Washington D.C. (USA). Gerade in den USA ist die Abtreibungsdebatte noch lange nicht endgültig abgeschlossen: So hat der designierte US-Präsident Donald Trump angekündigt, Richter in den obersten Gerichtshof, welcher derzeit nach dem plötzlichen Tod des erzkonservativen Antonin Scalia im vergangenen Jahr eine Vakanz aufweist, zu berufen, die den Gerichtsbeschluss rückgängig machen werden, welcher Abtreibungen bundesweit erlaubt. Außerdem versuchen sogenannte „Pro-Life“ (oder „Anti-Choice“) Aktivisten und konservative Politiker auf Bundesstaatenebene immer wieder, das Selbstbestimmungsrecht der Frauen einzuschränken. Dazu wird auch immer wieder – wie jüngst in einem Informationspamphlet, das in Texas in allen Abtreibungskliniken ausgehändigt werden muss – die Behauptung aufgestellt, Abtreibungen führten zu Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. Eine neue Studie hat nun ergeben, dass diese Behauptung falsch ist.
Neben Texas verlangen noch einige andere – vor allem konservativ geprägte – Staaten, dass Frauen, die eine Abtreibung wünschen, dahingehend „beraten“ werden, dass Abtreibungen negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit hätten. Die neue Studie, die im Fachmagazin „JAMA Psychiatry“ publiziert wurde, zeigt offenbar, dass Frauen, die eine Abtreibung hatten, keinem höheres Risiko unterliegen, an Depressionen und klinischen Angstzuständen zu erkranken. Im Gegenteil: Der Untersuchung zufolge sind es Frauen, denen Abtreibungen verwehrt blieben, die am ehesten psychisch erkranken. Die „Beratung“, welche die US-Bundesstaaten von Abtreibungsärzten per Gesetz verlangen, ist demnach falsch!
„Was wir herausgefunden haben, ist, dass das Verweigern einer Abtreibung negative Folgen für die mentale Gesundheit und das Wohlergehen von Frauen hat, und wir fanden keine Hinweise auf zunehmende psychische Probleme nach einer Abtreibung,“ erklärte Hauptautorin Antonia Biggs, die an der University of California in San Francisco über „Reproduktionsgesundheit“ forscht.
Dabei ist die jüngste Untersuchung nicht die erste, bei der kein Zusammenhang zwischen Abtreibungen und psychischen Erkrankungen gefunden werden konnte: Als die American Psychological Association (APA) in einer Meta-Studie die Forschung zu der Thematik durchging, kam sie zu dem Schluss, es gebe „keine glaubhafte Evidenz, dass eine einzige frei gewählte Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft für sich genommen psychische Probleme bei erwachsenen Frauen auslöst.“ Die neuen Forschungsergebnisse von der kalifornischen Universität bauen jedoch auf erweiterter Methodik auf und bieten die bisher sichersten Belege dafür, dass Schwangerschaftsabbrüche keinen mentalen Schaden anrichten.
Für die Forschungsarbeit befragten die Forscher 956 Frauen aus dreißig verschiedenen Abtreibungskliniken in 21 US-Bundesstaaten. Die Erstbefragung fand dabei, eine Woche nachdem sie um eine Abtreibung ersucht hatten, statt. Danach gab es fünf Jahre lang halbjährliche Gespräche zwischen den Frauen und den Forschern. Dabei konzentrierten sich die Wissenschaftler aus Vergleichbarkeitsgründen insbesondere auf zwei Gruppen: Solche Frauen, die ihre Abtreibung noch kurz vor dem dafür maximal zugelassenen Alter des Fötus hatten, und solche, denen eine Abtreibung verwehrt blieb, weil sie diese Grenze gerade überschritten hatten.
Die gewählten Gruppen sind deshalb gut vergleichbar, weil sie ähnlich weit in ihren Schwangerschaften waren und weil sie beide aus Frauen bestanden, die Abtreibungen wünschten. Diese Konstellation machte es möglich, zwischen den potentiellen Effekten einer ungewollten Schwangerschaft und einer Abtreibung zu differenzieren.
