resolution fernblieb: Sie selbst will zumindest nicht direkt mit einem außenpolitisch so heiklen Beschluss in Verbindung gebracht werden, auch weil die Türkei eine so essentielle Rolle in Merkels Flüchtlingspolitik spielt.
„Selbst viele Menschen, die den Völkermord nicht leugnen, wissen nicht, dass davon nicht nur Armenier, sondern auch Aramäer und Pontusgriechen betroffen waren. Wenn die Resolution des deutschen Parlaments dazu beiträgt, dass sich dieses Bewusstsein sich verbreitet, dann ist sie hilfreich.“ – Erol Dora, HDP-Abgeordneter
Die Resolution sei jedoch in erster Linie als Verneigung vor den Opfern gedacht, keine Verurteilung oder Kritik an der türkischen Regierung, die den Völkermord zumindest in Teilen immer noch leugnet, betonten mehrere Redner in der Debatte um die Resolution. Umso wichtiger wäre daher eine Beteiligung der Bundesregierung gewesen. Die Kanzlerin selbst hätte Stellung beziehen sollen zu diesem Beschluss, auf den Menschenrechtsverbände seit Jahrzehnten warten. Wie Angela Merkel zu dem Papier steht ist jedoch unklar, zumindest das Timing dürfte sie unerfreulich finden, sind doch die Fronten nach dem Böhmermann-Skandal noch immer verhärtet. Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der sich derzeit in Lateinamerika aufhält, gilt allerdings als vehementer Gegner des Dokuments.
Die Linksfraktion begrüßte im Großen und Ganzen die Resolution, beklagte sich jedoch, aufgrund von Widerständen aus den Unionsparteien, selbst nicht daran mitgearbeitet zu haben. Die Oppositionsfraktionen hatten schon seit Jahren darauf gedrängt, die Verbrechen an den Armeniern als Genozid anzuerkennen. Die LINKE entschied bei ihrer Fraktionssitzung am Dienstag, dem Papier ihre Zustimmung zu geben. Im Neuen Deutschland kam jedoch Kritik ob der Vollständigkeit der Resolution auf, so suggeriere das Papier nur eine passive Mitschuld des deutschen Reiches, während historische Dokumente belegen, dass Teile des deutschen Militärs direkt am Genozid beteiligt waren.
Die Mehrheit der Deutschen (74%) befand in einer Umfrage der ARD die Einstufung als Völkermord für richtig, gleichzeitig befürchteten 57% der Befragten eine Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zur Türkei. 91% der befragten sagten außerdem aus, der Türkei sei nicht zu vertrauen. Tatsächlich ist in Anbetracht der wachsenden Radikalisierung und Autokratisierung türkischer Politik von einer weiteren Verhärtung der Fronten auszugehen, wobei die Armenien-Resolution nur einen kleinen Anteil dazu abliefern wird. Wenn sie ein kritisch denkender Mensch oder gar Journalist sind, rate ich jedenfalls in nächster Zeit von Reisen in die Türkei ab.
Hier finden Sie die Armenien-Resolution im Wortlaut.
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