Rio de Janeiro (Brasilien). Im Rahmen von medial verfolgten Großveranstaltungen muss man sich immer wieder die Frage stellen, ob wir – als globalisierte Gesellschaft – dieser Tage unsere Prioritäten richtig wählen: Im Rahmen der olympischen Spiele in der Hochburg des südamerikanischen Karnevals, Rio de Janeiro, wurden offenbar – für einen besseren Ausblick auf die Austragungsorte der olympischen Segelregatten – mehrere mächtige Regenwaldbäume weit abseits der eigentlichen Sportstätten gefällt.
Seit gut einer Woche kämpfen Segler aus aller Welt vor dem Strand von Flamengo mit dem Wind und dem – verschmutzten – Wasser um olympische Medaillen. Wer die Segelwettkämpfe nicht direkt vom Strand aus beobachten will, hat zwei Alternativen, die ein vollständigeres Bild liefern: Einerseits der Hügel von Outeiro mit seiner eindrucksvollen Barockkirche Nossa Senhora da Gloria do Outeiro im benachbarten Stadtteil Glória und andererseits der „Mirante do Rato Molhado“ im Künstlerviertel Santa Teresa, auf dem gleichnamigen Hügel im Zentrum Rios gelegen. Genau dort sollen vor einigen Monaten – der Aussicht wegen – einige mächtige Baumriesen gefällt worden sein.
„Es war wie eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Von heute auf morgen waren die Bäume abgeholzt“, erinnert sich eine Anwohnerin. Eigentlich, so erklärt sie, hätte das gar nicht passieren dürfen, denn der hügelige Stadtteil Santa Teresa steht seit 1984 als Área de Proteção Ambiental (APA) unter Naturschutz – so sollten auch derlei Abholzungen verhindert werden-
Die meisten Bewohner von Santa Teresa haben allerdings nichts von den illegalen Baumfällungen mitbekommen, denn zum einen hat die Stadtregierung nie darüber informiert und zum anderen wird der „Mirante do Rato Molhado“ von der Bevölkerung seit Langem auch aus Angst vor Überfällen gemieden, weil der Aussichtspunkt an einem Übergang von Santa Teresa zur von Drogenhändlern kontrollierten Favela Santo Amaro liegt.
Ein Faktor, der den täglich per Kleinbus, Touristenjeep, Taxi und Uber zum „Rato Molhado“ gekarrten Urlaubern und Olympiatouristen verschwiegen wird. Zwar garantiert die Polizei von Rio, der Hügel sei derzeit sicherer denn je, aber „ich kenne hier keinen Einheimischen, der sich freiwillig länger als fünf Minuten auf dem Rato Molhado aufhält, um die Aussicht zu genießen“, erklärt die junge Frau aus Santa Teresa. Daran würden auch die olympischen Regatten nichts ändern. Wurden die uralten Baumriesen von Santa Teresa also nur für ein paar hundert Touristen gefällt?
Segeln ist in Rio jedenfalls – wie fast überall auf der Welt – der Sport einer kleinen, reichen Elite und deshalb bei den Einheimischen eher unbeliebt. Der Beliebtheitsgrad des Segelsports zeigt sich dabei auch an zahlreichen vergeblichen Protesten und Petitionen der lokalen Bevölkerung in den vergangenen Jahren. Sie wollten damit den Ausbau der Marina da Glória zur olympischen Wettkampfstätte verhindern und insbesondere die dazu notwendige Abholzung von rund 300 Bäumen des seit 1965 unter Denkmalschutz stehenden Parks von Flamengo.
„Es ist bestürzend, wie jemand solch ein Umweltverbrechen autorisieren konnte“, regte sich im vergangenen Jahr der Umweltaktivist und Abgeordnete Dionísio Lins von der konservativen Fortschrittspartei auf. „Rios Umweltminister weiß nicht, was er da unterzeichnet hat.“ Sonia Rabello, Präsidentin der Föderation der Vereinigungen der Bewohner Rio de Janeiros (Fam-Rio), beklagte zudem: „Der Park von Flamengo ist ein Kunstwerk und durch das Instituto do Patrimônio Histórico e Artístico Nacional unter Denkmalschutz gestellt. Jegliche Änderung seiner Vegetation ist ein gravierender Eingriff.“ Gefällt wurden die Bäume schließlich trotzdem, obwohl die Bevölkerung auch weiterhin keinerlei Liebe für den Segelsport zeigt. Ausgleich durch Renaturierung wird es wohl zumindest von staatlicher Seite nicht geben.
Dieser Beitrag ist Teil unserer Sonntagsausgabe „Spartacus am Sonntagmorgen – die Frühstückszeitung“. Lesen Sie hier die komplette Ausgabe.
Ein Gedanke zu „Rio opfert den Naturschutz zugunsten guter Aussicht auf Segelregatten, die niemanden interessieren.“