Innerhalb der Gruppe, welcher die Abtreibungen verwehrt wurden, wurde eine weitere Unterscheidung vor genommen zwischen Frauen, die das Kind austrugen und solchen, die es – aufgrund von Fehlgeburten oder Abtreibungen anderswo – nicht austrugen.
Auf diese Weise fanden die Forscher heraus, dass in der Woche nachdem die Probandinnen erstmals die jeweilige Abtreibungsklinik aufsuchten, die Frauen am ehesten litten, denen diese verwehrt blieb. Verglichen mit den Probandinnen, welchen eine Abtreibung gerade noch gestattet wurde, berichteten diese von mehr Angstzuständen, geringerem Selbstwertgefühl und geringerer Lebenszufriedenheit. Die Wahrscheinlichkeit für Depressionen war bei beiden Gruppen gleich.
„Verglichen damit, eine Abtreibung zu haben, scheint es mit einem größeren Risiko, zunächst negative psychologische Folgen zu erfahren, verbunden zu sein, eine Abtreibung verweigert zu bekommen,“ so die Studie. Die Wissenschaftler erklären allerdings, dass dies ein Ergebnis sowohl der konkreten Erfahrung, den Schwangerschaftsabbruch verweigert zu bekommen, als auch Folge sozialer und emotionaler Herausforderungen, die mit dem Entdecken einer ungewollten Schwangerschaft und dem Wusch nach einer Abtreibung verbunden sind, sein könnte.
Die Forscher zeigten außerdem, dass die Werte beider Gruppen mit der Zeit konvergierten, dass also die psychologische Gesundheit der zweiten Gruppe sich in der Regel wieder erholte. Bei der letzten Befragung, fünf Jahre nach dem Erstkontakt waren keine erkennbaren Unterschiede zwischen beiden Gruppen festzustellen. „Überraschend war, dass Frauen, denen eine Abtreibung verweigert wurde, doch so belastbar waren und dass die negativen Effekte nicht länger anhielten,“ so Studienleiterin Biggs.
Das abschließende Ergebnis ist dementsprechend, dass es keine Verbindung zwischen Abtreibungen und psychischen Krankheiten gibt. Die Wissenschaftler stellen demgemäß eindeutig fest: „Diese Resultate stützen keine Politik, die Frauen den Zugang zu Abtreibungen auf der Basis der Behauptung, dass Abtreibungen der psychischen Gesundheit von Frauen schadet!“
Konservative wie der Ex-Präsidentschaftskandidat und Gouverneur von Ohio, John Kasich, brauchen aber bekanntlich keine wissenschaftlichen Gründe, um die Verfügbarkeit von Abtreibungen zu Beschränken. So unterschrieb Kasich zuletzt ein ausnahmsloses Verbot von Abtreibungen nach der 20ten Woche. Wobei ausnahmslos heißt: Auch eine Frau, die einen nicht selbstständig lebensfähigen Fötus trägt, bei der ernsthafte physische Probleme aus der Geburt resultieren könnten, oder die infolge einer Vergewaltigung schwanger wurde, muss nach diesem Gesetz das Kind austragen. Gerade solche Frauen aber betreffe dieses Gesetz, heißt es von der amerikanischen Organisation „Planned Parenthood“, 99 Prozent der Abtreibungen fänden dagegen ohnehin vorher statt.
In Deutschland sind Abtreibungen schon nach der 12ten Woche nur unter besonderen Umständen straffrei und auch alle Abtreibungen, die nicht durch fachkundige Ärzte und unter Nachweis eines entsprechenden „Beratungsnachweises“ durchgeführt werden, sind rechtswidrig (§218-219b StGB regeln die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen). Und auch in Deutschland wird bei den verpflichteten Beratungen regelmäßig auf mögliche psychische Folgen des Schwangerschaftsabbruchs hingewiesen.